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Ochsenfurt
Aus der Geschichte der Fotografie: Ochsenfurter Alltagsszenen auf die Platte gebannt
Ein Fotograf mit Plattenkamera in Aktion war vor über 100 Jahren ein Ereignis. Kinder führten einen Freudentanz auf.
Foto: Stadtarchiv | Ein Fotograf mit Plattenkamera in Aktion war vor über 100 Jahren ein Ereignis. Kinder führten einen Freudentanz auf.
Klaus Stäck
 |  aktualisiert: 09.02.2024 02:54 Uhr

Häcker arbeiten in einem Weinberg bei Goßmannsdorf. Im Hintergrund erkennt man die 1897 fertiggestellte erste Mainbrücke zwischen Sommer- und Winterhausen. Kinder spielen am Main. Junge Burschen springen von einem Schelch zum Schwimmen in den Fluss vor der Kulisse der Weinberge zwischen Kleinochsenfurt und Sommerhausen. Es sind einige Beispiele aus einem großen Fundus von Schwarz-Weiß-Bildern mit mainfränkischen Motiven aus alter Zeit – Bilder, die mit einer frühen Fototechnik vor über 100 Jahren auf Glasplatten gebannt wurden. Es sind einmalige Zeitzeugnisse, die ums Haar vernichtet worden wären. Dass es nicht so kam, ist Winfried Dürr aus Hohestadt zu verdanken. Und dass sie im Stadtarchiv erhalten bleiben und auch künftigen Generationen von Nutzen sein können, dazu haben noch andere geholfen.

Es ist schon Jahrzehnte her, da ging Winfried Dürr, der schon immer großes Interesse an Geschichte hatte und dazu vieles gesammelt hat, durch Goßmannsdorf. An einem Haus, wo gerade eine Entrümpelung im Gange war, weckte der Schuttcontainer seine Aufmerksamkeit. "Ich schau in jeden Container nei," sagt er. Denn er hat schon Zufallsfunde an Orten gemacht, wo es niemand für möglich hielt.

Pappschachteln mit überraschendem Inhalt

Auch diesmal lag er mit seinem Instinkt richtig: Zwischen Kalkeimern erblickte er bunt bedruckte Pappschachteln: "Die schönen Schachteln haben mich zuerst gereizt", erinnert er sich. Neun Stück von dieser Art hat er aus dem Schutt herausgefischt. Die Beschriftung wies auf den Inhalt hin: "Perorto Momentplatten" der Firma Otto Perutz in München - also lichtempfindlich beschichtete Glasplatten, wie sie vor der Erfindung des Rollfilms zum Fotografieren gebraucht wurden. Beim Öffnen der Schachteln war die Überraschung groß: Sie waren tatsächlich voll mit Glasplatten-Negativen im Format 9 mal 12 Zentimeter. Dürr hat sie mit nach Hause genommen und erst einmal für längere Zeit eingelagert.

Häcker im Weinberg bei Goßmannsdorf. Im Hintergrund ist oben links die erste Mainbrücke Sommerhausen-Winterhausen zu erkennen.
Foto: Stadtarchiv | Häcker im Weinberg bei Goßmannsdorf. Im Hintergrund ist oben links die erste Mainbrücke Sommerhausen-Winterhausen zu erkennen.

Viele Jahre später machte sein Sohn einige Versuche, Abzüge von den Negativen herzustellen. Es seien ordentliche Bilder herausgekommen, erzählt Winfried Dürr. Bei einem Gespräch mit Peter Honecker, der ebenfalls in Hohestadt wohnt, erfuhr er zufällig, dass dieser ebenfalls Fotos digitalisieren kann. Honecker erklärte sich bereit, sich des kompletten Funds anzunehmen. Doch es dauerte wieder einige Jahre.

