In der schmucken Kulturhalle in Grafenrheinfeld (Lkr. Schweinfurt) werden Lustspiele und Kabarettstücke gegeben. Am 3. Dezember etwa wird Langsamredner Rolf Miller zum Gastspiel erwartet. Zäh wie die Sprache des Odenwälders hat sich am Dienstag auch der erste Tag der Erörterung der 850 Einwände gegen den geplanten Abriss des AKW Grafenrheinfeld hingezogen. Dieser Termin ist Teil des Genehmigungsverfahrens, um die Öffentlichkeit zu beteiligen.
Die Darsteller: 17 Experten des Umweltministeriums, das die Regie führt, des AKW-Betreibers Preussen-Elektra, des TÜV und des Landesamts für Umwelt auf der Bühne. Davor sitzen etwa 80 Einwender. Hauptsächlich Lokalpolitiker der Stadt und des Landkreises Schweinfurt sowie umliegender Gemeinden. Mit dabei sind auch deren Anwälte, die die Hauptrolle in dem stundenlangen Hin und Her spielen. Es geht um Atomgesetz, Umweltverträglichkeitsprüfungen, Verfahrensverordnungen, Aarhus-Konvention und viele andere Paragrafen. Für Außenstehende oft schwer zu durchschauen. „Ohne Anwälte steht man hier als Einzelperson im Kampf der Giganten“, kritisiert die Wunsiedeler Kreisrätin Brigitte Altmann (Grüne), die selbst Einwände in das Verfahren eingebracht hat.
Klare Rollenverteilung
Die Rollenverteilung ist schon nach wenigen Minuten deutlich. Preussen-Elektra verteidigt seine Antragsunterlagen, die Kritiker versuchen, die Schwachpunkte zu destillieren. Der Delegationsleiter des Energieunternehmens, Christian Müller-Dehn, ist in seiner Freizeit passionierter Schachspieler. Er hat die Züge der Gegner schon längst vorhergesehen. Zu jeder der Fragen, die am Mikrofon gestellt werden, hat er vorbereitete Stellungnahmen, die ein Mitglied aus dem Juristen-Sextett wortgetreu vorträgt. Das nervt das Publikum. Edo Günther (Bund Naturschutz) kommentiert das Vorgehen höhnisch mit dem Lob, dass der promovierte Jurist des Konzerns, Andreas Schirra, gut vorlesen könne.
Betriebsgenehmigung für 40 Jahre
Einer der Schwachpunkte, die die Kritiker glauben gefunden zu haben, ist eine fehlende Verknüpfung zwischen der Grafenrheinfelder Reaktoranlage und dem vorhandenen Zwischenlager für hoch radioaktive Stoffe (Bella). Denn Bella hat eine Betriebsgenehmigung für 40 Jahre. Aber darin befindet sich auch ein Bezug zum Reaktorgebäude, um dort im Notfall defekte Castoren reparieren zu können.„Dienstleistungen“ heißt dies im Juristendeutsch. Schweinfurts Ordnungsreferent Jan von Lackum hakt da ein: Der Abrissantrag baue auf Bella auf und da die Reparaturmöglichkeit mit dem Abbau des Reaktorgebäudes kombiniert sei, werde die Genehmigung unwirksam.
Daher sollten die Unterlagen ergänzt und eine neue Erörterung angesetzt werden. Ein Einwand, den Müller-Dehn nicht gelten lässt. Bei der Bella-Genehmigung habe man das Ende des AKW schon „antizipiert“, denn die Reparatur-Dienstleistungen würden nun in Bella selbst vorgehalten. Auch das Umweltministerium versichert, dass rechtlich alles in Ordnung sei.
