
Die Emotionen haben Roswitha Oehler schwer im Griff, als sie am Samstag die Bühne des Theaters Sommerhaus erklimmt und zum Mikrofon greift. Neben ihr ein Tischchen mit drei Stühlen, hinter ihr ein großes Plakat, dessen Aufschrift das Thema des Nachmittags verrät: 30 Jahre Mauerfall. Oehler, 60 Jahre alt, aus der DDR stammend und in Winterhausen wohnhaft, hat die Veranstaltung auf die Beine gestellt. Für sie ist der 30. Jahrestag des Mauerfalls am 9. November eine Herzensangelegenheit, und für viele andere Menschen ganz offensichtlich auch, denn das Theater ist bis auf den letzten Platz besetzt.
"Der 9. November 1989 war ein magischer Moment", sagt Roswitha Oehler. "Ohne ihn wäre meine Geschichte anders verlaufen." Nicht nur ihre Geschichte. Die Winterhäuserin hat viele Freunde, deren Leben von der Wende beeinflusst wurde. Zwei von ihnen hat sie eingeladen, um über ihre Erinnerungen zu sprechen. Auch über die Zeit davor, das Leben in der DDR. Wie schwer diese Zeit für manche war, das weiß die Tochter eines der Zeitzeugen. Für ihn ist die Erinnerung so aufwühlend, dass er auf seinen Beitrag an der Veranstaltung lieber verzichtet.
Dafür spricht seine Tochter, Jahrgang 1990 und damit ein "Einheitskind". Vor fünf Jahren begann sie, die Geschichte ihres Vaters aufzuschreiben. Vorher konnte er nicht darüber sprechen. Nicht über die Arbeiter- und Bauernfakultät in Halle, wo ein falsches Wort sofort Rügen nach sich zog, nicht über die NVA-Zeit, und auch nicht über seine spektakuläre Flucht aus der DDR im Jahr 1972.

Der andere Zeitzeuge stellt sich, gemeinsam mit seiner Frau, den Fragen von Main-Post-Redakteur Thomas Fritz. Eine glückliche Kindheit hatte er, erzählt der Mann aus der ehemaligen DDR. Er wächst auf in einer Normalität, wie Kinder sie fühlen, wenn ihr privates Umfeld intakt ist. Dass er eine Tante haben soll, die "drüben" wohnt, hört der Junge oft, aber er versteht es nicht. "Drüben" ist für ihn die andere Straßenseite, nicht der Westen.
Die Kirchengemeinden trugen den Protest auf die Straßen
Wie sehr das Regime die Freiheit seiner Bürger beschränkt, begreift er, als er erfährt, dass er niemals wird reisen dürfen. "Meine Welt brach zusammen", erinnert er sich. Woran es liegt? Das weiß er bis heute nicht so genau. Seine Stasi-Akte, die er eingesehen hat, gibt dazu nichts her. Möglicherweise misstraut ihm der Staat, weil er in der katholischen Kirchengemeinde aktiv ist. Für ihn ist die Gemeinde seine Oase.
Auch beruflich bremst ihn das System von Anfang an aus. Ein Studium wird ihm verweigert. Nur durch Eigeninitiative findet er eine Nische, in der er erfolgreich wird."Haben Sie nie an Flucht gedacht?" will Thomas Fritz wissen. Nein, sagt der Mann. Da waren seine Familie, die er durch solch ein Unterfangen nie und nimmer gefährdet hätte, und der große Freundeskreis. Und als die Kirchengemeinden anfangen, ihren Protest auf die Straße zu tragen, da ist er anfangs einfach nur dabei. Dann wird er aktiv, wie seine Frau. Am Ende, Wochen vor dem Mauerfall, da steht er auf der Straße mit all den anderen, die "Wir sind das Volk" rufen. Ohne zu wissen, wie alles enden wird.

30 Jahre ist all das jetzt her. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Hat die Wiedervereinigung die beiden jahrelang getrennten Staaten tatsächlich wiedervereinigt? Gibt es noch so etwas wie "Ossis" und "Wessis", und wie nehmen sie sich gegenseitig wahr? Der zweite Teil des Nachmittags bietet den Gästen die Gelegenheit, ihre Gedanken dazu zu äußern. Nicht wenige gebürtige "Ossis" sind ins Theater Sommerhaus gekommen - unschwer zu erkennen an der Begeisterung, mit der sie die Lieder mitsingen, die Marion Neuendorf, von Kai Müller am Piano begleitet, vorträgt. Ob nun Michael den Farbfilm vergessen hat oder die Puhdys alt wie ein Baum werden möchten: Die Musik weckt Erinnerungen, und noch mehr Emotionen.
Im Westen ging es weiter wie zuvor
Vikarin Esther Zeiher moderiert die Diskussion. Die Jugend, sagen viele, fühlten keine Trennung mehr in "Ost" und "West". "Für die Jugendlichen ist das selbstverständlich", sagt Pfarrer Robert Foldenauer. Er selbst als Vertreter einer älteren Generation erinnert sich aber noch gut an seine Wahrnehmung von denen "da drüben". Er glaubt, der Wille zum Aufbruch, mit dem so viele Ostdeutsche in die Wiedervereinigung gegangen seien, sei von den Westdeutschen untergepflügt worden. Denn im Westen habe sich niemand um Neuerungen bemühen müssen. Dort sei es weitergegangen wie zuvor.
Winterhausen wird bald sogar über ein Denkmal zum Mauerfall verfügen. In Gestalt eines Wiederverein-Steins, den der einheimische Steinbildhauer Thomas Reuter geschaffen hat und der einen ursprünglich intakten Muschelkalkquader darstellt, der dann gespalten und später mit Hilfe von Drahtseilen wieder zusammengefügt wurde. Der Stein soll in der Nähe des Bürgerhauses aufgestellt werden.
Es hat alles wunderbar funktioniert , die Gespräche und die Erlebnisse wurden
ausführlich und interessant wiedergegeben .
Von der Moderation , der Musik bis hin zu allen anderen Verantwortlichen war
dies ein absolut gelungener Nachmittag . Danke auch an die Gemeinde und allen
Helfern - eine tolle und sehr nette Gemeinschaft und darauf kann Winterhausen
sehr stolz sein.