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Würzburg
77-jährige Rentnerin muss ihre Wohnung in Würzburg verlassen: Krystyna Thiele zieht jetzt in eine WG
"An Empathielosigkeit nicht zu überbieten", findet eine Leserin, weil eine Rentnerin nach 23 Jahren ihre Wohnung in Würzburg verlassen muss. Der Fall hat ein großes Echo ausgelöst.
Ein Bettgestell und ein Kühlschrank stehen in dem WG-Zimmer, das die Stadt Würzburg der Rentnerin Krystyna Thiele zugewiesen hat. Am Donnerstag muss sie einziehen.  
Foto: Daniel Peter | Ein Bettgestell und ein Kühlschrank stehen in dem WG-Zimmer, das die Stadt Würzburg der Rentnerin Krystyna Thiele zugewiesen hat. Am Donnerstag muss sie einziehen.  
Gisela Rauch
 |  aktualisiert: 05.07.2024 10:00 Uhr

Gerade mal acht Tage vor ihrem erzwungenen Umzug hat die Stadt Würzburg die 77-jährige Rentnerin Krystyna Thiele darüber informiert, wo sie ab dem 30. November wohnen kann: Es handelt sich um ein Zimmer in einer WG in der Würzburger Zellerau, in der noch zwei andere Frauen leben.

"Das Zimmer ist groß und hat auch einen Balkon. Aber es hat auch ein Loch in der Wand, das mit Papier zugestopft ist. Und eine Glastür, durch die man alles sieht", sagt Thiele bei der ersten Besichtigung. Leider seien Küche und Bad, die sie mit den anderen Bewohnerinnen künftig teilen muss, heruntergekommen.

"Aber ich habe trotzdem unterschrieben", sagt Thiele. "Was sollte ich sonst tun? Sonst habe ich ab nächster Woche keine Unterkunft mehr." 334 Euro Nutzungsgebühr warm muss Thiele für das WG-Zimmer bezahlen. Ihre bisherige Zweizimmer-Wohnung kostet sie kalt 253 Euro.

Als Zumutung empfindet es Thiele, dass sie vor dem Umzug jedes Möbelstück und jedes Elektrogerät, das sie besitzt und in die neue Bleibe mitbringen will, von der Wohnungsnotfallhilfe genehmigen lassen muss. Was sie aber am meisten beunruhigt, ist ein weiterer Passus im Wohnübergabeprotokoll: "Der Wohnraum kann auch mehreren Personen zur gemeinsamen Nutzung zugewiesen werden."

Ein Leser fragt sich, warum die Stadt der Frau in 23 Jahren keine dauerhafte Wohnung vermittelt hat

Der Fall der 77-jährigen Frau, die von der Stadt Würzburg nach 23 Jahren aus ihrer 44 Quadratmeter großen Verfügungswohnung geworfen wird, weil die Stadt nach eigenen Angaben den Platz etwa für eine "Familie mit Kindern" braucht, hat ein großes Echo hervorgerufen.

Die 77-jährige Krystyna Thiele wohnt seit 23 Jahren in einer  Verfügungswohnung der Stadt Würzburg und wird jetzt zum Ende November 'umgesetzt'.
Foto: Patty Varasano | Die 77-jährige Krystyna Thiele wohnt seit 23 Jahren in einer Verfügungswohnung der Stadt Würzburg und wird jetzt zum Ende November "umgesetzt".

Zahlreiche Leserinnen und Leser zeigten sich empört. "Warum hat es die Stadt in den letzten 23 Jahren nicht geschafft, (der Frau) einen angemessenen Wohnraum zu vermitteln, wenn die Wohnung als Interimslösung gedacht war?", heißt es etwa in einem Brief an die Redaktion.

"Es mag ja rechtlich korrekt sein, und sicher gibt es viele Menschen und Familien, die dringend eine Bleibe benötigen. An Instinkt- und Empathielosigkeit ist dieser Vorgang und die damit einhergehende Kommunikation zur Betroffenen allerdings nicht zu überbieten", kommentiert eine Leserin.

