
Um Mitternacht klingelt das Telefon. Es meldet sich die Polizei: "Hallo Frau Meyer, wir sind in einer halben Stunde bei Ihnen und bringen drei Geschwisterkinder mit". "Ich wusste nicht, was mich erwartet", erinnert sich Bereitschaftspflegemutter Monika Meyer an diese Nacht. Es ist sehr kalt. Eingewickelt in eine Decke, wartet sie vor ihrem Haus in Kolitzheim auf die Polizei.
Die Kinder sind spärlich bekleidet, sie sehen schmutzig und ungepflegt aus. "Das war hart zu sehen", erinnert sich Meyer im Gespräch mit dieser Redaktion. Gemeinsam betreten zwei Polizeibeamte, drei Kinder und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes das Haus. Sie schlägt vor, die Kinder bettfertig zu machen; die sind aber ängstlich und wollen nicht mitmachen. Sie ziehen sich weinend zurück. "Bitte lassen Sie sie heute schlafen. Ich kümmere mich morgen um alles Weitere", schlägt Monika Meyer vor.
Bereitschaftspflegemutter, ein Auftrag und ein Wille
Am nächsten Morgen will die Pflegemutter die Kinder baden und blickt in erstaunte Gesichter. "Hast du denn eine Badewanne?", fragen die Kinder. "Wir haben uns immer in einer Metallschüssel in der Scheune, wo wir waren, gewaschen." Nach dem Baden geht's ans Frühstücken. Die Kinder hätten dabei sofort angefangen, das Obst und Brot in ihre Taschen zu stecken. "Man denkt, so etwas gibt es nur in Filmen oder Romanen, aber es ist leider die Realität, dass manche Kinder nie genug zu essen bekommen", erzählt Monika Meyer von ihren Erfahrungen.
Das ist nur eine von 30 Geschichten, die Monika Meyer in den vergangenen 25 Jahren als Bereitschaftspflegemutter erlebt hat. Bereitschaftspflege bedeutet, dass ein Kind, das sich in einer Notsituation befindet, für eine bestimmte Zeit in eine Familie aufgenommen wird. Die Familie kümmert sich um das Kind, bis das Jugendamt oder das Familiengericht entschieden hat, was weiter passiert.
Heute steht Monika Meyer (70) in ihrer Küche, macht sich einen Kaffee, auf dem Esstisch liegt ein Fotoalbum mit Bildern von zwei Babys. "Es war so schön, als die beiden Babys hier waren, sagt Meyer". Sie waren bis vor kurzem bei ihr, weil die Mutter nach der Geburt an einer Krankheit gestorben war. Bis zur Klärung der Vaterschaft waren die Zwillinge in ihrer Obhut.

Ihren ersten Fall als Pflegemutter hatte Monika Meyer, selbst Mutter von vier Kindern, mit 55 Jahren. Ein Fall in der Familie hatte sie in Kontakt mit dem Jugendamt gebracht. Ein Mädchen war mit 16 Jahren Mutter geworden und kam nicht zurecht. Monika Meyer betreute immer wieder Mutter und Kind, bis die Mutter sie bat, das Kind komplett alleine zu versorgen. "Sie war selbst ein Kind und wusste nicht mehr, wie sie mit dem Baby umgehen sollte", sagt Meyer.
Die Konsequenzen einer Entscheidung

In der Folgezeit hat das Jugendamt immer wieder bei Monika Meyer angefragt, ob sie zur Übernahme eines Kindes bereit sei: "Ich habe immer Ja gesagt", so Meyer. Eine Entscheidung, die nicht ohne Folgen blieb: "Mein Mann und ich sind deswegen auseinander gegangen". "Ich musste viel für die Kinder da sein", erzählt sie. "Wir waren im Kino, haben getanzt, gespielt, alles, was Kinder so brauchen", erzählt sie.
Für ihren jahrzehntelangen Einsatz als Pflegemutter erhielt Monika Meyer kürzlich eine Würdigung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Er verlieh ihr die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Überreicht wurde die Auszeichnung durch Landrat Florian Töpper, im Beisein des Kolitzheimer Bürgermeisters Horst Herbert.
"Natürlich habe ich mich gefreut. Aber genauso wichtig wie eine solche Medaille ist mir der Anruf eines Pflegekindes an meinem Geburtstag", sagt die 70-jährige Monika Meyer.