
Jeder braucht in seinem Leben einen verlassenen Garten
oder ein altes Haus, dessen Wände sich abschälen.
Jeder braucht noch eine andere, eine vergessene Welt.
Mit großer Sehnsucht blicken Adams Nachkommen
auf die Landschaft. Und sie geben ihr Körpernamen:
Rücken des Berges, Füße des Berges, Schultern des Berges.
Auch Kriegsleute bezeichnen Ziele
für einen schweren Schlag mit zarten Worten:
die Anhöhe, die Senke, die Steige, der Treffpunkt.
Denn jeder braucht in seinem Leben einen verlassenen Garten
(Adam und Eva wußten, daß jeder einen solchen Garten braucht)
oder ein altes Haus,
oder wenigstens eine einzige verschlossene Tür,
die er in Ewigkeit nicht wieder öffnen wird.
Der in Würzburg 1924 als Ludwig Pfeuffer geborene Jehuda Amichai würde am 3. Mai 2024 seinen 100. Geburtstag feiern. 1936 nach Palästina ausgewandert, lebte Amichai bis zu seinem Tod 2000 in Jerusalem. Ihm zu Ehren veröffentlicht die Main-Post unter dem Motto "Amichai lesen!" in loser Folge einige seiner Gedichte in der Übersetzung von Karlheinz Müller.
Jehuda Amichai ist der weltweit bekannteste Dichter und Schriftsteller aus Würzburg. Sein Werk umfasst einen Roman, Theaterstücke, Hörspiele und über 1500 Gedichte. Er wurde mit dem Israel-Preis und dem Würzburger Kulturpreis ausgezeichnet - und war sogar mehrfach für den Nobelpreis nominiert. Im Mai feiert die Stadt Würzburg den 100. Jahrestag seiner Geburt mit zahlreichen Veranstaltungen.
Foto: Petra Winkelhardt/Grafik: Main-Post
Die hier abgedruckten Übersetzungen sind dem Buch "Auf meinem Tisch liegt ein Stein. Festschrift zum 100. Geburtstag von Yehuda Amichai", die im Verlag Königshausen & Neumann erschienen ist (ISBN 978-3-8260-8769-1).
Weitere Informationen zu den Veranstaltungen und Jehuda Amichai: www.wuerzburg-liest.de.