Die Digitalisierung solch großer Glasplatten ist aufwendig, berichtet Honecker. Es brauchte dazu einen leistungsfähigen Scanner mit einer speziellen Durchlichteinrichtung für die großen Negative. Unterschiedliche Einstellungen mussten immer wieder probiert werden, denn manche Bilder waren unter- oder überbelichtet, einige wenige unbrauchbar, aber auch viele gestochen scharf.

Die Fotos entstanden zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg

Über zwei Jahre hat Honecker gearbeitet, bis 150 Glasplattenfotos auf digitale Speichermedien übertragen waren. Zu sehen sind darauf viele Motive aus Goßmannsdorf, aber auch aus anderen Gegenden Mainfrankens, wie etwa aus Orten an der Mainschleife. Wann die Aufnahmen genau gemacht wurden, lässt sich nur schätzen. Die besagten "Perorto"-Platten kamen 1900 auf den Markt. Es muss also danach gewesen sein. Es ist zwar nicht ganz sicher, aber wahrscheinlich, dass die Aufnahmezeitpunkte noch vor dem ersten Weltkrieg lagen.

Sommerlicher Badespaß zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts bei Goßmannsdorf: Junge Burschen springen von einem Schelch zum Schwimmen in den Main.
Foto: Stadtarchiv | Sommerlicher Badespaß zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts bei Goßmannsdorf: Junge Burschen springen von einem Schelch zum Schwimmen in den Main.

Fotograf war nach Dürrs Einschätzung höchstwahrscheinlich ein gewisser Herr Murr aus Goßmannsdorf, der einen Kolonialwarenladen und eine Manufaktur für Kleinspielzeug betrieb. Eines der Bilder zeigt einen Fotografen in Aktion, vor dem eine Kinderschar gerade einen Tanz aufführt. Das Erscheinen eines Mannes, der mit einem Kasten "photographische Aufnahmen" macht, war damals ein besonderes Ereignis. Ob es Murr war, der auf dieser Aufnahme zu sehen, ist nicht bekannt.

Winfried Dürr und Peter Honecker (von rechts) haben die wertvollen Glasnegative und die digitalisierten Abzüge davon kürzlich an Stadtarchivar Georg Menig übergeben. 
Foto: Klaus Stäck | Winfried Dürr und Peter Honecker (von rechts) haben die wertvollen Glasnegative und die digitalisierten Abzüge davon kürzlich an Stadtarchivar Georg Menig übergeben. 

Winfried Dürr und Peter Honecker waren sich einig, dass der wertvolle Fund ins Stadtarchiv gehört. Die Originalplatten samt Verpackung sollten dort in sichere Obhut kommen. Zudem wurden alle Motive auf eine CD kopiert und auch Papierabzüge gemacht. Bei Schreiner Karl Ulsamer gaben sie schließlich ein schmucke Schatulle in Auftrag, in dem der Schatz im Stadtarchiv verwahrt werden sollte.

Stadtarchiv will die alten Fotos Besuchern zugänglich machen

Vor ein paar Tagen nahm Stadtarchivar Georg Menig die seltenen Zeitzeugnisse entgegen. "Es ist schön, dass Leute so etwas abgeben," sagt Menig. Und Peter Honecker ist erleichtert, nicht länger die Verantwortung für den zerbrechlichen Schatz zu tragen: "Endlich ist das alles im Archiv, wo es hingehört." In nächster Zeit will Georg Menig nun daran gehen, die Daten so aufzubereiten, dass auch Besucher des Archivs in den alten Fotos stöbern können. 

Neun solcher Schachteln mit 150 Glasplattennegativen hat Winfried Dürr aus einem Bauschuttcontainer gerettet. Die Moment-Platte der Firma Perutz war im Jahr 1900 auf den Markt gekommen.
Foto: Klaus Stäck | Neun solcher Schachteln mit 150 Glasplattennegativen hat Winfried Dürr aus einem Bauschuttcontainer gerettet. Die Moment-Platte der Firma Perutz war im Jahr 1900 auf den Markt gekommen.
 
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