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Würzburg
165 Jahre Elisabethenverein: Die Liseli gehören zu Würzburg
Wer Würzburg kennt, kennt auch die "Liseli". Sie haben sich nicht nur um Kinder gekümmert und tun es noch, sondern versorgten in den Nachkriegstagen auch die Ärmsten.
Seit 165 Jahren existiert der Elisabethenverein, für den zunächst Erlöserschwestern aus dem Elsaß die Aufgabe übernahmen, Kinder zu erziehen und ihnen eine Heimat zu geben. Dann folgten die Franziskanerinnen von 'Maria Stern' in Augsburg - bis heute. 
Foto: Thomas Obermeier | Seit 165 Jahren existiert der Elisabethenverein, für den zunächst Erlöserschwestern aus dem Elsaß die Aufgabe übernahmen, Kinder zu erziehen und ihnen eine Heimat zu geben.
Regina Urbon
 |  aktualisiert: 19.10.2020 11:11 Uhr

165 Jahre Elisabethenverein Würzburg und 150 Jahre Franziskanerinnen von "Maria Stern": Das gab 2018 Anlass zum Feiern. Die Chronik des Vereins zeigt viel Erstaunliches zum Leben und Wirken der "Liseli", wie sie in Würzburg liebevoll genannt werden.

Engagierte wohlhabende Frauen gründeten im 19. Jahrhundert einen Verein und holten Nonnen zur Erziehung gefährdeter Kinder. Zuerst kamen Erlöserschwestern, dann Franziskanerinnen. Franziskanerschwestern leben und arbeiten hier bis heute. Sie betreuen nicht nur Kinder, sondern helfen auch im Seniorenheim des Hauses.

Viele erinnern sich an früher - an Zeiten, durch die sie geprägt wurden, an größere Ereignisse oder die kleinen, unauffälligen Erlebnisse. Die heutige Oberin Jolanda Scheubner (78) hat ihr Leben ganz und gar der Nächstenliebe und Hilfe gewidmet.      

Im Sinne der Heiligen Elisabeth von Thüringen genügt es nicht allein, hilfebedürftigen Menschen Essen und Getränke zu geben. Notleidende brauchen auch Unterstützung für die Seele: 'Wir müssen die Menschen froh machen'. So agieren die Franziskanerinnen im Elisabethenheim.
Foto: Thomas Obermeier | Im Sinne der Heiligen Elisabeth von Thüringen genügt es nicht allein, hilfebedürftigen Menschen Essen und Getränke zu geben. Notleidende brauchen auch Unterstützung für die Seele: "Wir müssen die Menschen froh machen".

Jolanda Scheubner ist heute die gute Seele vor allem im Seniorenheim. Nicht nur, dass die Bewohner des Heimes die Schwester längst kennen, schätzt Vereinsvorstand und Kurator Simon Kuttenkeuler ihre Mitarbeit, sondern es mache auch Eindruck auf die Menschen im Pflegeheim, wenn eine Nonne einem Alten oder Kranken immer wieder aufzeige: "Es geht schon!" Schwestern, die sich ein Leben lang für andere einsetzten, würden respektiert und seien immer auch Ansporn, nicht aufzugeben.

Die "Rettungsanstalt" geriet auch selbst in Not

Die Existenz der früheren "Rettungsanstalt" war im Lauf der vergangenen 165 Jahre mehrmals gefährdet: 1866, als die bis dahin tätigen Erlöserschwestern die Betreuung der Kinder in der Bibrastraße aufgaben und dort ein eigenes Mutterhaus in Würzburg gründeten. Der Verein konnte nur aufgrund einer "hochherzigen Spende von 10 000 Gulden unserer damaligen Vereinsvorsteherin Frau Bolongaro-Crevenna" den Kauf eines Hauses in der Bohnesmühlgasse ermöglichen, heißt es in der Chronik. Eineinhalb Jahre später zogen "die Zöglinge in das neue Haus in der Bohnesmühlgasse 16 in Würzburg ein". Fortan übernahmen Franziskanerinnen die Erziehung der Kinder - bis heute.

