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WÜRZBURG
„Wir helfen, den Teufelskreis der Angst zu durchbrechen“
Michael Reinhard
Michael Reinhard
 |  aktualisiert: 19.10.2020 09:32 Uhr

Trotz aller medizinischen Fortschritte ist die Diagnose Krebs noch immer ein tiefer Einschnitt im Leben der Patienten. Oft sind sie und ihre Angehörigen damit überfordert. Die Psychoonkologie kann hier wertvolle Unterstützung leisten. Doch sie ist nach wie vor ein Stiefkind der onkologischen Versorgung. Das soll sich ändern. Wenn sich im Februar Onkologen zum 33. Deutschen Krebskongress in Berlin treffen, wird die Psychoonkologie breiten Raum in den Diskussionen einnehmen. Die Bayerische Krebsgesellschaft hat die psychosoziale und psychoonkologische Beratung krebskranker Menschen und ihrer Angehörigen schon lange zu einer zentralen Aufgabe des Vereins erklärt. „Wir versuchen, durch unsere Informationen die Angst bei den Betroffenen zu reduzieren, damit sie besser mit ihrer Erkrankung klarkommen“, erläuterte Professor Günter Schlimok, Präsident der Krebsgesellschaft, im Gespräch mit dieser Redaktion.

Frage: Was genau versteht man unter Psychoonkologie?

Günter Schlimok: Die Psychoonkologie beziehungsweise psychosoziale Onkologie ist als vergleichbar junge Disziplin in der Onkologie anerkannt. Sie befasst sich mit den psychischen, sozialen und seelisch-spirituellen Aspekten einer Krebserkrankung. Ferner erforscht sie die Entwicklung und den Verlauf von Krebserkrankungen sowie die persönlichen, familiären und sozialen Prozesse bei der Krankheitsverarbeitung. Das hieraus gewonnene Wissen wird systematisch auch für die Vorsorge, Früherkennung, Diagnostik sowie für die Behandlung und Rehabilitation von Krebspatienten genutzt.

Wie wichtig ist die psychoonkologische Betreuung für Krebspatienten?

Schlimok: Aus der täglichen Zusammenarbeit wissen wir, dass krebskranke Menschen und deren Partner, aber natürlich auch deren Kinder und Eltern oftmals überfordert sind und sich mit ihren Sorgen und Ängsten alleingelassen fühlen. Die Bayerische Krebsgesellschaft hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Betroffenen professionell zu beraten und zu unterstützen. Wir tun dies in unseren Psychosozialen Krebsberatungsstellen, die es in allen Regierungsbezirken Bayerns gibt, unter anderem auch in Würzburg und Schweinfurt. Dort stehen psychoonkologisch geschulte Mitarbeiter für alle Fragen und Probleme bei einer Krebserkrankung zur Verfügung. Die Beratung ist kostenfrei und orientiert sich am jeweiligen Bedarf der Ratsuchenden.

Was konkret können Ihre Mitarbeiter für die Ratsuchenden tun?

Schlimok: Wir versuchen unter anderem, den Patienten in ihrer oft sehr schlechten psychischen Verfassung den Weg aus dem Teufelskreis der Angst zu zeigen. Denn Tumorkrankheiten lösen Ängste aus. Angst macht Unsicherheit. Und Unsicherheit macht Angst. Wir bemühen uns, durch Aufklärung diese Angst zu reduzieren. Keine andere Krankheit als Krebs führt so stark zur Angst vor dem Tod. Ein Diabetiker, der vielleicht objektiv gesehen eine schlechtere Prognose hat, lässt sich durch die Diagnose Diabetes nie so im Alltag beeinträchtigen wie ein Patient mit einer Tumorerkrankung. Daneben richten wir ein Augenmerk auf Fragen des Alltags, der durch die Diagnose gehörig durcheinandergewirbelt wird: Wie geht es weiter am Arbeitsplatz? Wie gehe ich mit der veränderten Familiensituation um, wie mit meinen Kindern? Unser Anliegen ist es, den Patienten zu helfen, die ihn belastende neue Situation zu meistern.

Wie wirken sich psychische Belastungen auf den Heilungsprozess aus?

Schlimok: Sie erschweren ihn sicherlich. Man weiß beispielsweise, dass psychische Belastungen zu einer schlechteren Verträglichkeit der Therapie führen. Und es ist auch belegt, dass sie letztendlich die Patienten in der Lebensqualität ganz entscheidend beeinträchtigen.

Empfehlen Sie, auch die Angehörigen in den Therapieprozess einzubinden?

Schlimok: Auf jeden Fall. Angehörige sind bei einer derartigen Erkrankung mit betroffen. Deshalb sollte man sie immer in die Therapie aktiv einbeziehen.

Welche Rolle spielen Vorsorge und Früherkennung im Kampf gegen Krebs?

Schlimok: Laut Schätzungen der Weltkrebsorganisation UICC könnten allein durch eine gesunde Lebensweise und mehr Bewegung 30 bis 40 Prozent aller Krebserkrankungen vermieden werden. Das wären allein für Deutschland mit über 450 000 Neuerkrankungen pro Jahr etwa 180 000 Erkrankungen weniger. Rauchen, übermäßiger Alkoholgenuss, Übergewicht und intensive Sonnenbäder sind Hauptrisikofaktoren für die Entstehung von Krebs. Jeder Einzelne kann sein persönliches Risiko senken, indem er sich gesund ernährt, viel bewegt, ungesunde Verhaltensweisen wie das Rauchen aufgibt und regelmäßig sinnvolle Früherkennungsuntersuchungen wahrnimmt.

Professor Günter Schlimok ist Internist, Hämatologe und internistischer Onkologe sowie Palliativmediziner und Facharzt für Transfusionsmedizin. Zu seinen medizinischen Schwerpunkten zählen die Behandlung von soliden Tumoren, Leukämien und Lymphomen und die Stammzelltransplantation. Schlimok hat 38 Jahre lang am Klinikum Augsburg gearbeitet, davon 18 Jahre als Chefarzt. Seit Juli 2014 ist er als Hämatologe/Onkologe in einer Augsburger Praxis und als Belegarzt im Diako tätig. Aktuell ist er Präsident der Bayerischen Krebsgesellschaft.

Psychosoziale Beratung

In den Psychosozialen Krebsberatungsstellen der Bayerischen Krebsgesellschaft e.V. in Schweinfurt und Würzburg finden Menschen mit Krebs und deren Angehörige professionelle Beratung und Unterstützung. Sie können sich bei psychischen und sozialen Fragen telefonisch oder persönlich kostenfrei beraten lassen.

Würzburg

Tel. (09 31) 28 06 -50

Fax (09 31) 28 06 -70

E-Mail kbs-wuerzburg@bayerische-krebsgesellschaft.de

Schweinfurt

Tel. (0 97 21) 720-0 oder 720 2290

Fax (0 97 21) 720-2903

E-Mail krebsberatung@leopoldina.de

 
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