
„Sie sind das Letzte! Sie sind einfach dumm und hässlich. Müll und Unrat.“ Botschaften wie diese erreichen die Grünen-Politikerin Renate Künast fast täglich, meist über soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook. „Los ging das vor einigen Jahren alles mit der Behauptung, es gebe keine Meinungsfreiheit“, berichtete sie bei einem Termin in Gerolzhofen (Lkr. Schweinfurt). Dort las die frühere Grünen-Chefin aus ihrem Buch „Hass ist keine Meinung“.
Das vermeintliche Fehlen von Meinungsfreiheit sei zu Beginn der Pegida-Demonstrationen und in der Anfangszeit der AfD vor allem ein Vorwurf aus der rechten Szene gewesen, erklärt Künast. Doch was da als Meinungsäußerungen verstanden wurde, seien häufig Beleidigungen gewesen. Einige davon liest Künast an diesem Abend in einem Gerolzhöfer Café vor. So sei sie als „dumm, ohne Schul- oder Berufsabschluss und unfähig“ bezeichnet worden. Bei ihren Zuhörern sorgt diese Aussage für Entsetzen, teilweise für Gelächter. „Aber das geht doch noch“, meint die Politikerin mit einem Lächeln auf den Lippen. Schließlich habe sie viel schlimmere Beschimpfungen erlebt.
Aggressiv, aber nicht strafbar
So schrieb ein Facebook-Nutzer, dass er gerne ein Enthauptungsvideo von ihr sehen würde. Eine harte Aussage – aber nicht verboten. „Diese Menschen haben gelernt, ihre Beleidigungen so zu formulieren, dass sie nicht strafbar sind“, erklärt Künast. In der rechten Szene gebe es sogar eine Art Handbuch, das erkläre, wie man dabei am besten vorgehe. So dürfen Beleidigungen nie direkt sein, auch der Aufruf zu einer Straftat wäre gesetzeswidrig. Doch gegen die Aussage des Users, er würde gern ein solches Video von ihr sehen, kann die 62-Jährige nicht vorgehen.
Da der Rechtsweg gegen die Verfasser der Hass-Botschaften aussichtslos schien, entschied sich die einstige Verbraucherschutzministerin für einen anderen Weg: Sie besuchte einige der Urheber Zuhause und stellte sie zur Rede. Die Adressen recherchierte sie zusammen mit einer Journalistin im Internet. „Wir dürfen uns nicht nur auf das Strafrecht verlassen, wir alle sind gefragt“, betont Künast. Als sie dann aber unangekündigt vor der ersten Haustür stand, sei sie doch sehr nervös gewesen.
Wer kümmert sich um uns?
Hinter den diversen Türen sei sie auf ganz unterschiedliche Menschen getroffen, berichtet die Bundestagsabgeordnete. Da sei zum Beispiel ein Mann aus Potsdam gewesen. Er lebe in einem gepflegten Reihenhaus, engagiere sich in seiner Freizeit ehrenamtlich. Mit der Politik sei er jedoch unzufrieden gewesen. „Alle werden gerettet, aber kümmert sich mal jemand um uns?“, hätte er Künast gefragt. So sei in den Grundschulen kein Geld für Obst für die Schüler da, Griechenland könne man aber retten. „Bei mir hinterlässt das das Gefühl, wir Politiker könnten etwas falsch gemacht haben“, räumt sie ein – und schlussfolgert: „Es geht nicht immer nur darum unsere Arbeit besser zu erklären.“
Menschen wie den Mann aus Potsdam zählt Künast zur ersten Gruppe der Hass-Autoren: „Er sagte, manchmal setze er sich nachts an seinen Computer und schreibe solche Nachrichten an Politiker. Dann gehe es ihm besser“, erklärt sie. Diese Menschen hätten dennoch berechtigte Fragen und Ängste, auf die man eingehen müsse.
Die Gesellschaft durch Hass verändern

Als aggressiver und gefährlicher stuft Künast die zweite Gruppe ein: Menschen, meist aus der rechten Szene, die im Internet organisiert Hass verbreiten. „Das schlimme daran ist, dass diese Leute tatsächlich das Ziel haben, unsere Gesellschaft durch Hass zu verändern.“ So hätte ihr ein Rentner bei einem Besuch vorgeworfen, sie sei für die „Massenzuwanderung und Umvolkung“ verantwortlich. Zudem seien alle Flüchtlinge Kriegsverbrecher und die Politik würde Wahlen manipulieren.
Ein Großteil dieser Einstellungen sei jedoch nicht neu – „sie werden nur anderes kommuniziert“. „Früher hatten die Leute auch solche Meinungen, haben sich aber nicht getraut, sie auszusprechen“, sagt Künast. Durch Foren wie die Pegida-Demonstrationen und die AfD seien die Ansichten jedoch salonfähig geworden. „Die sondern Sätze ab, die nach den Regeln unseres Zusammenlebens nicht in Ordnung sind“, findet Künast. Das habe sich auf den Umgangston in den sozialen Netzwerken ausgewirkt.
Wie im Nationalsozialismus
Mittlerweile seien dort ganze Gruppen unterwegs, die aus politischen Gründen gezielt Hass verbreiten. „Am Ende ist das eine Methode wie im Nationalsozialismus“, sagt sie. „Dagegen müssen wir uns zusammentun und uns wehren.“ Das beginne schon bei der Frage, wie Politiker im Bundestag miteinander umgehen würden. „Ich bin für klare und harte Kritik“, so Künast, „aber nicht auf einer persönlichen Ebene.“
Doch leider werde diese Ebene immer öfter erreicht – erst recht im Internet. So komme es häufig vor, dass Frauen in sozialen Netzwerken als hässlich bezeichnet werden. Über Männer würde man so etwas nur selten lesen. Viele Kommentatoren schreckten nicht davor zurück, „persönlich zu werden und die Menschen zu erniedrigen“, schildert Künast im Gespräch mit der Redaktion die Situation. „Das ist eine systematische Abwertung, die es so noch nie gegeben hat.“
Ein Problem der rechten Szene?
Als sie damit konfrontiert wird, dass der Hass kein reines Problem der rechten Szene sei, sondern auch von links komme, wiegelt die Ex-Ministerin – die einst selbst mit linken Aktivisten gegen die Atomkraft und für die Gleichstellung der Frau kämpfte – ab. „Diese diffamierenden Kommentare gehen ja davon aus, dass nicht alle Menschen gleich sind“, entgegnet sie. „Das hat die linke Szene nie vertreten.“
Was Künast jedoch trotz des heftigen Gegenwindes weiterhin vertritt, ist ihre Meinung. Und auch den Spaß an ihrem Beruf will sich Künast nicht nehmen lassen. „Klar ist es schwieriger geworden“, sagt sie. „Aber ich bin hart gesotten und lasse mich nicht einschüchtern.“
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