1935 wurde der so genannte Mittelbau, Bohnesmühlgasse 16, errichtet.  
Foto: Thomas Obermeier | 1935 wurde der so genannte Mittelbau, Bohnesmühlgasse 16, errichtet.  

Im Zweiten Weltkrieg trafen Brandbomben das Elisabethenheim; nach dem schweren Angriff der Alliierten am 16. März 1945 waren Dachstuhl und Türstöcke zerstört. Aber die Schwestern hatten in der schrecklichen Nacht die Brandbomben immer wieder gelöscht. Somit retteten sie das Haus.

In einem halben Jahr 40 000 Menschen versorgt

Zwischen April und Oktober 1945 konnten die Franziskanerinnen "über 40 000 Menschen versorgen", bestätigen Schwester Jolanda und Kuttenkeuler - heutzutage kann man sich das kaum vorstellen: ganz gleich, ob auf einmal 800 Soldaten ausgehungert im Hof standen oder ein anderes Mal 40 Frauen und Kinder von den Amerikanern gebracht wurden, oder ob Menschen auftauchten, die die Konzentrationslager überlebt hatten: Die Schwestern halfen so gut wie irgend möglich. Die Kinder aus ihrem Heim hatten sie zuvor aufs Land evakuiert. Nahrungsmittel gab es zum Großteil nur noch aus Spenden, viele vom Land. Sie errichteten eine Suppenküche. Ihr Wasser holten sie von der Bahnhofsquelle, erklärt Schwester Jolanda .

Im Lauf der Jahre wirkten hier im Elisabethenheim alles in allem etwa 200 Schwestern, so Simon Kuttenkeuler; gemeinsam waren es manchmal bis zu 35. Jolanda selbst wurde nicht nur Schneidermeisterin, sondern noch Hauswirtschaftsmeisterin und später Altenpflegerin.

Heute leben noch drei Franziskanerinnen in der Bohnesmühlgasse: neben Jolanda Scheubner die Schwestern Pia und Ludwina. Der christliche Geist gehört zum Haus, die Schwestern leben mit den Kindern und Senioren. Sie räumen im Haus auf, sorgen für Blumenschmuck, teilen Wäsche aus, betreiben die Bücherei im Altenheim. Aber fast alles Personal ist weltlich. Längst sind die riesigen Säle der früheren "Kinderbewahranstalt" Vergangenheit und in gemütlichen eingerichteten Bereichen des Hauses herrschen familienähnliche Strukturen vor.      

Oberin Schwester Jolanda Scheubner in der Kapelle des Elisabethenheimes.
Foto: Thomas Obermeier | Oberin Schwester Jolanda Scheubner in der Kapelle des Elisabethenheimes.

Ein finanzieller Rettungsanker

Noch einmal der Blick zurück: Als in den Nachkriegsjahren die  Zahl der Kinder immer weniger wurde, kriselte es im Jahr 1956 erneut, zumal der Bau eines städtischen Kinderschifferheimes in Aussicht stand und der Wegfall der im Elisabethenheim untergebrachten Schifferkinder vorprogrammiert war, so der Chroniktext. Finanzieller Rettungsanker wurde ein neu geschaffenes Tagesheim - später Hort - als Alternative zur Aufnahme von Schülerinnen im Internat. Immer mehr Familien in der Nachkriegszeit waren froh um die verlässliche Erziehung ihrer Kinder in der katholischen Einrichtung, während die Eltern arbeiten mussten. 1972 wurden erstmals Buben als Geschwisterkinder aufgenommen.  

