Zwangsarbeit. Diesen Tatvorwurf liest man selten in der Sitzungsliste des Gerichts. Man mag auch kaum glauben, dass er hierzulande eine Rolle spielt – und doch wird er der 46-jährigen Sprachlehrerin eines Integrationskurses für Flüchtlinge und ihrem Ehemann (48) gemacht.
Sie sollen, kurz gesagt, Asylbewerber in Deutschsprachkursen der 46-Jährigen ohne Bezahlung für Renovierungsarbeiten in ihrem Ladengeschäft eingesetzt haben, in dem laut Anklage "Tätowier-, Friseur-und Barbierdienstleistungen" angeboten werden sollten. Beide hätten den Flüchtlingen Arbeitsstellen versprochen und ihnen mit Konsequenzen gedroht, sollten sie nicht entsprechend ihrer Vorstellungen arbeiten.
Sechs Asylbewerber soll die Angeklagte im Herbst 2016 im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit für Arbeiten in ihrem künftigen Ladengeschäft angeworben und in ihrem Betrieb "Ausbildungsinitiative" für ein Bürgerkriegsland unentgeltlich für Reinigungsarbeiten eingesetzt haben. Die Sprachschüler seien einerseits mit Versprechungen von späterer Teilhabe oder Partnerschaft gelockt, aber auch vom Ehemann der Lehrerin unter Druck gesetzt worden, wenn sie sich dagegen sträubten.
Ladengeschäft als "Projekt"
Nun haben beide Angeklagte bei Prozessbeginn betont, das Ladenlokal sei ein "Projekt" mit den Flüchtlingen gewesen, das man, sobald es läuft, an sie habe übergeben wollen. "Uns war nicht bewusst, dass wir uns so in die Rolle eines Arbeitgebers begeben haben", so der 48-Jährige: "Gut gemeint, aber nicht gut gemacht." Dass sie Druck ausgeübt, die Flüchtlinge mit Zwang zur Renovierungsarbeit genötigt hätten, bestreiten sie vehement.
Am dritten Prozesstag fällt nach Befragung zweier Zeugen die "Zwangsarbeit" in sich zusammen. Im Winter 2016/17 hätten sie an zehn bis zwölf Tagen jeweils meist ein bis zwei Stunden im künftigen Ladenlokal oder Wiederaufbauprojekt gearbeitet oder geputzt – im Rahmen eins Praktikums. Die 46-Jährige sei "wie eine Mutter" zu ihnen gewesen, habe etwa bei der Wohnungssuche geholfen – und sie ihr dafür manchmal im Geschäft: "Wir sind so, das ist unsere Kultur."
Einer kam sich "verarscht" vor
Nur einer der Zeugen meint, beim "Praktikum" Einsatz als Putzhilfe "verarscht" worden zu sein. Nachdem er Geld verlangt und nichts bekommen hatte, habe er nicht mehr gearbeitet. Gleichwohl habe er eine Zahlung eines Freundes von 17.000 Euro an die 46-Jährige arrangiert, womit der Freund einen Betrieb gründen wollte, hält ihm der Vorsitzende vor. Wieso hat er das einem Freund geraten, wenn er selbst sich von ihr "verarscht" vorkam? Das erklärte der Zeuge nicht.
An diesem Punkt kommt es zum offenen Rechtsgespräch zwischen Verteidigern, Gericht und Staatsanwalt. Unter ihnen herrscht Einigkeit, dass nach diesen Zeugenaussagen von "Zwangsarbeit" mit Nötigung in sechs Fällen keine Rede mehr sein kann. Die strafrechtlich schlimmsten Tatbestände sind damit vom Tisch. Was wohl bleibt, ist die Vorenthaltung von Krankenversicherungsbeiträgen und Untreue beziehungsweise Betrug bezüglich der 17.000 Euro, welche die Angeklagte "missbräuchlich verwendet hat", so ihr Verteidiger.
Ohne den Hauptanklagepunkt "Zwangsarbeit" kommt das Verfahren nun mit einem Dutzend Zeugen und mindestens zwei Verhandlungstagen weniger aus. Weiter geht's am 3. Januar, 9 Uhr.