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Mit einer Wette begann sein neues Leben
Von unserem Redaktionsmitglied Andreas Jungbauer
 |  aktualisiert: 17.10.2017 12:35 Uhr

Urplötzlich bremst der Geländewagen ab. Stockfinster ist die äthiopische Nacht am Rande des Städtchens Harar. „Macht eure Lichter aus“, ruft der Mann mit dem grauen, schütteren Haar und streckt seinen Arm in den afrikanischen Sternenhimmel: „Schaut, der Andromedanebel! Man sieht ihn nirgends so schön wie hier.“ Tausende von Lichtjahren ist die Galaxie von der Erde entfernt. Und Karlheinz Böhm musste erst nach Äthiopien kommen, um den gigantischen Sternenhaufen zu entdecken. Als hätte er ihm den Weg gewiesen in ein gelobtes Land – ein Hungerland, bitterarm und doch so faszinierend. Ein Land am Horn von Afrika, in dem Böhm außer dem Andromedanebel noch so viel mehr fand: seine Lebensaufgabe, seine Liebe, seine Wurzeln. Seit 2003 ist Böhm äthiopischer Ehrenstaatsbürger. Am Sonntag feiert der Schauspieler seinen 80. Geburtstag.

Als er am 27. Oktober 1981 im Flugzeug nach Addis Abeba sitzt, hat er nicht nur 1,7 Millionen Mark an Spendengeldern im Gepäck, sondern auch eine gehörige Ladung Naivität. Er hat keine Vorstellung von der Not in Afrika. Nur Bilder im Kopf, die ihn schockiert haben. Fernsehbilder aus der Sahelzone. Ausgemergelte Mütter. Schreiende, bis auf die Knochen abgemagerte Kinder.

Bei einem Kuraufenthalt in Kenia hatte ihn einmal ein Kellner in seine private Hütte geführt. Dass die Touristen in Mombasa den Fisch serviert bekommen, für die Einheimischen nur die Köpfe bleiben – das hatte Böhm verstört. Und dann diskutiert im Oktober 1980 der Bundestag über 100 Millionen D-Mark Mehrausgaben für Flugübungsbenzin der Bundeswehr. In dem Schauspieler, der sich erst als Spät-68er vor allem unter dem sozialkritischen Einfluss von Regisseur Rainer Werner Fassbinder politisierte, keimt die Wut. Wut, die er noch heute als die Antriebsfeder für seine unermüdliche Aufbauarbeit mit der von ihm gegründeten Organisation „Menschen für Menschen“ in Äthiopien bezeichnet.

„Hier in Äthiopien hat sich all meine Sehnsucht erfüllt“

Karlheinz Böhm über sein zweites Leben in Afrika

Getrieben von dieser Wut formuliert er bei Frank Elstner in der legendären „Wetten, dass . . ?“-Sendung am 16. Mai 1981 den Wendepunkt seines Lebens. Er stottert, verhaspelt sich. So aufgeregt ist der damals 53-Jährige. Hat er eine Vorahnung, worauf er sich hier einlässt? Er wettet, dass nicht jeder Dritte in Deutschland, Österreich und der Schweiz bereit sei, eine Mark (sieben Schilling oder einen Franken) für Not leidende Menschen in Afrika zu spenden. Böhm gewinnt die Wette. Es kommen „nur“ 1,7 Millionen Mark zusammen. Der Schauspieler – gerade erfolgreich auf die Theaterbühnen zurückgekehrt – will sich persönlich um den Einsatz der Spenden kümmern. Böhms neues Leben in Äthiopien beginnt.

Kurz vor seinem Abflug nach Afrika stirbt sein Vater, der weltberühmte Dirigent Karl Böhm. Wenig später seine Mutter, die gefeierte Sopranistin Thea Linhard. So wird das Jahr 1981 für Karlheinz Böhm der Beginn einer Selbstfindung, Selbstbefreiung und Loslösung – nicht zuletzt von Eltern, die mit Autorität und Strenge das Einzelkind in jungen Jahren zum Einzelgänger machten. Die Probleme des heranwachsenden Filmstars gipfeln in einem Suizidversuch. Als er 20 ist, schneidet er sich die Schlagader auf, weil er seine Eltern eine Dreiviertelstunde vor verschlossener Haustür warten ließ und mit Liebesentzug bestraft wurde. Böhm überlebt nur durch einen Zufall.