Elisabethenheim Würzburg: Das erste Haus in der Bohnesmühlgasse 16 im Jahr 1867, eine 'Rettungsanstalt für arme Mädchen', wie es in der Chronik heißt.
Foto: Repro Regina Urbon | Elisabethenheim Würzburg: Das erste Haus in der Bohnesmühlgasse 16 im Jahr 1867, eine "Rettungsanstalt für arme Mädchen", wie es in der Chronik heißt.

Textil-Stoff war rar, Hemden erhielten Einsatzstücke 

Jolanda Scheubner kam Ende 1956 ins Elisabethenheim und begann hier die Lehre als Weißnäherin. Es waren "16 oder 17 Mädchen", die damals die Ausbildung zur Weißnäherin oder Damenschneiderin machten. "Meine Eltern waren auf dem Schiff", sagt sie. Deshalb war sie bei den Liseli bereits zur Schule gegangen. "Unsere Schwestern kamen häufig aus kinderreichen oder aus Flüchtlingsfamilien", so Kuttenkeuler über die Franziskanerinnen. Viele hätten hier die Schule besucht und Hilfe erfahren. Sie folgten später ihren Vorbildern.

"Meine Eltern waren auf dem Schiff"
Oberin Schwester Jolanda Scheubner fand im Elisabethenheim ihre Bestimmung

In ihrer Ausbildung nähte Jolanda Scheubner nicht nur Wäsche und Gardinen, sie besserte auch Hemdkrägen aus, und weil es nie den gleichen Stoff noch einmal gab, wurden Stoffstücke am unteren Rücken aus dem Hemd herausgenommen und damit der Kragen neu genäht. Am Rückenteil konnte man dann andere, ähnliche Stoffe einsetzen.   

Im Restaurant des Hotels 'Stadt Mainz': die Inhaberinnen (von links) Margarete und Anneliese Schwarzmann und ihre Freundin Gabriele Halbritter, geb. Kilian. Alle drei waren früher Schülerinnen bei den Liseli.
Foto: Regina Urbon | Im Restaurant des Hotels "Stadt Mainz": die Inhaberinnen (von links) Margarete und Anneliese Schwarzmann und ihre Freundin Gabriele Halbritter, geb. Kilian. Alle drei waren früher Schülerinnen bei den Liseli.
"Fleischiges gab's nur einmal die Woche - meist Haschee"
Gabriele Halbritter, ehemalige Schülerin bei den Liseli

Vier Jahre jünger als Schwester Jolanda ist Annemarie Schwarzmann (Stadt Mainz). Wie ihre Freundin Gabriela Halbritter (geboren 1947) und ihre Schwester Margarete Schwarzmann (geboren 1948) besuchte auch sie die Volksschule der Liseli und war im Tagesheim. Sie erinnert sich an "Nudeln mit Kartoffelsalat" als Mittagessen, denn "Fleischiges gab's nur einmal die Woche - meist Haschee", ergänzt Gabriele Halbritter. "Kartoffelsalatbrot" liebte Gabriele wegen der Kartoffeln. Das gab es allerdings viel seltener als "Fettbrot" (Schmalzbrot).

Dann kommt noch eine ganz andere Erinnerung hoch: Annemarie Schwarzmann berichtet, dass das Geräusch der Nähmaschinen in der  Näherei über dem Klassenzimmer so einschläfernd war, dass ihr durchaus auch mal die Augen im Unterricht zufielen.

Nach dem Essen mussten sie dann schlafen - aber da wollten sie meistens nicht. Das führte dazu, dass die Mädchen manchmal schwätzten, so Gabriele Halbritter - natürlich wurden sie ermahnt. Halbritter hat die damalige Oberin Celine Vill als "Feldwebel" in Erinnerung - vor allem auch, weil die Nonne dem blonden Kind vorgeworfen haben soll, die Augenbrauen dunkel anzumalen, "was überhaupt nicht stimmte!", empört sich Halbritter noch heute. Wegen ihrer Schwätzerei wollte ihr eine andere Schwester "mit Stöckchen auf die Finger klopfen", erinnert sie sich: Aber wie Kinder so sind, habe sie ihre Hände immer wieder zurückgezogen.  

