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Schweinfurt
Wie ein Schweinfurter Dachdecker-Betrieb junge Leute aufs Dach "lockt"
Azubis verzweifelt gesucht. Wie ein Handwerksbetrieb mit E-Bike und Social-Media-Einsatz die Job-Bewerber-Reihen füllen will. So ist die Situation im Handwerk.
Im Rahmen von Praktika können junge Leute, unter Anleitung von erfahrenen Mitarbeitern in die Berufe als Dachdecker oder Spengler 'reinschnuppern'. Für die Firma auch eine gute Gelegenheit, den Nachwuchs unter Praxisbedingungen auf der Baustelle kennenzulernen. 
Foto: Aaron Gerberich | Im Rahmen von Praktika können junge Leute, unter Anleitung von erfahrenen Mitarbeitern in die Berufe als Dachdecker oder Spengler "reinschnuppern".
Helmut Glauch
Helmut Glauch
 |  aktualisiert: 15.07.2024 10:16 Uhr

Der Wind hat sich gedreht im Handwerk. Konnten die Betriebe einst aus der Bewerber-Schar um einen Ausbildungsplatz geeignete Kandidaten aussuchen, sind es nun eher die jungen Leute, die sich einen Betrieb wählen. Besonders, aber nicht nur im Handwerk, mit meist vollen Auftragsbüchern, lautet die Devise "Nachwuchs und Fachkräfte dringend gesucht".

"Handschuh-Bedachungen" in der Schweinfurter Carl-Benz-Straße und mit Niederlassung in Haßfurt ist so ein Mittelständler, dem es zuletzt immer schwerer fiel, die Reihen der fünf Azubis pro Jahr – vornehmlich Dachdecker – zu füllen. Die Bedachungsspezialisten beschäftigen an beiden Standorten etwa 120 Menschen, die Hälfte davon ist länger als 25 Jahre im Betrieb. Den in vierter Generation familiengeführten Handwerksbetrieb gibt es seit 111 Jahren.    

Geschäftsführer Walter Weissenseel, seit 42 Jahren dabei, erinnert sich an Zeiten im alten Jahrtausend, als die jungen Leute Schlange standen. "Wir hatten meistens so 60 Bewerbungen für fünf Ausbildungsstellen pro Lehrjahr." Damals seien für das Auswahlverfahren noch Einstellungstests gemacht worden, ergänzt Frank Schindelmann, ebenfalls Geschäftsführer bei Handschuh.

Das ist lange her, in den zwei zurückliegenden Jahren waren es nur fünf junge Leute, die sich fürs Dachdecker-Handwerk oder den Spengler-Beruf begeisterten. Umso erfreulicher: Heuer schaut es richtig gut aus, neun Dachdecker und ein Spengler haben bei Handschuh eine Ausbildung begonnen.

Social-Media-Kanäle ersetzen die klassische Bewerbung

Was ist passiert? Mit Aaron Gerberich wurde ein Social-Media-Manager an Bord geholt, der Kanäle wie Facebook, Instagram oder WhatsApp nutzt, um die jungen Menschen dort abzuholen, wo sie ohnehin sind – im Internet. Auch auf der neu gestalteten Homepage wird nicht nur über Beruf und Unternehmen informiert, sondern ist der Ausbildungsplatz nur ein paar Klicks entfernt. "Wer da Interesse bekundet, wird von uns angerufen und eingeladen."       

Überhaupt sei auch in Zusammenarbeit mit den Schulen ein verstärktes Praktikums-Angebot ein guter Weg, junge Leute und ihre Eignung für den Job kennenzulernen, so Prokurist Pascal Weissenseel. Schulische Leistungen und Zeugnisse spielen dabei eine eher untergeordnete Rolle. "Wir schauen auf die Sozialkompetenzen und dann geht's raus aufs Dach." Das klassische Vorstellungsgespräch reduziere sich auf das Wesentliche.   

