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WÜRZBURG
Attentat: Wie Journalismus in Echtzeit gelingen kann
Die Berichterstattung über den Amoklauf in Würzburg folgte Ansprüchen, die es vor wenigen Jahren noch nicht gab. Einblicke in veränderte Arbeitsweisen der Redaktion.
Attentat: Wie Journalismus in Echtzeit gelingen kann       -  Die Pressekonferenz zum Attentat in Heidingsfeld. In das Polizeipräsidium in die Zellerau kamen neben vielen deutschen Fernseh-, Hörfunk-, und Zeitungsjournalisten auch zwei Reporter des chinesischen Senders CNC.
Foto: Theresa Müller | Die Pressekonferenz zum Attentat in Heidingsfeld. In das Polizeipräsidium in die Zellerau kamen neben vielen deutschen Fernseh-, Hörfunk-, und Zeitungsjournalisten auch zwei Reporter des chinesischen Senders CNC.
Ivo Knahn
Ivo Knahn
 |  aktualisiert: 16.12.2021 11:20 Uhr

Als am Montagabend gegen 21.15 Uhr der 17-jährige afghanische Flüchtling Riaz Khan Ahmadzai in Würzburg ein Attentat verübte, war ein Teil unserer Zeitungsausgaben bereits gedruckt. Die Maschinen wurden gestoppt und die Erkenntnisse über das schreckliche Geschehen bis etwa 1.20 Uhr aktualisiert – für die Redaktion ein Standard, der seit Jahrzehnten bei nachrichtlichen Ausnahmesituationen eingespielt ist. Doch es griffen an diesem Abend auch Mechanismen und Arbeitsweisen, die sich erst in den vergangenen Jahren etabliert haben und die zeigen, wie sehr sich Journalismus verändert.

Früher haben vor allem Zeitungsjournalisten meist konzentriert recherchiert, bis die Nachrichtenlage so klar war, dass daraus ein Artikel entstehen konnte. Heute erwarten Nutzer auf digitalen Endgeräten wie Smartphones Journalismus in Echtzeit. Gerade in sozialen Netzwerken sind Journalisten dabei auch ständige Moderatoren. Die Redaktion der Main-Post ist darin geübt: Bei Großereignissen wie der Fußball-EM berichtet sie über Wochen in sogenannten Live-Tickern vom Ort des Geschehens. Auch bei regionalen Unglücken und Katastrophen, wie zuletzt dem Brückeneinsturz bei Werneck, berichten Reporter live auf allen Kanälen.

Und doch waren diese veränderten Ansprüche an Qualitätsjournalismus in der Redaktion der Mediengruppe Main-Post noch nie so intensiv zu spüren, wie in den Stunden nach dem Attentat in Würzburg.

Die Nutzer beschweren sich, weil sie für Informationen bezahlen sollen

Am Tatort ist am Montagabend zunächst nur ein Reporter im Einsatz. Als die Dimension des Geschehens deutlich wird, holt die Redaktion nach und nach Kolleginnen und Kollegen aus dem Feierabend zurück. Auf der Facebook-Seite beschweren sich Nutzer direkt nach der ersten Veröffentlichung, dass die Beiträge auf mainpost.de hinter der Bezahlschranke liegen (Wer auf mainpost.de mehr als fünf Artikel im Monat lesen will, muss für Inhalte bezahlen). Viele Menschen sind in Angst und Sorge, weshalb die Redaktion spontan alle Beiträge zum Amoklauf vor die Bezahlschranke legt.

„Wir haben mit mancher Veröffentlichung länger gewartet, hatten dafür aber die Gewissheit, dass unsere Informationen stimmen.“

Michael Reinhard, Chefredakteur

Nutzer bedanken sich. Die meisten erwarten, dass die Redaktion schon mehr weiß oder aber Informationen bestätigt oder korrigiert, die sie auf anderen Wegen erreicht haben. Die Fragen und Hinweise der Nutzer, die nahezu im Sekundentakt eingehen, arbeitet die Redaktion in die Recherchen ein. Zu jedem Zeitpunkt gibt es einen Kollegen, der die Beiträge in den sozialen Netzwerken moderiert, filtert, beantwortet und bei Verstößen gegen die Regeln auch löscht.

Die Reporter liefern währenddessen ständig kurze Ergebnisse ihrer Recherchen in die Redaktion, wo alle Informationen gebündelt und mit anderen Quellen abgeglichen werden. Am Montagabend gab es beispielsweise etwa 20 Minuten lang widersprüchliche Aussagen darüber, ob der Täter erschossen wurde, oder ob er noch auf der Flucht sei. Teil des seriösen Journalismus ist es dann auch, klar zu sagen: „Wir wissen es noch nicht.“ Andere Hinweise lassen die Redaktion nachdenken: Das Wort „Amoklauf“ sei verharmlosend, wir sollten „Terroranschlag“ schreiben, meint ein Nutzer.

