In den frühesten Schriften der Menschheit ist die Lepra schon erwähnt: im altägyptischen medizinischen Papyrus Hearst aus der Zeit um 1500 vor Christus, in indischen und chinesischen Überlieferungen Hunderte Jahre vor unserer Zeit. Und auch die Bibel erzählt davon: „Wer nun aussätzig ist, soll zerrissene Kleider tragen und das Haar lose und den Bart verhüllt und soll rufen: Unrein, unrein! Und solange die Stelle an ihm ist, soll er unrein sein, allein wohnen, und seine Wohnung soll außerhalb des Lagers sein“, heißt es im Alten Testament, im 3. Buch Mose. Als Geißel Gottes wurde die Lepra angesehen, als Bestrafung für Sünder.
Lepra gilt als eine der ältesten Infektionskrankheiten der Welt. Im Mittelalter verbreitete sie sich, wohl durch die Kreuzzüge, auch in Europa. „Aussatz“ genannt, weil die Betroffenen aus der Gemeinschaft verstoßen und vor der Stadt „ausgesetzt“ waren, erreichte sie ihren Höhepunkt als Volkskrankheit im 13. Jahrhundert. Mit dem Ende des 16. Jahrhunderts verschwand die Lepra in Mitteleuropa weitgehend wieder. Vermutlich, weil ein verwandtes Bakterium den Erreger zurückgedrängt hatte. Wer von der Lepra geschwächt war, wurde oft auch von der tödlichen Tuberkulose befallen. So trug sich die kaum ansteckende Lepra nicht weiter.
Gibt es Lepra überhaupt noch?
Seit dem Jahr 2000 betrachtet die Weltgesundheitsorganisation WHO die Lepra nicht mehr als Gesundheitsgefahr für die Allgemeinheit und spricht von „Eliminierung“. Ausgerottet also? „Lepra gehört wohl zu den am meisten unterschätzten Krankheiten der Welt“, sagt Jochen Hövekenmeier von der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe DAHW. Etwa 250 000 Menschen erkranken laut dem Würzburger Hilfswerk jedes Jahr weltweit neu an Lepra. Auch wenn die Infektionskrankheit seit fast 35 Jahren heilbar ist und die Patientenzahlen deutlich sanken – noch immer kommt es zu neuen Ansteckungen, noch immer werden Erkrankungen zu spät entdeckt, Betroffene stigmatisiert. Geschätzt leben zwei bis vier Millionen Menschen auf der Welt mit Behinderungen als Folge der Infektion.
Was ist Lepra?
Wie sieht der Erreger aus?
Am 28. Januar 1873 entdeckte und beschrieb der norwegische Arzt Gerhard Armauer Hansen erstmals den Erreger. Das Mykobacterium leprae zählt zur großen Familie der Mykobakterien, die beim Menschen auch die Tuberkulose, Buruli-Ulcus oder atypische Lungenentzündungen hervorrufen können. Es ist ein säurefestes Stäbchenbakterium, das außerhalb des Körpers bis zu zehn Tage überleben und nicht von Leukozyten verdaut werden kann. Es lässt sich auf keinem bekannten Nährboden anzüchten. Und es braucht eine nicht zu warme Umgebung: Im Körper wachsen die Bakterien deshalb meist in den Regionen mit vergleichsweise geringer Temperatur, also in Armen und Beinen oder am Kopf.
Der Keim teilt sich nur alle zwölf Tage und bildet keine Sporen. 1400 der 1600 Gene im Leprabakterium sind mit denen des Tuberkulose-Erregers identisch (der 4000 Gene hat). Vermutlich hat es im Laufe der Entwicklung über 2000 Gene verloren – ein bisher so bei keinem anderen Organismus beobachtetes Phänomen. Bestimmte Enzyme finden sich nur im Lepra-Erreger, das erklärt einige seiner Besonderheiten.
Wie wird Lepra übertragen?
Wahrscheinlich wird Lepra durch Tröpfcheninfektion übertragen – wie eine Grippe. Der Kontakt zu einem erkrankten Menschen muss eng und längerfristig sein, eine Berührung führt noch nicht zu einer Infektion. Die häufigste Übertragung von Lepra findet im direkten Umfeld statt: Das Ansteckungsrisiko ist für Haushaltsmitglieder acht Mal höher als für andere Menschen. Der genaue Ansteckungsweg ist nicht bekannt, die „Eintrittspforte“ des Keimes in den menschlichen Organismus konnte bislang nicht zweifelsfrei ausgemacht werden. Armut und schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung. Lepra tritt deshalb häufig dort auf, wo die Wohnverhältnisse schlecht und beengt sind. Und vor allem: wo die Menschen unterernährt sind und ein geschwächtes Immunsystem haben.