Nach drei Stunden noch bei Punkt 1.2
Nach drei Stunden ist man immer noch bei Punkt 1.2. auf der auf acht Abschnitte mit 29 Unterpunkten gedehnten Tagesordnung. Und immer wieder spielen das Zwischenlager und die geplante Bereitstellungshalle (BeHa) eine Rolle, die Preussen-Elektra für schwach- und mittelradioaktive Stoffe bauen will, die beim Abbau anfallen. Und Versammlungsleiter Hans Heierth macht einen Widerspruch unter den Einwendern aus. Schweinfurts Landrat Florian Töpper beharrt auf dem einstimmigen Votum des Kreistags, der den Bau der BeHa ablehnt: „Die Notwendigkeit ist nicht nachgewiesen.“ Die Abfälle sollen bevorzugt in das Lager nach Mitterteich gebracht werden. Die Wunsiedeler Kreisrätin Altmann fordert ein Gesamtkonzept für Bayern und verweist auf die Gefahr für ihre Feuerwehren vor Ort, die bei einem Transportunfall in Gefahr gebracht würden.
Kein Zwischenlager, wenig Transport, nichts nach Mitterteich. Da wird es für das Ministerium schwierig zu entscheiden, sagt Verhandlungsleiter Heierth.
Umweltministerium rückt in den Fokus
Und mehr und mehr rückt auch das Umweltministerium in den Fokus. Das liegt an der bayerischen Umweltministerin Ulrike Scharf, die im Vorfeld des Termins von der „grünen Wiese“ gesprochen hat, die in Grafenrheinfeld entstehen soll. „Das erleben alle hier im Saal nicht mehr“, kontert Edo Günther (Bund Naturschutz). Wegen des Zwischenlagers, das auf Jahrzehnte bleibt. Ministeriums-Referatsleiter Erdmann Unger versucht, die Aussage seiner Chefin zu retten: Das mit der grünen Wiese „ist ein fernes Ziel.“ Dennoch handle es sich um eine Zwischenlagerung. Insofern, so impliziert er, sei der Begriff gerechtfertigt.
Unten im Saal wird derweil spekuliert, ob denn Preussen-Elektra alle notwendigen Unterlagen eingereicht und das Umweltministerium nicht noch andere Dokumente vorzulegen hat. Vor allem, wenn es um die Absicherung des Zwischenlagers geht. Da bohrt Landrat Töpper, im früheren Beruf Amtsrichter, zielgerichtet nach: „Wir brauchen da Sicherheit. Waren alle Unterlagen vollständig?“ Es sei alles öffentlich ausgelegt worden, was zu diesem Zeitpunkt verpflichtend gewesen sei, heißt es auf dem Podium. Juristengeplänkel.
Verfahren vor dem Verfassungsgericht
Ein deutliches Raunen geht durch den Saal, als sich Müller-Dehn einer ganz grundsätzlichen Frage gegenübersieht. Seine Firma hat den Abrissantrag unter den Vorbehalt gestellt, dass Preussen-Elektra endgültig auf den AKW-Betrieb verzichtet. Das ist wegen eines Verfahrens vor dem Verfassungsgericht noch nicht passiert. Also: Plant das Unternehmen, das AKW Grafenrheinfeld irgendwann wieder anzufahren? Müller-Dehn: Man werde nach dem Urteil die Lage analysieren und bewerten. Das klingt nach einer Hintertür, die der Jurist offen halten möchte.
Als sich draußen die Dämmerung ankündigt, beklagen die Gemeinden ihre mangelnde Beteiligung, es geht zum wiederholten Mal um das BeHa, um die Behälter, in denen der strahlende Abfall transportiert wird, um Untersuchungsmethoden des Landesamts für Umwelt, um grenzübergreifende Umweltverträglichkeitsprüfungen. Edo Günther sieht sich am Rande der Veranstaltung in seiner Prognose bestätigt: „Es wird nichts herauskommen.“ Deswegen brauche es wohl eine Klage zum Schutz der Bevölkerung.
„Alles andere ist primär“
Inzwischen dämmert es auch dem letzten Besucher, dass man an einem Tag nicht fertig wird und am Mittwoch wird weiterdebattieren müssen. Heierth einigt sich mit den Beteiligten auf 9.30 Uhr. In ein paar Wochen plagt sich Rolf Miller im Schneckentempo durch sein Programm. „Alles andere ist primär“, heißt es. Irgendwie passend.