Erste BO Falstaff in der Blauen Halle. "BO" bedeutet Bühnen-Orchester-Probe, und "Falstaff" ist Giuseppe Verdis letzte Oper. Am 8. Juni ist Premiere der Mainfranken-Theater-Produktion. An diesem Morgen, anderthalb Wochen vorher, treffen zum ersten Mal die wichtigsten Elemente zusammen: das Orchester im Graben und die Bühne mit Sängerinnen und Sängern, vorerst nicht im Kostüm, sondern in T-Shirt, Schlabbershorts, Jeans oder Leggings.
Das scheint gar nicht mal so unpassend, schließlich wirkt die pink-orange-farbene Bühne voll runder Formen wie eines jener Fernsehstudios in Zeiten, als es noch Jugendsendungen gab, in denen die neuesten Musikvideos gespielt wurden. Videos wird es hier später auch geben, die Musik aber ist klassisch und live. Romantisch vielmehr. Sie begleitet die Figuren, kommentiert ihre Handlungen, vor allem aber ihre Emotionen.
Dafür muss genau umgesetzt werden, was in der Partitur steht. Und: Die Balance muss stimmen. Der schönste Orchesterklang nutzt nichts, wenn man die Sänger nicht hört. Generalmusikdirektor Enrico Calesso feilt deshalb an kleinsten Details. Immer wieder lässt er sich aus dem Saal Bericht erstatten. Danach die Ansage: "Ein Takt vor Ziffer 2 Crescendo erst in der Mitte des Taktes." Oder: "Sieben Takte nach Ziffer 4 die Bläser bitte sofort Piano." Und: "Es reicht einer, der sich nicht dran hält, dann ist das Pianissimo kaputt." Dann: "Bitte von vorn, gucken wir, ob wir die Sachen gelöst haben."
Wenn Falstaff Bardolfo wortwörtlich an der Nase herumführt
Sängerinnen und Sänger haben derweil auf der Bühne sichtlich Spaß, mit Ballons, Holzschwertern oder Pfeil und Bogen zu hantieren. Es reicht, ihnen einen Textfetzen zuzurufen, schon setzen sie punktgenau ein. In einer kleinen Spielpause üben Mathew Habib, der Falstaffs Diener Bardolfo spielt, und Siyabulela Ntlale, der die Titelrolle singt, wie Falstaff Bardolfo ganz wörtlich an der Nase herumführt.
"Falstaff", nach Shakespeares "Die lustigen Weiber von Windsor", uraufgeführt 1893 in der Mailänder Scala, ist der späte Höhepunkt in Verdis Schaffen. Es gibt, ähnlich wie bei Wagner, keine einzelnen Arien mehr, alles ist ein unendlicher Fluss wunderbarer Musik. Die Handlung: Die Zeit ist über den abgehalfterten Lebemann Falstaff hinweggerollt, jetzt rächt sich eine Gesellschaft selbstgerechter Emporkömmlinge an ihm für sein Schmarotzertum und seine Betrügereien.
Man könnte das Stück genau so erzählen, und so wird es meistens auch gemacht: Ein alter weißer Mann kriegt die Quittung. Aber das reizt Regisseurin Magdalena Fuchsberger nicht besonders: "Ich finde die Psychologie des Stücks nicht so interessant. Man muss es von der Struktur her begreifen", sagt sie. Und von der Musik her. Falstaffs Bauch sei ja nicht lustig an sich.
Der erste Teil spielt im Bauch, der zweite im Kopf
Stattdessen erkunde sie den Bauch-, also den Instinktmenschen Falstaff. Der zwar immer nur nehme, aber in dieser Gesellschaft von Parasiten und Intriganten die einzige authentische Figur sei. Die zweiteilige Struktur des Stücks wiederum setzt sie in zwei großen Bildern um: Der erste Teil spielt quasi im Bauch (Bühne und Kostüme: Monika Biegler), der zweite im Kopf. Deshalb also die rosa Kissen-, Kugel- und Kuschelhölle des ersten Bildes: ein Magen, in dem mehr oder weniger schädliche Bazillen zugange sind.
Für den südafrikanischen Bariton Siyabulela Ntlale, der seit neun Jahren in Erfurt lebt, ist der "Falstaff" nicht nur ein bedeutendes Rollendebüt, sondern auch die Rettung aus einer persönlichen Krise, wie er in einer Probenpause erzählt. Covid habe ihn aus der Bahn geworfen, Falstaff habe ihm quasi den Weg zurück gezeigt. "Er ist eine sehr tiefgründige Figur, viel komplexer als etwa Rigoletto. Sehr nah an meinem Herzen. Als Sänger wächst man daran." Falstaff müsse so viele Hindernisse überwinden und bekomme überall die Botschaft: "Du gehörst nicht zu uns."
Apropos dazugehören: Deutschland erlebt der Südafrikaner trotz aller Rassismus- und Antisemitismus-Nachrichten als freundliches Land. "Es gibt überall Patrioten, aber wenn man mit den Menschen ins Gespräch kommt, funktioniert es." So habe einmal der Zungenbrecher "In Ulm und um Ulm..." weitergeholfen. Er selbst habe dann einen Zungenbrecher in seiner Sprache beigesteuert - Ntlale macht die typischen Schnalzlaute der Xhosa-Sprache -, dann sei das Eis gebrochen gewesen. "Wir haben den Spirit of Ubuntu, die Philosophie der Menschlichkeit", sagt Siyabulela Ntlale, "und die kann man überall hin bringen."
"Falstaff" von Giuseppe Verdi hat am 8. Juni, 19.30 Uhr, Premiere in der Theaterfabrik Blaue Halle. Weitere Vorstellungen am 13., 19. Juni, 2., 14., 21. Juli und in der nächsten Spielzeit. Karten: Tel. (0931) 3908-124, karten@mainfrankentheater.de