Rund 90 Prozent aller Menschen weltweit haben übrigens eine angeborene Immunität gegen den Erreger. Ohne selbst zu erkranken, können sie sich jedoch infizieren und andere anstecken.
Wann wird Lepra sichtbar?
Wie bei der Tuberkulose gibt es erhebliche Unterschiede zwischen latenten und sichtbaren sowie zwischen hoch ansteckenden und nicht ansteckenden Infektionen. Latente Infektionen ohne Symptome können über Jahre oder Jahrzehnte fortbestehen. Falls sie zur manifesten Erkrankung führen, beträgt die durchschnittliche Zeit bis zu den ersten Symptomen – wegen der langsamen Vermehrung der Bakterien – rund vier bis sechs Jahre. Bekannt sich auch Fälle mit einer Inkubationszeit von bis zu 30 Jahren. Viele Erkrankungen heilen im frühen Stadium spontan aus.
Wie verläuft die Erkrankung?
Wie kommt es zu den Behinderungen?
Geschwüre und Behinderungen, die man häufig bei Leprakranken sieht, werden nicht direkt durch das Bakterium hervorgerufen. Aber ein Leprapatient, der kein Gefühl in seinen Händen oder Füßen hat, verletzt sich leicht. Die Wunden und Infektionen werden durch das mangelnde Schmerzempfinden nicht sonderlich beachtet. Ohne Behandlung aber kann die Infektion ungehindert fortschreiten, was bis zum Verlust der Gliedmaßen führen kann.
Wo leiden Menschen an Lepra?
Jedes Jahr erkranken mehrere hunderttausend Menschen neu. Jeder zehnte neue Leprapatient ist ein Kind. Weltweit leben zwei bis vier Millionen Menschen mit leprabedingten Behinderungen. Die DAHW entdeckt in ihren 200 Projektgebieten in über 20 Ländern jährlich mehrere zehntausend neue Leprapatienten. Vor allem in den armen Ländern des Südens ist die Krankheit noch immer ein Problem: Über 70 Prozent aller Leprakranken leben in Indien, weitere Schwerpunkte sind Indonesien, Brasilien und Myanmar, das frühere Burma. Allein in Brasilien gibt es rund 40 000 neue Fälle pro Jahr. Sogar in Deutschland gab es seit 2012 laut DAHW elf Neuerkrankungen. Ihren Ursprung hatten sie jeweils in den stark betroffenen Ländern.
Ist Lepra heilbar?
Ja, Lepra ist heilbar – vollständig und einfach. Mithilfe von Medikamenten wird der Erreger in sechs bis 18 Monaten komplett abgetötet. Jahrhunderte lang waren Patienten isoliert und in Leprosorien verbannt worden. 1941, mit dem ersten erfolgreichen Einsatz von Sulfonamiden in den USA, begann endlich eine konkrete Therapie. Schon in den 20er Jahren war damit begonnen worden, doch die ersten Ansätze scheiterten – an der Überdosierung der Medikamente.
Wissenschaftlern des Forschungszentrums Borstel entwickelten, unterstützt von der DAHW, eine Kombinationstherapie, getestet in den 70er Jahren auf Malta in langjährigen Feldversuchen. Seit 1982 gilt die Kombinationstherapie als Standard: ein Mix aus den Antibiotika Rifampicin, Dapson und Clofazimin, die sechs bis zwölf Monate eingenommen werden müssen. So konnten laut WHO 16 Millionen Menschen geheilt werden. Die Behandlung kostet im Schnitt nur 50 Euro.
Welche Rolle hat die DAHW aus Würzburg?
Als in Würzburg im Januar 1957 ein Freundeskreis– betroffen von Berichten aus Äthiopien – das Aussätzigen Hilfswerk gründete, litten weltweit rund zehn bis 15 Millionen Menschen an Lepra. Die Krankheit war nicht heilbar, und fast niemand kümmerte sich um die Patienten, die ausgestoßen waren. Seitdem hat sich viel getan: Durch die DAHW haben in den vergangenen 60 Jahren mehr als zwei Millionen Leprakranke und vier Millionen TB-Patienten medizinische und soziale Hilfe erhalten.
Wichtig ist dem Hilfswerk vor allem die Aufklärung, Früherkennung – und eine rechtzeitige Therapie, um Ansteckungen und vor allem irreparable Schäden zu verhindern.
Mehr Informationen:
Viele Hintergründe, Reportagen und die Spendenmöglichkeit gibt es bei der Deutschen Lepra- und Tuberkulosehilfe: www.dahw.de