Der Fall dürfte Studierende aufhorchen lassen: Gilt eine Prüfung als "nicht bestanden", wenn sie handschriftlich als Zweitversuch gekennzeichnet wurde? Zumindest können gravierende Probleme entstehen. Erleben mussten dies zwei junge Frauen aus Würzburg und dem Kreis Mettmann, beide wollen Gymnasial-Lehrerinnen werden.
Ein erster Versuch in der Ersten Staatsprüfung war schiefgegangen. So schrieben die heute 27-Jährigen im Frühjahr 2019 mehrere Klausuren im Fach Deutsch als Wiederholung. Dabei notierten sie auf vier Prüfungen in Literaturwissenschaft und Didaktik den Vermerk "Zweitversuch". Weitere Wiederholer machten es offenbar genauso.
Kultusministerium kassierte Klausuren wegen "Beeinflussungsversuch"
Zunächst schien alles in Butter: Nach der Korrektur wurden die beiden Frauen über ihr Bestehen informiert. Umso größer muss der Schock gewesen sein, als das Kultusministerium – zuständig für die Lehramtsprüfungen – die Klausuren als "nicht bestanden" wertete. Begründung: Mit der Kennzeichnung als "Zweitversuch" hätten sie die Prüfer beeinflussen wollen. Für die beiden Studentinnen drohte eine Welt zusammenzubrechen. Aus und vorbei der Lehrertraum? Ein Lebensweg verbaut nur wegen eines leichtsinnigen Vermerks?
Julia H. und Ebru K. zogen gegen den Freistaat und seine Entscheidung vor das Würzburger Verwaltungsgericht. Dort wiesen sie darauf hin, dass die Kennzeichnung "Zweitversuch" zumindest unter Lehramtsstudenten an der Uni Würzburg gängige Praxis gewesen sei. Moniert habe dies das Ministerium bisher nicht. Tatsächlich vermutete auch die Zweite Kammer mit ihrem Vorsitzenden Richter Rudolf Emmert eine hohe Dunkelziffer.
Das Kultusministerium war bei der wegen Corona verspätet angesetzten Verhandlung nicht anwesend, hatte aber bereits im Folgesemester im Herbst 2019 reagiert: Auf dem Merkblatt für die Prüflinge wird seitdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Angaben wie "Wiederholer", "Zweitversuch" oder "letzte Chance" als Beeinflussungsversuch gewertet werden.
Solche Klarheit hatten Julia H. und Ebru K. vor ihren eigenen Klausuren noch vermisst. Und warum wurden diese von den Prüfern selbst ohne Einwände abgenommen? Auch dies spricht aus Sicht ihres Anwalts Christian Daxhammer dagegen, dass die handschriftliche Anmerkung als Beeinflussungsversuch überhaupt tauglich ist.
Bundesverwaltungsgericht legt Messlatte für "Beeinflussung" hoch
Wegweisend für die Urteilsfindung war nicht zuletzt eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom März 2012: Ein verantwortungsvoller Prüfer, so die Leipziger Richter, lasse sich nicht allein von der Kenntnis beeinflussen, dass es sich um einen Wiederholungsversuch handelt – nicht einmal bei einem Anruf durch den Prüfling, wie im dort verhandelten Fall. Automatische Sanktionen wie Durchfallen seien nicht angebracht.
Und selbst wenn sich ein Prüfer vom Wiederholervermerk beeinflusst fühlen sollte: Eine Klausur und ein Examen deshalb für ungültig zu erklären und angestrebte Berufe zu verbauen – "das ist schon ein hartes Schwert", befand Verwaltungsgerichtspräsident Rudolf Emmert. Er verwies auf die gesetzlich gebotene Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme. Zumal im Prüfungsmerkblatt des Ministeriums ein klarer Hinweis auf mögliche Folgen bis Herbst 2019 gefehlt habe.
Gericht: Vorsatz den Studentinnen nicht nachzuweisen
Die aus ihm, zwei Berufsrichterinnen und zwei ehrenamtlichen Richtern bestehende Kammer war den Studentinnen wohlgesonnen – auch wenn intern offenbar kontrovers gerungen wurde. Ein Vorsatz, dass sie die Prüfer gezielt beeinflussen wollten, sei ihnen aber nicht nachzuweisen, so Emmert. Der Vermerk "Zweitversuch" allein reiche dafür nicht aus.
Die Erleichterung der beiden Studentinnen war nach dem Urteilsspruch zu ihren Gunsten groß. Julia H. hatte sich zuletzt als Fremdsprachenkorrespondentin durchgeschlagen, Ebru K. hing wegen verpasster Fristen komplett in der Luft. Nun können sie beide wieder optimistisch in eine Zukunft als Gymnasial-Lehrerinnen blicken – und ins Referendariat starten.
Ende gut, alles gut? Andere Gerichte haben in ähnlichen Fällen weniger gnädig und negativ für die Studierenden entschieden. Und so gab die berichterstattende Richterin Carolin Opel den beiden auch mahnende Worte mit auf den Weg. Sie sprach von einer "großen Dummheit". Sie sei aber nicht so gravierend, dass sie mit einem tiefgreifenden Grundrechtseingriff zu sanktionieren wäre. Oder anders: "Sie haben mit Ihrer Extraschleife über das Gericht schon genug gelitten."
Einige Zeit haben die beiden Frauen bereits verloren, und das Kultusministerium könnte noch Rechtsmittel gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts einlegen. Präsident Rudolf Emmert hofft es nicht: "Sie haben gelernt: Man kann einen Fehler machen – aber darum kämpfen, dass er sich nicht so arg auswirkt."