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Würzburg
Adventskalender: Was Heimat bedeutet und warum es Herberge braucht
Verlorene Heimat, zerstörte Herberge: Eine Familie steht innerhalb des ausgebrannten Flüchtlingslagers Moria in Griechenland (10. September 2020). 
Foto: Socrates Baltagiannis, dpa | Verlorene Heimat, zerstörte Herberge: Eine Familie steht innerhalb des ausgebrannten Flüchtlingslagers Moria in Griechenland (10. September 2020). 
Bearbeitet von Torsten Schleicher
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:23 Uhr

Von Leander Sukov

Wenn ich mich an die Weihnachtsfeste meiner Kinderzeit in Hamburg erinnere, scheint es stets geschneit zu haben. Die Elbe ist zugefroren und die Alster, der schöne große See mitten in der Stadt, auch. Vermutlich haben alle Menschen meines Alters ganz ähnlich Erinnerungen. Sie sind falsch, aber schön. Der kalten, weißen Weihnachten waren es nicht viele. Aber mehr als heute waren es allemal.

Ich ging an der Hand meines Großvaters hinunter zur Elbe, die Eisschollen anschauen, die sich hoch zu kleinen Gebirgen aufgeschoben hatten. Mehr als fünfzig Jahre ist das jetzt her. Aber ich erinnere mich an das Gefühl von Geborgenheit, an die Kerzen auf dem Baum, an den Duft des Gänsebratens. Und das Festessen wurde begleitet von den Erzählungen über Ostpreußen und die ostpreußischen Winter. Denn meine Mutter und meine Großeltern waren zum Ende des Krieges von dort nach Hamburg geflohen.

Happy End zu Weihnachten

Als wir gerade zwei Jahre in Ochsenfurt lebten, kamen die Flüchtlinge über die Balkanroute. Wir nahmen eine Familie in das Haus auf. Und danach wohnte noch ein Junge aus Nigeria hier. Die Familie war quasi gestrandet: Nach der Asylgewährung gab es keine Herberge mehr. Sie standen auf der Straße. Und es war Weihnachten. Die Main-Post berichtete damals darüber. In der Tat: Es war eine Weihnachtsgeschichte mit Happy-End.

Für uns war das eine ganz eigene, innere Verpflichtung. Ich bin ja Schriftsteller und als Vize-Präsident des deutschen PEN-Zentrums für Writers-in-Exile zuständig. Ich kenne also das Leid von Geflüchteten. Die vielen Kleinigkeiten, die Heimat ausmachen, die Familie, die Freunde, die Gerüche, die Sprache, die Katze des Nachbarn, die immer um die Mittagszeit kam, die Bäume vor dem Haus, alles bleibt zurück. So wie es meinen Kolleginnen und Kollegen heute geht, ging es auch denen, die während der NS-Herrschaft fliehen mussten und Weihnachten irgendwo auf der Welt verbrachten.

Meine Großeltern und meine Mutter haben den Verlust der "kalten Heimat" nie wirklich verwunden. Dabei wollten sie gar nicht "Vertriebene" sein. Und doch waren sie es. Es ging ja nicht anders, der Erinnerungen halber. In Ochsenfurt leben viele, die aus Schlesien kamen und nun dazu die aus Syrien, Eritrea und aus anderen Ecken der Welt. Lauter Weihnachtsgeschichten könnten das sein, wenn wir die Herberge gewähren mit offener Hand.

Adventskalender: Was Heimat bedeutet und warum es Herberge braucht

Leander Sukov  ist Schriftsteller und Vize-Präsident des deutschen PEN-Zentrums. Er lebt in Ochsenfurt.

In der Kolumne „Würzburger Adventskalender“ erzählen Menschen aus der Region Würzburg Anekdoten rund um Advent und Weihnachtsfest.

 
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