Es war ein Festakt, der einfach nicht ausfallen durfte: Eigentlich wollten die Würzburger Streetworker bereits im Mai 2021 ihr 25-jähriges Bestehen feiern – das war in der Corona-Pandemie aber nicht möglich. Am Freitag wurde das doppelte Jubiläum nachgeholt: In einem großen Zelt auf der Wiese zwischen Kiliansbrunnen und Hauptbahnhof wurden 25 plus 1 Jahre Streetwork und 20 plus 1 Jahre Anlaufstelle "Underground" mit zahlreichen Gästen gefeiert.
Warum die Feierlichkeiten auf jeden Fall stattfinden mussten, erläuterte Jürgen Keller, Streetworker der ersten Stunde am Würzburger Hauptbahnhof und heute stellvertretender Leiter der evangelischen Kinder- und Jugendhilfe des Diakonischen Werks: "Weil durch diese Veranstaltung die Menschen, für die wir da sind, in den Mittelpunkt gestellt werden. Das ist wichtig und richtig."
Nachdem Ende der 1970er Jahren der Bestseller "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" die Aufmerksamkeit der deutschen Öffentlichkeit zum ersten Mal auf die Situation junger Menschen am Rand der Gesellschaft gelenkt hatte, nahm Würzburg durch die Anstellung der ersten beiden Straßensozialarbeiter ab Sommer 1996 eine Vorreiterrolle in Deutschland ein. Damals war in den Medien – auch in Beiträgen dieser Zeitung – noch von "Straßenkindern" und "Schmuddelkindern" die Rede. In Wahrheit sind die Klienten in den allermeisten Fälle keine Kinder, sondern Jugendliche und junge Erwachsene, "die überall und nirgends zuhause sind, denen der Halt und die Geborgenheit einer Familie fehlt, die nirgends und von niemandem gerne gesehen werden", so Jürgen Keller.
Die aufsuchende Arbeit am Hauptbahnhof begann am 1. Juni 1996
In Würzburg haben sie seit inzwischen 26 Jahren Menschen, die ihnen zuhören und die ihre Geschichten kennen. Pfarrerin Susanne Wildfeuer überbrachte Glückwünsche des evangelischen Dekanats und der Diakonie als Träger der Straßensozialarbeit: "Junge Menschen, die sich manchmal zu verlieren drohen, haben hier einen Ort und vor allem Menschen, die ihnen Halt geben."
Die aufsuchende Arbeit am Hauptbahnhof begann am 1. Juni 1996 mit zwei halben Sozialarbeiter-Stellen, heute besteht das Streetwork-Team aus sieben Personen. Dazu kommen zahlreiche ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die mit viel Einsatz unter anderem die 2001 eingerichtete Anlaufstelle "Underground" im Bahnhofs-Nebengebäude am Laufen halten.
Zielgruppe sind junge Menschen mit familiären oder psychischen Problemen
Zielgruppe sind junge Menschen mit familiären oder psychischen Problemen, ohne eigene Wohnung oder sichere Schlafstelle, ohne Ausbildung oder Arbeitsplatz und häufig mit problematischem Drogenkonsum – etwa 37.000 sollen es derzeit deutschlandweit sein. Das Streetwork-Team geht rund um den Hauptbahnhof und an den Treffpunkten in der Innenstadt auf sie zu, lernt sie kennen, baut Vertrauen auf und bietet Unterstützung an.
Damit das gelingt, mussten die Streetworker vor allem in der Anfangszeit erst einmal beweisen, "dass wir keine Zivilpolizisten, keine Dealer, keine Drückerkolonne und keine Menschen mit dubiosen sexuellen Absichten sind", berichtete Jürgen Keller: "Und dann mussten wir beweisen, dass wir ihnen wirklich helfen können."
Das Streetwork ist mit allen Fachstellen in Stadt und Landkreis bestens vernetzt
Um nachhaltige und wirksame Hilfsangebote machen zu können, ist das Streetwork mit allen Fachstellen in Stadt und Landkreis bestens vernetzt, seit 2019 gehört auch ein Mitarbeiter des Würzburger Jobcenters zum Team. In der Anlaufstelle "Underground" finden die jungen Menschen seit über 20 Jahren Ruhe, warme Mahlzeiten, Duschen und Zugang zu einem Computer.
Judith Jörg: "Streetwork ist ein Anliegen, das uns allen wichtig ist"
Glückwünsche zum Jubiläum kamen auch von Landrat Thomas Eberth und Würzburgs Bürgermeisterin Judith Jörg. Die Jugendämter von Stadt und Landkreis finanzieren die Straßensozialarbeit derzeit mit knapp 120.000 Euro pro Jahr, gut drei Viertel davon trägt die Stadt. "Streetwork ist ein Anliegen, das uns allen wichtig und aus dem Umfeld des Bahnhofs auch nicht mehr wegzudenken ist", betonte Jörg. Matthias Weber, der Leiter der Polizeidienststelle Würzburg-Stadt, würdigte die Streetworker als "stille Superhelden, weil ihre engagierte und oftmals auch belastende Arbeit zu wenig wahrgenommen wird".