165 Jahre Elisabethenverein Würzburg und 150 Jahre Franziskanerinnen von "Maria Stern": Das gab 2018 Anlass zum Feiern. Die Chronik des Vereins zeigt viel Erstaunliches zum Leben und Wirken der "Liseli", wie sie in Würzburg liebevoll genannt werden.
Engagierte wohlhabende Frauen gründeten im 19. Jahrhundert einen Verein und holten Nonnen zur Erziehung gefährdeter Kinder. Zuerst kamen Erlöserschwestern, dann Franziskanerinnen. Franziskanerschwestern leben und arbeiten hier bis heute. Sie betreuen nicht nur Kinder, sondern helfen auch im Seniorenheim des Hauses.
Viele erinnern sich an früher - an Zeiten, durch die sie geprägt wurden, an größere Ereignisse oder die kleinen, unauffälligen Erlebnisse. Die heutige Oberin Jolanda Scheubner (78) hat ihr Leben ganz und gar der Nächstenliebe und Hilfe gewidmet.
Jolanda Scheubner ist heute die gute Seele vor allem im Seniorenheim. Nicht nur, dass die Bewohner des Heimes die Schwester längst kennen, schätzt Vereinsvorstand und Kurator Simon Kuttenkeuler ihre Mitarbeit, sondern es mache auch Eindruck auf die Menschen im Pflegeheim, wenn eine Nonne einem Alten oder Kranken immer wieder aufzeige: "Es geht schon!" Schwestern, die sich ein Leben lang für andere einsetzten, würden respektiert und seien immer auch Ansporn, nicht aufzugeben.
Die "Rettungsanstalt" geriet auch selbst in Not
Die Existenz der früheren "Rettungsanstalt" war im Lauf der vergangenen 165 Jahre mehrmals gefährdet: 1866, als die bis dahin tätigen Erlöserschwestern die Betreuung der Kinder in der Bibrastraße aufgaben und dort ein eigenes Mutterhaus in Würzburg gründeten. Der Verein konnte nur aufgrund einer "hochherzigen Spende von 10 000 Gulden unserer damaligen Vereinsvorsteherin Frau Bolongaro-Crevenna" den Kauf eines Hauses in der Bohnesmühlgasse ermöglichen, heißt es in der Chronik. Eineinhalb Jahre später zogen "die Zöglinge in das neue Haus in der Bohnesmühlgasse 16 in Würzburg ein". Fortan übernahmen Franziskanerinnen die Erziehung der Kinder - bis heute.
Im Zweiten Weltkrieg trafen Brandbomben das Elisabethenheim; nach dem schweren Angriff der Alliierten am 16. März 1945 waren Dachstuhl und Türstöcke zerstört. Aber die Schwestern hatten in der schrecklichen Nacht die Brandbomben immer wieder gelöscht. Somit retteten sie das Haus.
In einem halben Jahr 40 000 Menschen versorgt
Zwischen April und Oktober 1945 konnten die Franziskanerinnen "über 40 000 Menschen versorgen", bestätigen Schwester Jolanda und Kuttenkeuler - heutzutage kann man sich das kaum vorstellen: ganz gleich, ob auf einmal 800 Soldaten ausgehungert im Hof standen oder ein anderes Mal 40 Frauen und Kinder von den Amerikanern gebracht wurden, oder ob Menschen auftauchten, die die Konzentrationslager überlebt hatten: Die Schwestern halfen so gut wie irgend möglich. Die Kinder aus ihrem Heim hatten sie zuvor aufs Land evakuiert. Nahrungsmittel gab es zum Großteil nur noch aus Spenden, viele vom Land. Sie errichteten eine Suppenküche. Ihr Wasser holten sie von der Bahnhofsquelle, erklärt Schwester Jolanda .
Im Lauf der Jahre wirkten hier im Elisabethenheim alles in allem etwa 200 Schwestern, so Simon Kuttenkeuler; gemeinsam waren es manchmal bis zu 35. Jolanda selbst wurde nicht nur Schneidermeisterin, sondern noch Hauswirtschaftsmeisterin und später Altenpflegerin.