Überhaupt die Suche nach Liebe. Privat scheitert Böhm damit in drei Ehen. Selbstkritisch blickt er darauf zurück und gibt zu, dass er seinen Frauen damals die Luft zum Atmen genommen habe. Der nach der „Sissi“-Trilogie gefeierte Filmstar machte es seinen Nächsten nicht immer leicht. Meinungsverschiedenheiten auszutragen, gehörte nicht zu seinen Stärken. Bezeichnend, dass er sich 1983 ausgerechnet mit Hugo von Hofmannsthals Stück „Der Schwierige“ endgültig von der Theaterbühne verabschiedete.

Schauspieler aber ist er immer geblieben, darauf legt Böhm großen Wert. Wobei er nur noch eine einzige Rolle spielt: sich selbst. Als unbequemer Streiter für eine gerechtere Welt. Als Humanist und Pazifist („Waffenproduzenten sind die wahren Schwerverbrecher auf unserem Planeten“). Als Kämpfer gegen die Armut in einem der ärmsten Länder der Welt und – seit einigen Jahren: als lautstarker Anwalt äthiopischer Mädchen und Frauen gegen die brutale Tradition der Beschneidung.

Wo er hilft, nennen sie ihn „Vater“. Und er geht herzlich auf die Menschen zu, sucht den Körperkontakt. „Mir knutscht er zu viel“, urteilte einmal ein deutscher Afrika-Diplomat etwas salopp über Böhm. Aber gerade diese Unverkrampftheit hat ihn für die Äthiopier zu einem der ihren gemacht.

„Hier in Äthiopien“, sagt er, „hat sich all meine Sehnsucht in einer wunderbaren Weise erfüllt.“ Das gilt für seine Arbeit und ganz besonders für seine große Liebe, die äthiopische Rinderzuchtexpertin Almaz Teshome, die heute Almaz Böhm heißt und mit der er (nach fünf Kindern aus den ersten drei Ehen) Sohn Nicolas (17) und Tochter Aida (15) groß gezogen hat. Die 44-Jährige ist seit 1999 stellvertretende Vorsitzende der Stiftung „Menschen für Menschen“. Sie steht bereit, die Nachfolge ihres berühmten Gatten anzutreten. Und wohl kaum einer, der sie kennt, würde das der ebenso charmant wie resolut auftretenden Frau nicht zutrauen.

Doch solange es seine Kräfte erlauben, will Karlheinz Böhm persönlich den Fortgang der Projektarbeit in Äthiopien managen. Noch fühlt er sich dazu in der Lage. Er hält es mit seinem Vater, der bis ins Alter von 87 Jahren am Dirigentenpult stand: „Wenn du anfängst, an die Rente zu denken, dann kauf' dir lieber gleich einen guten Sarg und ein schönes Grab, dann ist es eh' bald vorbei.“

Mit der Erbschaft des Vaters und den eigenen Tantiemen war es Karlheinz Böhm bis heute möglich, ohne Gehalt für seine Hilfsorganisation zu arbeiten. So sehr das rosarote Marzipanschweinchen-Image als Kaiser Franz Joseph aus den „Sissi“-Filmen bis ans Lebensende an ihm kleben wird – der Schauspieler steht zu der Rolle. Gut gemachte Unterhaltungsfilme seien das damals gewesen. Nicht mehr, nicht weniger. Er verdankt „Sissi“ seine große Popularität, die er als Spendensammler heute für die Menschen in Äthiopien einsetzt. „Man muss sich zu allem bekennen, was man im Leben gemacht hat.“ Das meint Böhm mit Blick auf die „Sissi“-Schnulzen, seine sozialkritischen Fassbinder-Filme genauso wie seinen privaten Lebenswandel.