Trotz dieser "Widrigkeiten" sind die drei ehemaligen Schülerinnen dankbar für die Gemeinschaft, die sie Zusammenhalt lehrte, und sie sind sich einig, dass sie durch die christliche Erziehung bei den Liseli ihr Rüstzeug fürs Leben bekommen haben.

Aus der Chronik des Elisabethenheimes
1853: Hilfsbereite Damen aus der Aristokratie, dem Beamten- und Bürgerstand gründeten den Elisabethenverein. Ziel war es, vor allem Waisenkindern zu helfen. Namensgeberin ist die Hl. Elisabeth von Thüringen, Patronin der Witwen, Waisen und Bettler.
1854: Beginn in der Bibrastraße 13, wo die Frauen ein Haus zur Verfügung stellten. Die Führung der "Elisabethen-Anstalt" oblag den Niederbronner Erlöserschwestern aus dem Elsaß.
1859: Die "Rettungsanstalt", so der Duktus der Chronik, erhielt eine einklassige Volksschule.
1866: Die Erlöserschwestern gründeten ein eigenes Mutterhaus in Würzburg und standen fortan für Krankenpflege, aber nicht mehr für die Mädchenerziehung zur Verfügung. Für die Klostergründung benötigten sie das Haus in der Bibrastraße. Der Elisabethenverein zog mit seiner Rettungsanstalt vorübergehend als Mieter in die Pleicher Schule. 
1867: Das erste Haus in der Bohnesmühlgasse wurde gekauft - eine Spende der Vereinsvorsteherin.
1868: Franziskanerinnen von "Maria Stern" aus Augsburg übernahmen nun die Erziehung der  Mädchen, darunter vor allem solche, deren Mütter arbeiteten und sich nicht um ihre Kinder kümmern konnten. 
1914: Ein Altenheim kam hinzu; der Verein kaufte immer wieder Häuser auf, baute an und um.
1934: Umbenennung der "Anstalt" in ein "Heim" im Sinne des Wortes Heimat.
1945: Beim Angriff auf Würzburg konnten die Schwestern die Brandbomben löschen; das Elisabethenheim wurde in den Folgemonaten Auffang- und Zufluchtsstätte.
1948: 130 "Zöglinge", 23 Lehrmädchen und 30 Altenheimbewohner hatte das Elisabethenheim.
1953: 100 Jahre Elisabethenverein. Auszeichnung des Elisabethenheimes mit der goldenen Plakette der Stadt Würzburg.
1957: Der Rückgang der Internatskinder erforderte ein Alternativangebot: Es entstand ein  Tagesheim.
1960: Die Nähstube wurde aufgelöst.
1974: Die Heim-Volksschule hatte nun sechs Jahrgänge, seit 1972 auch mit Jungs. 
1999: Erster weltlicher Leiter des Elisabethenheimes wurde Manfred Niksch, 2004 übernimmt Simon Kuttenkeuler die Geschäftsführung.
2018: Im Elisabethenheim wohnen 39 Senioren (Träger des Altenheimes ist die Caritas); 400 Kinder stehen allein in Würzburg unter der Obhut des Elisabethenheimes, davon 300 im eigenen Haus. Ihre Aufnahme ist nicht an eine Konfession gebunden. Träger der Schule ist die Diözese. 
Ins Elisabethenheim sind eingegliedert: Kinderkrippen, Kindergarten, Vorschule, Grund- und Teilhauptschule, Hort, Internat, Altenheim, Schwesternwohnungen, Hausverwaltung, Dommusik.
Namenstag der Namensgeberin Elisabeth von Thüringen ist der 17. November. Das Elisabethenfest feiern die Schwestern üblicherweise am Wochenende danach.
 
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