
Tanja Seufferts erste Station an diesem Morgen ist Friseurin Carina Hirsch. Die Frau mit den schulterlangen Haaren nimmt auf dem Stuhl vor dem Spiegel Platz, Hirsch legt ihr den transparenten Umhang um, bindet die obere Partie der Haare ab. Zuvor hatte Seuffert der Friseurin noch ein Foto gezeigt, wie es aussehen soll. Dann geht es los, erst grob mit der Schere, dann mit der Maschine: der Hinterkopf, die Seiten, dann wird's auch oben kurz.
"Ja, Wahnsinn, die Tanja, schon wieder radikal", hört man eine Frau sagen. Wieder eine Kurzhaarfrisur, wie vergangenes Jahr auch, als Seuffert sich zum ersten Mal beim "Beauty Day" der Bahnhofsmission am Schweinfurter Hauptbahnhof die Haare schneiden ließ. "Letztes Jahr hat die Carina mir gesundheitlich bedingt die Haare schon so frech gestylt", sagt die 46-Jährige. "Ich habe gesagt, ich will unbedingt wieder zu ihr." Jetzt, wo die Haare sitzen, geht es für Seuffert zur Fußpflege.
Luxus, der im Alltag sonst unmöglich ist
So einen Luxus kann sich die 46-Jährige im Alltag sonst nicht leisten. Genau wie die vielen anderen Männer und Frauen, die an diesem Morgen zum Gleis 1 gekommen sind, um das zu tun, wofür sonst das Geld fehlt: sich verwöhnen lassen. "Unsere Gäste, die meistens obdachlos, sozial schwach oder einsam sind, sollen mal im Mittelpunkt stehen", erklärt Einrichtungsleiterin Susanne Brand das Konzept des Beauty Days. Deshalb stehen hier heute Friseurinnen, eine Podologin, eine Nagelpflegerin und ausreichend Kaffee und Kuchen bereit.

Die Bahnhofsmission hat eine Räumlichkeit am Schweinfurter Hauptbahnhof. Die 30 bis 40 Gäste, die täglich dort begrüßt werden, nutzen normalerweise nur die Innenräume. Beim Beauty Day sieht das anders aus: Draußen stehen Biergarnituren, ein Tisch mit Nagelpflege und Lacken in allen Farben, ein Glücksrad, jedes Feld ein Gewinn, und ein Pavillon mit zwei Stühlen, an denen die Friseurinnen die Haare schneiden.
Nicht mal eine Stunde vorbei und schon 20 Namen auf der Liste
Maxi Schraud, die bei der Dekoration mitgeholfen hat, hat eine Liste in der Hand. Die Reihenfolge für die Friseurinnen. Sie schaut, dass sich da niemand vordrängelt. "Die Gäste kommen zu mir, melden sich an, wir arbeiten einen nach dem anderen ab, streichen durch, der Nächste", erklärt Schraud die Vorgehensweise, immer einen Blick auf den Pavillon gerichtet. Es ist nicht einmal eine Stunde vorbei und die Liste ist lang. "Wir sind jetzt schon bei Nummer 20, das können noch mehr werden."
Auf einem der Stühle nimmt eine ältere Dame Platz. Friseurin Carina Hirsch begrüßt sie, legt ihr den Schutz um, sagt trocken: "Sie wollen grüne Spitzen, oder?" Die Dame lacht: "Neeee." Ein bisschen Spaß muss sein. Hirsch, die als mobile Friseurin arbeitet, hilft schon seit zehn Jahren ehrenamtlich beim Beauty Day mit. "Ich bin jedes Jahr mit Kamm und Schere dabei", sagt die 34-Jährige. In so einer langen Zeit kenne man den einen oder die andere schon. "Es sind oft die gleichen Gesichter."

Am Platz nebenan hilft Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt erstmals beim Beauty Day mit. "Es war selbstverständlich, dass wir mitmachen", sagt Rosentritt, die noch eine Kollegin dabei hat. Die Friseurmeisterin hat sogar schon eine Idee, wie man es bei der nächsten Veranstaltung schaffen könnte, mehr Personen gleichzeitig zu frisieren. Und sie würde gerne ihre Auszubildenden dazu bringen, mitzumachen. "Ich versuche immer, sie zum Ehrenamt zu bringen."
Herkunft, Religion und finanzielle Situation spielen keine Rolle
Beim Beauty Day sei jeder willkommen, betont Leiterin Susanne Brand. "Wir fragen nicht nach Herkunft, Religion, Geldbeutel. Wer kommt, wird gleichbehandelt." Getragen wird das Projekt von der Diakonie Schweinfurt und dem Frauenfachverband "In Via" sowie durch Sachspenden und zahlreiche Ehrenamtliche, die "mit viel Herzblut dabei" seien, sagt Brand.

Im Innenraum der Bahnhofsmission bedient Katharina Silvestro gerade eine Dame, die lieber anonym bleiben möchte. Silvestro, die eine Podologie-Praxis in Hambach hat, ist zum zweiten Mal dabei. "Und ich komme auf jeden Fall wieder", sagt die 50-Jährige. "Weil es schön ist, anderen eine Freude zu machen." Die Behandlung? "Ich mache das, was anfällt. Kommt auf die Füße an."
Die Dame auf dem Behandlungsstuhl ist das erste Mal beim Beauty Day. "Ich habe gewusst, dass es die Bahnhofsmission gibt, aber nicht, dass sie für alle ist", erklärt die 62-Jährige. Über eine Bekannte habe sie davon erfahren und sei hergekommen. Nach der Fußpflege geht es für sie gleich noch zur Nagelpflege.
Der Beauty Day gebe ihr und den zahlreichen Ehrenamtlichen "total viel", sagt Leiterin Brand. "Weil wir merken, dass die Leute mit Freude und Selbstbewusstsein wieder herausgehen und sich gesehen fühlen."