Grund für Thieles Rauswurf: "Die Entscheidungen sind fokussiert auf die Wohnungsgröße"

Mitarbeiterinnen der Stadt hatten, wie berichtet, ausgerechnet an Thieles 77. Geburtstag am 19. Oktober ihr mündlich die Nachricht überbracht, dass sie ihre Verfügungswohnung nicht behalten kann. Danach ließen sie die alte Frau wochenlang im Unklaren über ihre zukünftige Adresse.

Als Grund für Thieles erzwungenen Auszug hatte ein Pressesprecher der Stadt angegeben, dass die Zahl der von Obdachlosigkeit bedrohten Menschen in Würzburg aktuell stark zunehme.

Dabei seien "Umverlegungen in diesem Kontext sicher 'ultima ratio'; lassen sich jedoch mittlerweile nicht mehr vermeiden, da beispielsweise bei Familien mit Kindern das Kindeswohl an erster Stelle steht", sagte er. "Die konkreten Entscheidungen hierbei sind fokussiert vor allem auf die Wohnungsgröße. Alter und Nationalität spielen hier selbstverständlich keine Rolle."

Zahlreiche Medien haben den Bericht über Thiele aufgegriffen – nicht immer korrekt

Thiele hatte berichtet, dass Mitarbeiterinnen der Stadt ihr gesagt hätten, dass die Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie gebraucht werde. Das hat die Stadt Würzburg jedoch dementiert. Dies sei weder gesagt noch geplant worden, heißt es von der Pressestelle der Stadt. Damit widersprechen sich die Aussagen der städtischen Pressestelle und der Rentnerin. Im Text dieser Redaktion wurde dies erwähnt.

Andere Medien ließen das allerdings unerwähnt. Der Text über den Rauswurf der alten Frau aus ihrer Verfügungswohnung wurde von zahlreichen anderen deutschen und schweizerischen Zeitungen oder der AfD-Unterfranken etwa in sozialen Medien weiterverbreitet. "Rentnerin muss für Asylbewerber Wohnung räumen", titelte etwa eine rechtskonservative Schweizer Zeitung – und verbreitete damit eine Behauptung und keinen geprüften Fakt.

Drohbriefe hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen erreichen die Stadt Würzburg

In der Folge machten etliche Menschen ihrer Empörung gegenüber der Stadt Würzburg Luft. Dabei gehört die Reaktion eines Lesers, der aus Wut künftig von einem Besuch des Würzburger Weihnachtsmarkts, vom Besuch von Heimspielen der Würzburger Kickers und von Einkaufstouren in die "schönen Residenzstadt Würzburg" abzusehen gedenkt, zu den milderen Reaktionen.

Geschockt zeigte sich ein Sprecher der Stadt über die "rund 20 Drohbriefe" und Drohanrufe. Solche Anrufe träfen "junge Vorzimmerdamen, die mit der Sache rein gar nichts zu tun haben", sagte er. Die Drohbriefe stammten allerdings erstaunlicherweise überwiegend nicht aus Unterfranken, sondern hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen, vor allem aus Wuppertal oder Hagen.

Wohnungsangebote für Thiele: Bisher leider zu viele Treppen

Unter den zahlreichen Reaktionen auf den Bericht sind auch Wohnungsangebote. Eine ältere Leserin aus Wertheim bot der alten Frau spontan eine Mitwohngelegenheit an, die allerdings für die 77-jährige Thiele wegen der 42 Treppenstufen zur Wohnungstür wohl nicht praktikabel ist: Die Rentnerin hatte vor kurzem eine Knie-OP und bewältigt "ein Stockwerk", aber wohl nicht dauerhaft mehrere.

Aus diesem Grund dürfte auch ein weiteres Wohnungsangebot einer Leserin mit einer Wohnung im dritten Obergeschoss nicht funktionieren. Deren bisherige Bewohnerin sucht gerade selbst noch nach einer rollstuhlgerechten Sozialwohnung.

Ein weiteres Wohnungsangebot einer hilfsbereiten Leserin ist eingegangen. Inwieweit dies vom Wohnort und den Kosten her passen würde, muss Thiele noch herausfinden. "Ich habe wenigstens die Möglichkeit, meine bisherigen Sachen bei Bekannten meines Sohnes einzulagern, das ist schon eine Hilfe", sagt die alte Frau.

Über die Anteilnahme etlicher Leserinnen und Leser an ihrem Schicksal habe sie sich sehr gefreut.

 
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