Warum Praktika ein guter Weg sind, sich vor Vertragsabschluss kennenzulernen

Über Praktika und die dort erlebte familiäre Atmosphäre – alle duzen sich im Unternehmen – sei es heuer gelungen, zehn Azubis zusammenzubekommen. Ob alle dabeibleiben, sich als geeignet erweisen, wird man sehen – es gibt eine Probezeit.    

Ein E-Bike für gute Azubi-Leistungen ist ein weiterer Anreiz, mit dem die beiden Geschäftsführer von Handschuh-Bedachungen, Frank Schindelmann (links) und Walter Weissenseel, den Dachdecker-Nachwuchs motivieren wollen.
Foto: Helmut Glauch | Ein E-Bike für gute Azubi-Leistungen ist ein weiterer Anreiz, mit dem die beiden Geschäftsführer von Handschuh-Bedachungen, Frank Schindelmann (links) und Walter Weissenseel, den Dachdecker-Nachwuchs motivieren wollen.

Und es gibt weitere Ideen, um den Nachwuchs zu motivieren und bei der Stange zu halten. Wenn ein Azubi gute Noten hat und auf den Baustellen eine gute Figur macht, bekommt er ein vom Unternehmen finanziertes Job-Bike, ein Elektrofahrrad. Zusammen mit den von ausgelernten Fachkräften geleasten Bikes wurden schon 40 Zweiräder angeschafft.   

Dachdecker müssen während ihrer Ausbildung zum Blockunterricht nach Waldkirchen. 12 bis 14 Wochen, in denen sie nicht nur aus dem Betrieb sind, sondern auch Kosten für Fahrt, Unterkunft und Essen selber tragen müssen. Ein Grund, weshalb viele Azubis abspringen, deshalb übernimmt Handschuh-Bedachungen diese Kosten komplett, erläutert Frank Schindelmann ein weiteres Firmen-Extra. Dazu kommen im Haus bezahlte Schulungen oder Schweiß- und Spenglerkurse, nicht nur für Azubis, sondern auch für interessierte Mitarbeiter.    

Ein Maßnahmenpaket "mit dem Ziel, unsere Zukunft zu sichern, damit wir genügend Fachkräfte haben, die wir selber hier ausgebildet haben, denn damit haben wir die beste Erfahrung gemacht", fasst Schindelmann zusammen. Für dieses Ziel werden im Betrieb nach dem Motto "Mitarbeiter werben Mitarbeiter" sogar Prämien gezahlt. 1000 Euro bekommen diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die einen Azubi in den Betrieb bringen, wenn dessen Ausbildung beendet und ein unbefristetes Arbeitsverhältnis daraus geworden ist.      

Und wie ist die Ausbildungssituation in der Region?

Hinsichtlich der Ausbildungssituation in der Region angefragt, verweist die Schweinfurter Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt auf eine Pressemitteilung der Handwerkskammer für Unterfranken. Demnach verzeichnete die Handwerkskammer bis Ende August 2220 Lehrverträge für Unterfranken. Das sei ein erneutes Minus von 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum Ausbildungsbeginn 1. September waren rund 1400 Stellen im unterfränkischen Handwerk nicht besetzt. Das befeuere nicht nur den eklatanten Fachkräftemangel, so Handwerkskammer-Präsident Michael Bissert. "Handwerkliche Produkte und Dienstleistungen werden für den Verbraucher teurer und schwerer zu bekommen sein."      

Ein gravierender Grund für die prekäre Situation sei der demografische Faktor, denn die Zahl der 15 bis 24-Jährigen befinde sich auf absolut niedrigem Niveau. Vor allem Berufe des Dienstleistungsgewerbes leiden unter dieser Entwicklung. So sei zum Beispiel die Zahl der Bewerber und Bewerberinnen um eine Stelle als Fachverkäufer oder im Lebensmittelhandwerk um 43,7 Prozent  zurückgegangen. 

 
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