
Kein Weihnachten ohne "Sissi", kein Weihnachten ohne Kaiser Franz Joseph. An der Seite von Romy Schneider machte die Filmtrilogie in den 50er Jahren den Schauspieler Karlheinz Böhm berühmt. Weihnachten 1981 dann sein radikaler Entschluss: Mit Spenden aus der "Wetten, dass..."-Sendung geht Böhm nach Äthiopien und beginnt mit 53 Jahren ein neues Leben. Von Beginn an begleitet ihn Berhanu Negussie. Der heute 64-Jährige spricht im Interview über die Anfänge Böhms am Horn von Afrika. Und davon, wie "Karl" die Menschen für sich gewann. Wie geht es ohne den 2014 verstorbenen Gründer bei "Menschen für Menschen" (MfM) weiter?
Berhanu Negussie: Ich habe damals mit Lepra-Patienten gearbeitet, die diskriminiert und stigmatisiert waren. Wir haben ihnen bei der Wiedereingliederung in ihren Dörfern geholfen. In dieser Zeit kam Karl im Erertal an. Er wusste ja nicht mal, wo er bleiben sollte. Also hat ihm das DAHW vorübergehend eines der Häuser zur Verfügung gestellt. Wir haben Tür an Tür gewohnt.

Negussie: Nein. Er wollte diese Menschen aus dem Lager, vertrieben durch Krieg und Dürre, im Erertal ansiedeln. Um ihnen das zu erklären, brauchte er jemanden, der ihre Sprache konnte, aber auch ihre Kultur und Tradition kannte. Also ging Karl zu meinem Chef beim DAHW und bat um Unterstützung. Ich sollte ihm vorübergehend helfen.
Negussie: Ja, so war es gedacht. Mein Chef sagte mir, ich solle Karl beim Übersetzen helfen – bis er jemand anders findet. Es war kurz vor Weihnachten 1981 im Notlager von Babile. Karl kam und sprach mit den Leuten, ich habe übersetzt.

Negussie: Nein. Er hat es mir erzählt, als wir uns trafen und zusammen unterwegs waren.
Negussie: Er war besonders. Zu dieser Zeit gab es kaum Leute, die so dachten wie er. Wobei es mir selbst gut ging beim DAHW, ich mochte meine Arbeit, wir hatten Erfolg. Als Karl mich bat, für ihn zu arbeiten, habe ich ihn an meinen Chef verwiesen. Aber ich dachte mir: Warum eigentlich nicht? Da lässt einer seinen Beruf zurück, sein privates, luxuriöses Leben – und kommt hierher, um unseren Leuten zu helfen. Das konnte ich am Anfang kaum verstehen. Karl hat mich sehr motiviert. Vor allem durch die Art, wie er mit den Leuten gesprochen hat, mit soviel Zuneigung und Liebe.
Negussie: Nicht nur. Ich habe dann mehr von seiner Vergangenheit erfahren. über Romy Schneider, "Sissi", seine Zeit in Hollywood. Und da sagte ich mir: Das alles lässt einer zurück, um in diesen elenden Verhältnissen hier zu leben, mit Malaria, anderen Krankheiten und allen Herausforderungen? Das hat mich beeindruckt. Wobei mich selbst Freunde für verrückt erklärt haben, meinen guten Job dafür aufzugeben. Sie haben mich gewarnt, dass das Spendengeld von 1,2 Millionen D-Mark aus der Sendung ja nicht länger als für ein oder zwei Jahre reichen würde.

Negussie: Nein. Ich war mir sicher, einen anderen Job zu finden, sollte das Geld ausgehen. Und ich wollte Karl, seine Mission und seine Ziele unterstützen. Ich habe bei "Menschen für Menschen" dann weniger verdient – aber das hat keine Rolle gespielt. Karl war Motivation genug. Wie er sich hat berühren lassen von der elenden Situation der Menschen und ihnen zugehört hat.
Negussie: Ja! Trotzdem war es keine leichte Entscheidung.
Negussie: Mein Chef war nicht glücklich darüber, auch später hat man sich darüber beklagt. Sie gingen davon aus, dass Karl nur eine zeitlang bleiben würde. Und sie wollten mich behalten, stellten mir einen Leitungsposten in Aussicht. Trotzdem habe ich mich Karl und MfM angeschlossen. Mit den anfangs 1,2 Millionen D-Mark sind wir nun seit 38 Jahren hier.

