Es war ein durchaus beeindruckendes Bild, als die Luftballons der coronagerecht mit Abstand und Maske auf dem Marktplatz stehenden Gäste der Vernissage der Ausstellung "Gerne daheim in Schweinfurt?!" der Reihe "Made in Schweinfurt" in die Luft schwebten. Während man so den Ballons hinterher schaute, drehten sich die Gedanken um die Fragen, die Matthias Kress, Leiter der Stabsstelle "gerne daheim" davor gestellt hatte.
Einfaches, wie wessen Eltern nicht in Deutschland geboren seien, ob man gerne im Ausland Urlaub mache oder wer ein Lieblingsessen habe, das nicht aus Deutschland stamme. Aber auch Ernstes: Wer habe schon mal Diskriminierung erfahren wegen seines Aussehens, seiner Sprache? Da gingen viele Hände mit Ballons hoch, zu viele.
Aufklärung leisten, Verständnis wecken, Zusammenhänge und vor allem Chancen zeigen zum großen Thema Migration und Integration von ausländischen Mitbürgern in Schweinfurt, das hat sich die Ausstellung im Alten Rathaus bis 24. Oktober zur Aufgabe gemacht. Und erfüllt sie auf Anhieb, was auch an der bewährten Art und Weise liegt, wie Daniela Kühnel ihre mittlerweile neunte "Made in Schweinfurt" mit Akribie für die Fakten, Blick fürs Detail sowie museumspädagogisch top aufbereitet kuratiert hat.
Knapp 55 000 Einwohner hat Schweinfurt, Menschen aus 128 Ländern leben hier, 11 000 Mitbürger haben einen ausländischen Pass und rund 45 Prozent der Deutschen einen so genannten Migrationshintergrund. Das sind die nackten Zahlen, die das seit vielen Jahrzehnten friedliche Miteinander der Kulturen in der Stadt nur unzureichend in all seiner Vielfalt beschreiben.
Oberbürgermeister Sebastian Remelé wies bei der Eröffnung auf die vielfältigen Zuwanderungs-Bewegungen seit dem Zweiten Weltkrieg hin und wie sehr die Stadt von den neuen Mitbürgern geprägt und bereichert wurde. Er hatte aber auch einen wichtigen Wunsch: "Kapseln Sie sich nicht ab, bleiben Sie nicht untereinander", mahnte er Migranten wie Einheimische. Nur gemeinsam könne es gelingen, "die Stadt zusammenzuhalten".
Die Schweinfurter Gesellschaft ist so vielfältig wie niemals zuvor. In den letzten Jahrzehnten veränderte sie sich immer wieder durch arbeitsbedingte Einwanderung, aber auch durch Flucht. Man kann das gut an einem besonderen Höhepunkt der Ausstellung im Alten Rathaus sehen – der großen Wand im hinteren Teil, die bei allen Ausstellungen dort immer zu einer besonderen Gestaltung einlädt.
Dieses Mal ist die Vielfalt der Menschen in der Stadt abgebildet, dazu ein Zeitstrahl mit den wichtigsten Daten. Wie die ersten Kriegsvertriebenen 1946 ankamen, wie 1956 Flüchtlinge aus Ungarn begeistert aufgenommen wurden, wie in den 1960er Jahren die ersten Arbeitskräfte für die Industriebetriebe aus Italien oder der Türkei kamen.
1973 lebten 3500 ausländische Mitbürger in Schweinfurt, heute geht man davon aus, dass rund 45 Prozent der Schweinfurter einen Migrationshintergrund haben, für eine Stadt dieser Größe ein ungewöhnlich hoher Wert. Daniela Kühnels Zeitstrahl lässt die schweren Zeiten nicht aus: 1999 gab es zwei Brandanschläge in Schweinfurt auf türkische Einrichtungen.
In der Ausstellung wird ein weiter Bogen gespannt: Von der Aufnahme von Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg über die Anwerbung von ausländischen Arbeitskräften in den 1950er und 1960er Jahren bis zum Ankerzentrum für Geflüchtete, das ab 2015 in Schweinfurt und seit Sommer 2019 in Geldersheim ist. Anhand verschiedener Themenfelder wie Geschichte, Religion, Bildung, Arbeit und Integration wird vermittelt, dass Schweinfurt seit vielen Jahren von Zuwanderung geprägt ist und was in Schweinfurt für eine gelingende Integration getan wird, beschreibt Kühnel den Ansatz.
Das Besondere dieser Ausstellung ist auch, dass die Stabsstelle „gerne daheim“ der Stadt mit im Boot ist. Matthias Kress erklärt, er sei froh, "mit der Ausstellung eine angstnehmende, chancenorientierte und damit integrationsfördernde Sichtweise fördern zu können“.
Mit integriert in die „Made in SW“ ist die Wanderausstellung „Woher/Wohin – Eine Ausstellung vom Ankommen und Weggehen“ der Unterfränkischen Kulturstiftung des Bezirks Unterfranken, die Daniela Kühnel ebenfalls kuratierte. Bei dieser Ausstellung wird die Situation der Migration in Unterfranken beleuchtet, werden Geschichten gezeigt aus unterschiedlichen Epochen, die deutlich machen, dass Mobilität und Migration seit Jahrhunderten prägende Elemente der Gesellschaft sind. Bezirksrat Stefan Funk freute diese Zusammenarbeit, da es erst das dritte Mal ist, dass "Woher/Wohin" gezeigt wird. Für Funk "gehören Migranten zur Geschichte unserer Stadt."
Ausstellungsorte gibt es gleich mehrere: das Alte Rathaus, die Vorhalle zur Ausstellungshalle sowie verschiedene Fensterfronten in der Innenstadt. Natürlich hat man sich an die Hygieneregeln zum Besuch von Museen während der Corona-Pandemie gehalten, Kühnel hat die Ausstellungen in den Innenräumen bewusst als Einbahnstraßensystem gestaltet. Es gibt genügend Aufsichten, die auf die Einhaltung der Maskenpflicht achten und dafür sorgen, dass nicht zu viele Menschen gleichzeitig in den Räumen sind.
Die Fensterfronten in der Innenstadt können unabhängig von den Öffnungszeiten jederzeit betrachtet werden. Außerdem gibt es ein vielfältiges Veranstaltungsprogramm. Für Familien wurde eine Rätseltour durch die Stadt gestaltet, bei der man an jeder Station Fragen beantwortet. Wer das Lösungswort findet, bekommt einen kleinen Preis. Die Broschüre zur "Made in Schweinfurt" kann auf der städtischen Homepage heruntergeladen werden.
„Gerne daheim in Schweinfurt?!" im Rahmen der Ausstellungsreihe "Made in Schweinfurt" bis 24. Oktober im Alten Rathaus sowie an verschiedenen Fensterfronten in der Innenstadt. Integriert im Alten Rathaus ist die Ausstellung "Woher, wohin" des Bezirks Unterfranken. Öffnungszeiten: Montag bis Mittwoch, 10 bis 15 Uhr; Donnerstag bis Samstag, 15 bis 20 Uhr. Infos unter www.schweinfurt.de/madeinschweinfurt2020