Der Entwicklungshelfer? Böhm mag den Begriff nicht. Dafür steht er der Entwicklung der westlichen Welt mit ihrem zerstörerischen Ressourcenverbrauch viel zu kritisch gegenüber. Er will mit „Menschen für Menschen“ beitragen, dass sich Äthiopien selbstbestimmt und frei entwickeln kann. Er geißelt den Kolonialismus, mit dem Europa den afrikanischen Kontinent ausgeplündert hat. Eine Altlast, die nachwirkt. „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Mit dem Leitsatz des griechischen Philosophen Sokrates ging Böhm Anfang der 80er Jahre nach Äthiopien. Er hatte kein fertiges Rezept im Koffer. Er wollte zuhören, voneinander lernen und gemeinsame Entwicklungswege finden. Vielleicht ist dieser Zugang der entscheidende Schlüssel für den nachhaltigen Erfolg seiner Organisation in Äthiopien.

„Man muss sich zu allem bekennen, was man im Leben gemacht hat“

Karlheinz Böhm über seine Filme und seine Vergangenheit

Nur einmal in den 27 Jahren war er nahe dran aufzugeben. Das war im Mai 1994, als ein Fahrzeug von „Menschen für Menschen“ auf eine Mine gefahren war. Zehn Menschen starben, darunter Mitarbeiter, Frauen und Kinder. Ein Schock für Böhm. Doch er machte weiter. Genauso wie nach seinem schweren Autounfall vom vergangenen Oktober. Auf einer kurvenreichen Bergstrecke im Osten des Landes wurde sein Auto frontal gerammt. Mit Rippenbrüchen, Prellungen und weiteren Verletzungen flog man Böhm und seinen äthiopischen Stellvertreter Berhanu Negussie in ein Salzburger Krankenhaus.

Beide sind wieder genesen. Und so kann Böhm am Sonntag mit seiner Familie im Haus in Grödig bei Salzburg seinen Geburtstag feiern. Wunsch hat er eigentlich nur einen: „Wenn Sie mir etwas schenken wollen, dann spenden Sie für 'Menschen für Menschen'“, ließ er jüngst wissen. Zu seinem 80. Geburtstag hat die Organisation eine neue Bildungsinitiative gestartet. Mit dem Programm „ABC – 2015“ soll in den nächsten acht Jahren die Alphabetisierungsrate in Äthiopien von derzeit unter 50 Prozent deutlich gesteigert werden. Unter anderem mit dem Bau neuer Schulen. Allein in diesem Jahr sind 36 geplant.

Erst vor drei Jahren wurde im ostäthiopischen Örtchen Wolkebela die „Main-Post-Schule“ als 100. Schule von „Menschen für Menschen“ eröffnet. Sie war – neben einer neuen Krankenstation – das tolle Ergebnis einer von dieser Zeitung organisierten Spendenwette zwischen Böhm und den Menschen in der Region Mainfranken. 300 000 Euro kamen damals zusammen. Anders als in der Fernsehsendung 1981 hatte Böhm die Wette verloren. Für die Menschen in Äthiopien sogar sehr gerne.

Eröffnung der Main-Post-Schule in Wolkebela im Februar 2005. Es war damals die 100. Schule, die „Menschen für Menschen“ in Äthiopien gebaut hat. Mittlerweile sind es bereits 191.
Foto: FOTO Andreas Jungbauer | Eröffnung der Main-Post-Schule in Wolkebela im Februar 2005. Es war damals die 100. Schule, die „Menschen für Menschen“ in Äthiopien gebaut hat. Mittlerweile sind es bereits 191.
Erst vor vier Wochen erhielt Karlheinz Böhm die Berlinale-Kamera verliehen, hier gemeinsam mit seiner äthiopischen Frau Almaz.
Foto: FOTO ddp | Erst vor vier Wochen erhielt Karlheinz Böhm die Berlinale-Kamera verliehen, hier gemeinsam mit seiner äthiopischen Frau Almaz.
Mit „Sissi“ (Romy Schneider) wurde er weltberühmt.
Foto: FOTO Cinetext | Mit „Sissi“ (Romy Schneider) wurde er weltberühmt.
 
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