Muchtar Al Ghusain wechselt nach Essen. Dort wird er, was er noch in Würzburg ist: Referent – die Nordrhein-Westfalen sagen „Beigeordneter“ für Bildung und Kultur. Das Jugendressort kommt dazu, dafür muss er sich nicht mehr, wie in Würzburg, um den Sport kümmern.
Seit 2006 ist er in Würzburg im Amt, als Chef von, sagt er, etwa 500 Leuten, das Mainfranken Theater nicht mitgezählt. In Essen wird er Chef von etwa 2500 Leuten sein.
In den vergangenen Jahren, seit seiner OB-Kandidatur im Jahr 2013, wehte ihm im Stadtrat ein eisiger Wind ins Gesicht. Mit der Übernahme des SPD-Vorsitzes in der Stadt erwärmte er seine Gegner nicht. Die CSU beharkte ihn, wo sie konnte, auf allen Feldern. Christian Schuchardt, der Oberbürgermeister, entzog ihm die Zuständigkeit für die Sanierung des Mainfranken Theaters.
Die SPD gibt CSU und OB die Schuld
Al Ghusains Genossen hadern. „Man hätte Muchtar Al Ghusain in Würzburg halten müssen“, schreibt die SPD-Stadtchefin Katharina Räth, CSU und OB hätten nach dem Kommunalwahlkampf „die Parteibrillen aufbehalten“, ihm die Parteizugehörigkeit übel genommen und die Unterstützung verweigert. SPD-Fraktionschef Alexander Kolbow meint, der OB riskiere durch Al Ghusains Weggehen die Umsetzung des Schulsanierungskonzepts.
Im gemeinsamen Gespräch versicherten Schuchardt und Al Ghusain dieser Redaktion allerdings, sie hätten nach der Wahl „zu einem offenen und kollegialen Umfang“ gefunden und empfänden „großen Respekt“ und „hohe Wertschätzung“ füreinander. Zu ihren Aufgaben gehöre eben, unterschiedliche Ansichten „diskursiv“ auszutragen. Schuchardt sagt, er sei über Al Ghusains Ansichten im Bilde gewesen. Er wünsche ihm „von Herzen alles Gute“.
Al Ghusain hatte Lust auf was Neues
Al Ghusain berichtet, „selbst, wenn alles super gewesen wäre“, hätte er sich gefragt, ob er nach zwölf Jahren in Würzburg „nicht noch mal was Neues machen will“. Leicht falle ihm der Wechsel allerdings nicht. Würzburg, seine Heimatstadt, gebe er „nicht mal so locker auf“.
Voraussichtlich am 1. März 2018 wird er in Essen anfangen. Eine Koalition aus SPD, CDU, FDP und Grünen hat ihn mit großer Mehrheit gewählt. Acht Jahre währt in Nordrhein-Westfalen die Amtszeit der kommunalen Wahlbeamten, zwei Jahre länger als in Bayern.
Die Essener SPD ist begeistert, die CDU zuversichtlich
53 Mitbewerber hatte er. Drei waren am vergangenen Freitag eingeladen, vor dem Stadtrat für sich zu werben – neben Al Ghusain ein ehemaliger Bürgermeister der Stadt Dresden und ein Verleger. Der Fraktionsvorsitzende der Essener SPD, Rainer Marschan, berichtet, Al Ghusain habe überzeugt mit „Kompetenz, Sachlichkeit und Ruhe“. Er habe eine „freundliche und zuvorkommende Art“ und „weiß, was er will“.
Marschans Kollege von der CDU, Jörg Uhlenbruch, teilt diesen Eindruck im Wesentlichen. Beide schätzen Al Ghusains Erfahrungen in Sachen Kultur und Schule, beide erwarten, dass er in Essen einen Schulentwicklungsplan präsentiert, wie er das in Würzburg getan hat. Für die CDU ist laut Uhlenbruch auch wichtig, dass Al Ghusain mit seiner deutsch-jordanischen Herkunft Sensibilität für die Integration von Migranten mitbringt. Marschan spricht von Begeisterung für Al Ghusain, Uhlenbruch von einem Gewinn für Essen.
Essen, die zweitgrößte Stadt des Ruhrgebiets, hat knapp 600 000 Einwohner. 2010 war sie Kulturhauptstadt Europas. Al Ghusain findet „unheimlich viel Großartiges in der Geschichte und Gegenwart des Ruhrgebiets“, ein „sehr offenes Klima und pulsierendes Leben“.
Von Wein und Barock zu Bier und Bergbau
Der Unterschied zu Würzburg ist frappant. Die Stadt am Main ist, als früherer Sitz der Fürstbischöfe, geprägt von Verwaltung, Universität, Wein und Barock. Essen ist geprägt von Arbeiterschaft, Bier, Bergbau und Stahlindustrie. Während Würzburg einen vergleichsweise geraden Weg durch die Zeit nimmt, ist Essen, wie das gesamte Ruhrgebiet, in einem umfassenden Umbruch, weg von Kohle und Stahl, hin zur Dienstleistung.
Dass Essen nicht als Schönheit unter den Städten gilt, stört Al Ghusain nicht. Jede Stadt habe ihre Qualitäten. Es müsse nicht alles nur schön sein, sagt er, „es darf auch sinnvoll sein. Man will ja auch was bewegen, ich will es nicht nur gemütlich haben“.
Am Samstag wird Al Ghusains Stelle öffentlich ausgeschrieben. Anders, als ursprünglich geplant, soll seine Nachfolgerin/sein Nachfolger nicht zum 1. September 2018, sondern, so Schuchardt, „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ antreten. So lange die Stelle vakant ist, übernehmen Sozialreferentin Hülya Düber und Kommunalreferent Wolfgang Kleiner Al Ghusains Aufgaben.
Er hat sich entschieden und das ist zu akzeptieren, alles andere ist seine Privatsache.
Nun ja, treffender hätte man es nun wirklich nicht formulieren können.