Die Chefredaktion entscheidet, dass die Nationalität des Täters genannt wird

In der Zwischenzeit entscheidet die Chefredaktion, dass fortan die Nationalität des Täters in allen Beiträgen genannt werden kann, weil nach einer Pressekonferenz mit Innenminister Joachim Herrmann ausreichend absehbar ist, dass die Herkunft des Täters im Zusammenhang mit seiner Tat steht.

Auf mainpost.de und in der Main-Post-News App, die erst an diesem Montag auf den Markt gekommen war, ist mittlerweile ein kontinuierlicher Nachrichtenstrom entstanden – mit dem Ergebnis, dass zwei Server überlastet sind und mainpost.de sowie die News-App für knapp eine Stunde nur eingeschränkt erreichbar sind. In diesem Zeitraum informiert die Redaktion direkt auf Facebook.

Gegen 0.30 Uhr fährt ein Reporter zur s.Oliver-Arena. Dort werden Menschen versorgt, die in dem Zugabteil saßen, in dem der Täter das Blutbad anrichtete. Es entsteht kurz darauf ein Live-Video, in dem eine Helferin der Malteser die Situation vor Ort beschreibt.

Bis 4.30 Uhr schreiben zwei Kollegen an Hintergrundtexten

Auch das ist ein neues Selbstverständnis: Die Unterscheidung zwischen TV, Hörfunk und Print löst sich auf digitalen Kanälen auf. Der journalistische Auftrag, sorgfältig zu recherchieren und unaufgeregt zu informieren, gilt aber selbstverständlich in jedem Format, bei jedem Tempo.

Chefredakteur Michael Reinhard sagt mit zwei Tagen Abstand: „Bei allem, was wir bisher wissen, können wir sagen, dass wir trotz extrem unüberschaubarer Nachrichtenlage zu keinem Zeitpunkt falsch informiert haben. Wir haben mit mancher Veröffentlichung länger gewartet als andere Medien, hatten dafür aber die Gewissheit, dass unsere Informationen stimmen.“

Am Dienstagmorgen gegen 2 Uhr aktualisiert die Redaktion vorläufig das letzte Mal. Bis 4.30 Uhr schreiben zwei Reporter Hintergrundartikel, die ab etwa 6.30 Uhr auf mainpost.de veröffentlicht werden. Um 4 Uhr macht sich eine ausgeruhte Reporterin auf den Weg für weitergehende Recherchen.

Am Morgen nach der Tat richtet die Redaktion auf mainpost.de einen Live-Ticker ein.

In diesem Format laufen konstant einzelne, auch unsortierte Informationen ein, die sich mit zeitlichem Abstand wie eine Chronologie lesen werden. Dieser Ticker bleibt bis auf Weiteres kostenfrei. Die hintergründigen Artikel zu der Bluttat liegen seit dem Morgen danach wieder hinter der Bezahlschranke.

Unter dem Bekennervideo entsteht eine Hassdebatte

Trotz aller Sorgfalt bleiben Fehler nicht aus: Am Dienstagmorgen veröffentlicht die Redaktion auf einer Facebookseite einen Beitrag über die Geschehnisse der Nacht, der reißerisch wirkt und keinen erkennbaren informativen Nutzen hat. Als Nutzer sich zu Recht über das blutige Bild und den boulevardesken Kurztext beschweren, entschuldigen wir uns und löschen das Posting.

Am Dienstagabend stellt die Redaktion das Bekennervideo des Täters bei Facebook samt einer sinngemäßen Übersetzung ein.

Bis dahin waren die Kommentare und Diskussionen rund um den Anschlag moderat und konstruktiv. Doch unter dem Video entsteht eine Hassdebatte, deren Moderation nahezu unmöglich wird. Außerdem will die Main-Post diese Art von Forum nicht bieten. Der Beitrag wird gelöscht, das Video liegt weiterhin im bezahlten Bereich auf mainpost.de, wo die Moderation deutlich einfacher ist.

Der Blick auf die Arbeit der Redaktion in dieser Woche zeigt, wie unaufgeregt und selbstverständlich dieser veränderte Journalismus sein kann. Mehr Freude macht er ganz sicher mit besseren Nachrichten als denen der vergangenen Tage.

 
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  • G. K.
    Stimmt die Meldung der FAZ vom 22.07.2016, dass der Würzburger Attentäter nicht überprüft wurde? Warum lesen wir solche wichtigen Nachrichten nicht in der MainPost?
    Leider hat die MainPost hier nicht vollständig informiert.
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  • M. S.
    Hallo Herr Kastner,

    hier handelt es sich um eine Recherche der FAZ, die am heutigen Tag erst veröffentlicht wurde. Wir sitzen gerade selbst an der Geschichte. Es gibt aber viele Themen des Spektrums und wir arbeiten gerade eine große Menge davon ab.