Negussie: Er ist auf die Leute zugegangen und hat ihnen seine Idee der Ansiedlung erklärt. Dass sie damit eine Zukunft und ein besseres Leben hätten. Aber es sie fanden es seltsam. Ein Weißer kommt aus heiterem Himmel und macht sich Gedanken über ihre Zukunft? Sie konnten es nur schwer verstehen. Also machte Karl einen Vorschlag: Die Nomaden sollten zehn Vertreter benennen, fünf Frauen und fünf Männer. Ihnen wollte er das Erertal zeigen, wo sich die Menschen ansiedeln sollten. Dann sollten sie den übrigen berichten. Der erste Einwand der Siedler war sofort: Warum Frauen? Doch Karl bestand darauf. Er wusste ab diesem Moment Bescheid über die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen in Äthiopien – und ihm war klar, dass er hier etwas ändern wollte. Als die zehn von dem Besuch zurückkehrten, waren sie vom Plan überzeugt und sagten: Ja, wir kommen mit dir.
Negussie: Ja. Karl wollte die Leute aktivieren. Er hat sich zu ihnen ins Lager gesetzt und gesagt: Ich bin kein Weißer, der mit Taschen voller Geld kommt, sie hier ausleert und wieder heimfährt. Er sagte: Ich bin hier, um mit Euch zu arbeiten und zusammen mit Euch eine Zukunft aufzubauen. Die Leute mussten sich von Beginn an einbringen. Deshalb ist die Arbeit von MfM auch nachhaltig.

Negussie: Absolut. Und uns Mitarbeitern hat er erklärt: Ich bin nicht hier als Professor. Nicht als einer, der weiß, was gut ist für Euch. Er zitierte Sokrates: "Ich weiß, dass ich nichts weiß." Also, sagte er, lasst uns zusammensetzen – ich lerne von Euch, Ihr lernt von mir. Das war sein Prinzip.
Negussie: Ja. Ich hatte viele Diskussionen mit ihm. Karl wusste, dass er die Tradition, die Kultur, den Glauben der Menschen respektieren musste. Er hat niemals versucht, den Bauern etwas aufzudrängen, sondern ihnen eine Veränderung in Aussicht gestellt. Darüber wurde dann intensiv diskutiert. Zum Beispiel über Familienplanung. Karl hat die Leute darauf hingewiesen, dass zu viele Kinder nicht gut sind für die Entwicklung und dass sie verhüten sollen. Die Siedler haben sich zunächst gewehrt, das sei gegen die Natur. Später wurde Familienplanung aber ein ganz wichtiges Thema überall bei "Menschen für Menschen". Man musste nur behutsam herangehen, damit die Menschen Vertrauen fanden und sich für Veränderung öffneten.

Negussie: Karl hat auch mein Leben verändert. Was ich von ihm gelernt habe, hätte mir kein Institut der Welt beibringen können. Ich habe als Sozialarbeiter, als Übersetzer angefangen. Er hat mich überzeugt, ich habe mich entwickelt. Heute sitze ich hier als Landesrepräsentant von "Menschen für Menschen". Karl hat die Mitarbeiter auf seine Art motiviert. Er sagte immer: Arbeitet nicht wegen des Geldes. Ihr verdient weniger als bei anderen Organisationen. Arbeitet für eure Landsleute.
Negussie: Wir vermissen ihn sehr. Die Struktur der Organisation steht, die Arbeit geht weiter. Aber er fehlt für die Spendenwerbung. Da konnte er mit seiner Bekanntheit viel erreichen. Sein Tod und die Negativkampagne eines Großspenders haben die Situation deutlich schwieriger gemacht. Die Menschen hatten großes Vertrauen in Karl und haben deshalb gespendet. Heute haben wir weniger.

Negussie: Wir sind am Abend davor noch fünf, sechs Kilometer im Erertal zu Fuß gelaufen. So wie wir das immer gemacht haben. Und dann der Unfall. Wir waren zusammen im Auto auf der Strecke von Dire Dawa nach Harar unterwegs, da hat uns ein anderes Fahrzeug gerammt. Für Karl war es ein großer Schock, von dem er sich nie mehr richtig erholt hat.
Negussie: Ja, wenn Sie mich fragen: Ich würde mir das wünschen. Die Leute fragen nach ihr.

Negussie: Sie war es und bleibt es. Weil wir nicht isoliert arbeiten, sondern zusammen mit den Dorfgemeinschaften, den Gemeinden und Bezirken. Die Leute beteiligen sich. Wenn wir eine Handwasserpumpen bauen lassen – dann kommt niemand, der bis zur Quelle gräbt. Nein, das müssen die Leute vor Ort machen. So werden die Projekte zu ihrer eigenen Sache. Das war Karls Überzeugung: So viel Verantwortung wie möglich in äthiopische Hände geben.
Negussie: Aber selbstverständlich! Sie ist für das schwer erreichbare Tal sehr wichtig. Wir sind den Spendern Ihrer Zeitung noch immer sehr dankbar dafür.

Wieder ein SUPER Artikel, der weit über den regionalen Tellerrand blicken lässt.
Für die ältere Generation, denen der Schauspieler KH.Böhm noch ein bekannter Begriff ist, gibt Ihr Beitrag wertvolle Informationen darüber, was aus dem damaligen Engagement von Böhm geworden ist. Für die "junge Generation" denen der Name Böhm nichts sagt, gibt der Artikel einen um so wertvolleren Einblick in die wertvolle Arbeit der Organisation MfM.
Dannke an Autor und Redaktion !
mfG
Reinhold Scheiner