Heute leben noch drei Franziskanerinnen in der Bohnesmühlgasse: neben Jolanda Scheubner die Schwestern Pia und Ludwina. Der christliche Geist gehört zum Haus, die Schwestern leben mit den Kindern und Senioren. Sie räumen im Haus auf, sorgen für Blumenschmuck, teilen Wäsche aus, betreiben die Bücherei im Altenheim. Aber fast alles Personal ist weltlich. Längst sind die riesigen Säle der früheren "Kinderbewahranstalt" Vergangenheit und in gemütlichen eingerichteten Bereichen des Hauses herrschen familienähnliche Strukturen vor.
Ein finanzieller Rettungsanker
Noch einmal der Blick zurück: Als in den Nachkriegsjahren die Zahl der Kinder immer weniger wurde, kriselte es im Jahr 1956 erneut, zumal der Bau eines städtischen Kinderschifferheimes in Aussicht stand und der Wegfall der im Elisabethenheim untergebrachten Schifferkinder vorprogrammiert war, so der Chroniktext. Finanzieller Rettungsanker wurde ein neu geschaffenes Tagesheim - später Hort - als Alternative zur Aufnahme von Schülerinnen im Internat. Immer mehr Familien in der Nachkriegszeit waren froh um die verlässliche Erziehung ihrer Kinder in der katholischen Einrichtung, während die Eltern arbeiten mussten. 1972 wurden erstmals Buben als Geschwisterkinder aufgenommen.
Textil-Stoff war rar, Hemden erhielten Einsatzstücke
Jolanda Scheubner kam Ende 1956 ins Elisabethenheim und begann hier die Lehre als Weißnäherin. Es waren "16 oder 17 Mädchen", die damals die Ausbildung zur Weißnäherin oder Damenschneiderin machten. "Meine Eltern waren auf dem Schiff", sagt sie. Deshalb war sie bei den Liseli bereits zur Schule gegangen. "Unsere Schwestern kamen häufig aus kinderreichen oder aus Flüchtlingsfamilien", so Kuttenkeuler über die Franziskanerinnen. Viele hätten hier die Schule besucht und Hilfe erfahren. Sie folgten später ihren Vorbildern.
In ihrer Ausbildung nähte Jolanda Scheubner nicht nur Wäsche und Gardinen, sie besserte auch Hemdkrägen aus, und weil es nie den gleichen Stoff noch einmal gab, wurden Stoffstücke am unteren Rücken aus dem Hemd herausgenommen und damit der Kragen neu genäht. Am Rückenteil konnte man dann andere, ähnliche Stoffe einsetzen.
Vier Jahre jünger als Schwester Jolanda ist Annemarie Schwarzmann (Stadt Mainz). Wie ihre Freundin Gabriela Halbritter (geboren 1947) und ihre Schwester Margarete Schwarzmann (geboren 1948) besuchte auch sie die Volksschule der Liseli und war im Tagesheim. Sie erinnert sich an "Nudeln mit Kartoffelsalat" als Mittagessen, denn "Fleischiges gab's nur einmal die Woche - meist Haschee", ergänzt Gabriele Halbritter. "Kartoffelsalatbrot" liebte Gabriele wegen der Kartoffeln. Das gab es allerdings viel seltener als "Fettbrot" (Schmalzbrot).
Dann kommt noch eine ganz andere Erinnerung hoch: Annemarie Schwarzmann berichtet, dass das Geräusch der Nähmaschinen in der Näherei über dem Klassenzimmer so einschläfernd war, dass ihr durchaus auch mal die Augen im Unterricht zufielen.
Nach dem Essen mussten sie dann schlafen - aber da wollten sie meistens nicht. Das führte dazu, dass die Mädchen manchmal schwätzten, so Gabriele Halbritter - natürlich wurden sie ermahnt. Halbritter hat die damalige Oberin Celine Vill als "Feldwebel" in Erinnerung - vor allem auch, weil die Nonne dem blonden Kind vorgeworfen haben soll, die Augenbrauen dunkel anzumalen, "was überhaupt nicht stimmte!", empört sich Halbritter noch heute. Wegen ihrer Schwätzerei wollte ihr eine andere Schwester "mit Stöckchen auf die Finger klopfen", erinnert sie sich: Aber wie Kinder so sind, habe sie ihre Hände immer wieder zurückgezogen.
Trotz dieser "Widrigkeiten" sind die drei ehemaligen Schülerinnen dankbar für die Gemeinschaft, die sie Zusammenhalt lehrte, und sie sind sich einig, dass sie durch die christliche Erziehung bei den Liseli ihr Rüstzeug fürs Leben bekommen haben.