    Dass hier auch andere Häuser selbstständig denken und handeln, halten wir der FAZ an dieser Stelle mal zu Gute. Bei uns finden sie derzeit (bis wir die Geschichte der "Überprüfung des Attentats" online haben) eine ganze Reihe an Storys, die überregionale Medien nicht zur Verfügung stellen.

    Danke für Ihr Verständnis und Ihre Geduld.

    Viele Grüße

    Manuel Scholze
    Digitale Redaktion
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  • C. K.
    Wie "mündig" der Bürger ist, wie anfällig für Agitation, Panikmache und Propaganda aus fragwürdigen Motiven, die NICHTS, aber auch gar nichts mit der eigentlichen Tat zu tun haben (man aber ständig unter den Kommentaren hier im Forum finden kann!), sieht man auch daran, wozu dieser Bürger, trotz aller Bemühungen um klare und sachliche Berichterstattung, die auf FAKTEN und nicht gefühlten Wahrheiten beruht, fähig ist:

    "von Thomas Fritz | MP:

    Nach dem Amoklauf werden die freiwilligen Mitarbeiter im Ochsenfurter Helferkreis in vielen E-Mails beschimpft und mit Hass überschüttet. "Wir lassen uns darauf nicht ein und werden diesen E-Mails weder Raum geben, noch sie kommentieren", heißt es in einer Stellungnahme. Die Leitung des Helferkreises betont, dass ihre Gedanken bei den Opfern und der Pflegefamilie sind.

    "Wir bleiben an der Seite der vielen Geflüchteten, die Angst vor Verallgemeinerungen und Konsequenzen haben, die manche in unserer Gesellschaft nun aus dem Geschehenen ziehen."
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    Schnell loslaufen, Schnappatmung einschalten und Kommentar abgeben, bevor der Zeitablauf schneller war.......... grinsen grinsen

    http://www.mainpost.de/regional/wuerzburg/Landgerichte-Totschlag;art735,9297136#kommentare
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    "Die, die jetzt kommen, sind Ärzte, Rechtsanwälte, Betriebswirte und Facharbeiter. Und unheimlich viele junge, hochmotivierte Menschen....."

    Diesem ihren fantischen Irrglauben ist nicht mehr hinzuzufügen.

    Wobei, hochmotiviert stimmt schon, haben Tausende an Silvester bewiesen......
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    Es ist suboptimal, Kommenare mit einem Blackberry zu schreiben.......

    Richtig wäre: "Diesem, ihrem fanatischen Irrglauben, ist nicht mehr hinzuzufügen."

    Aber jeder, der CaRo kennt, weiß wie es gemeint war grinsen
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    Hier mal die unideologische Wahrheit:

    "Denn bei vielen Flüchtlingen ist kein ausreichendes Bildungsniveau vorhanden, um darauf aufbauen zu können. "

    http://www.zeit.de/2015/47/integration-fluechtlinge-schule-bildung-herausforderung

    Aber CaRo, natürlich sind alle "Zeit-Redakteure" Nazi´s grinsen
    Wie können die nur eine andere Meinung haben als CaRo, diese Batzi´s grinsen
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    ....wenn man die Berichte der Main-Post zu dem islamistischen Terroranschlag dieses angeblichen minderjährigen Flüchtlings mit den Berichten der letzten Jahre über Verbrechen und Vorkommnisse, die von der gleichen Ethnie begangen wurde, dann haben die Main-Post Redakteure sich hier um Welten verbessert.

    Es kann einfach nicht sein, das Medien offizielle Polizeiberichte abdrucken und dabei wichtige Informationen wie Herkunft, Alter o.ä. einfach weglassen.
    Auch ein Vorschieben irgendwelcher nach Gutdünken frei interpretierbarer Aussagen eines Presserates o.ä. entspricht nicht der Informationspflicht der Presse.

    Ich hoffe die Main-Post Redaktion hält ihren "neuen Stil" der umfassenden und vollständigen Lobbyisten freie Berichterstattung bei.

    Der Bürger ist so mündig um alle Informationen richtig zu verarbeiten.

    Wenn die jetzigen (Bezahl-)Kunden erkennen, das sie im I-NET nicht nur günstiger, sondern vorallem wahrheitsgetreuer informiert werden, wndern sie ab.....
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    Man hat an höchster Stelle entschieden, dass man die Nationalitat des irren Zugmonsters nennen kan. Sehr befremdend. Ich will alles über dieses***********im Zug wissen. Nationalität, Vorname, Nachname, Alter etc. Am besten mit Foto. Dazu sind wir Journalisten da. Basta.
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