Gerolzhofen im Jahr 1585: „Du lutherischer Eselsknecht!“ „Papstkriecher!“ Kinder beschimpfen sich beim Spielen auf der Gasse. Ein junges Liebespaar muss sich trennen. Irma ist evangelisch, Linhard katholisch. Gute Nachbarschaften zerbrechen. „Mit der Ruhe ist es endgültig vorbei“, sagt einer der vielen Anhänger Luthers in der Stadt.
Das Theaterstück „Du musst dran glauben – Luther, Echter und Gerolzhofen“ hatte am Mittwochabend seine Uraufführung. Es nimmt die Zuschauer mit ins 16. und 17. Jahrhundert. Ab 1520 finden die Lehren Martin Luthers immer mehr Anhänger in der Stadt. Bis 1586 war sie überwiegend protestantisch. Mit Fürstbischof Julius Echter änderte sich das. Durch sein hartes Durchgreifen wurde Gerolzhofen wieder katholisch.
Auch wenn Julius Echter und Martin Luther ihre Auftritte haben, sogar ein fiktives Streitgespräch führen, dreht sich das Stück um die Menschen, um Gerolzhöfer Familien, die damals gelebt, gelitten, gestritten, gebangt, gehofft haben – wegen ihrer Religion.
Vorbereitungen begannen vor zwei Jahren
500 Jahre Reformation und 400. Todestag von Julius Echter: Vor gut zwei Jahren begannen die Überlegungen, ganz viel Theater um das Doppeljubiläum im Jahr 2017 zu machen. Keine klassische Aufführung auf einer einzigen Bühne sollte es werden, sondern eine Zeitreise, ein tiefes Eintauchen in die dramatische Geschichte der Stadt, bei dem die Zuschauer zu mehreren historischen Spielstätten quer durch die Stadt wandeln.
Unter der künstlerischen Gesamtleitung von Silvia Kirchhof ist „Du musst dran glauben“ ein bewegendes und mit sehr viel Engagement aufwendig umgesetztes Theatererlebnis geworden. Die Spielfreude der rund 70 Darsteller, vor allem Laien, ihre Authentizität sind einfach mitreißend. Auch die evangelischen und katholischen Seelsorger der Stadt haben eine Rolle übernommen und bleiben dabei ihrem Glauben treu: Reiner Apel spielt den Bürgermeister Caspar Lesch, ein Anhänger Luthers, der die Stadt verlassen muss. Pfarrer Stefan Mai verwandelt sich in den armen, altgläubigen Knecht Lukas.
Die Szenen an vier Spielorten veranschaulichen exemplarisch und dramatisch zugespitzt die damaligen Ereignisse und ihre Auswirkungen. In der evangelischen Erlöserkirche steht die Frage im Raum: „Weggehen oder bleiben?“ – beziehungsweise: „Glauben oder abschwören?“
„Ich brauche keine Pfaffen als Mittler“, sagt der Vater von Irma. Linhards Mutter sorgt sich, weil ihr Sohn eine Lutherische heiraten möchte und hat bereits ein gieriges Auge auf das Anwesen der Nachbarn geworfen – falls sie als Exulanten die Stadt verlassen sollten und zum Beispiel nach Prichsenstadt oder Bimbach zögen, „auf in ein neues Leben“ unter einer protestantischen Obrigkeit.
In der katholischen Stadtpfarrkirche hält Julius Echter am 2. März 1586 sein Strafgericht. Fast 13 Jahre ist er im Amt, als er brachial seine Rekatholisierung voranbringt. Vor seinem berüchtigten Besuch hat schon der von ihm aus Würzburg abgesandte Pfarrer Daniel Stauber den Boden bereitet. Bei einem Begräbnis eines Kindes der Familie Weiglein bleibt er unerbittlich, seine Miene starr: „Keine Orgel, keine Glocken, kein Gesang.“ Still wird der kleine Leichnam aus der Kirche getragen.
Ein anderer, mildtätiger Fürstbischof
In der Spitalkirche zeigt sich ein anderer, ein mildtätiger Fürstbischof. Dort werden unter seiner Herrschaft nicht nur Betuchte versorgt wie der trinkfreudige Herrenpfründner Dietrich, der sich über die „mespelbrunnige Barmherzigkeit“ aufregt, sondern auch bedürftige Arme. Die bewegende Schlussszene hat es auch Weihbischof Ulrich Boom angetan, der bei der Uraufführung zu den Zuschauern gehörte. „Daran gleb ich“ – ein Satz, der ihm auch im Dialekt leicht über die Lippen kommt.
„Mit der Ruhe ist es endgültig vorbei"
Ob Weihbischof Boom an Hexen geglaubt hätte, wenn er damals gelebt hätte? Sie tanzen vor der Echtervogtei, daneben riecht es nach angekokeltem Haar, als eine Frau verbrannt wird. In dem stattlichen Gebäude werden die Zuschauer Zeuge, als der berüchtigte Zentgraf Valentin Hausherr aus dem Ruder läuft. Er hat das Leben vieler Familien zerstört. Bis nach Würzburg dringt Kunde des mörderischen Treibens des Zentgrafen. Amtmann Vitus Zyrrer reist an und sieht nach dem Rechten – und wird von einer Anwältin aus der Gegenwart befragt. „Hinterher ist man immer schlauer“, meint er.
Auch der Weg, das Wandeln zu den einzelnen Spielstätten wird szenisch begleitet, zum Beispiel von Hilda, die Babette von ihren Besagungen erzählt, ihren Denunziationen. Musikanten singen von dem Spiel um Macht und führen die Zuschauer durch ein verschwundenes Tor, zu dem damals die Anhänger Luthers gingen. Bürgersfrau Ottilia Dehn gibt dem schlagfertigen Barthel Anweisungen, wo er betteln darf und wo nicht.
Recherchen, Diskussionen, Abstimmungen
Viele Recherchen im Stadtarchiv, aber auch in Würzburg im Staats- und Diözesanarchiv und etliche Diskussionen und Abstimmungen gingen den Theaterproben voraus. Klaus Vogt, Mitglied dieser Redaktion, weiß seit der intensiven Spurensuche, in welchem Haus damals Menschen gelebt haben, die der Hexerei bezichtigt wurden. Roman Rausch und Christine Weisner sind die Autoren des Stücks, wissenschaftlich begleitet wurde es von den Würzburger Historikern Rainer Leng und Robert Meier.
Laut Meier stellen neue historische Erkenntnisse den Ruf Julius Echters als Hexenbrenner in Frage, schreibt er im Programmheft. Es habe keine „von oben“ initiierte Verfolgung von Hexen gegeben, auch keine Prozessserien – außer in Gerolzhofen. Sonderfaktor sei die aktive Rolle des Zentgrafen Valentin Hausherr gewesen.
Professor Leng hat begleitend zum Theaterstück die „Reformation und Rekatholisierung in Gerolzhofen“ in einem Buch aus der Reihe „de geroldeshova“ zusammengefasst. 75 Haushaltsvorstände hätten sich damals zur Auswanderung entschlossen, „darunter nahezu die komplette wirtschaftliche und geistige Elite der Stadt“. Zusammen mit Frauen und Kindern entsprach das etwa 375 Menschen, etwa 15 Prozent der Einwohner.
Die Anhänger Luthers, die ihrem Glauben abschworen, um weiter in der Stadt leben zu können, hätten anfangs das auferzwungene katholische Bekenntnis kaum innerlich akzeptiert. „Erst weitere Maßnahmen einer inneren Reform brachten die Wende.“
Informationen zu „Du musst dran glauben“
Das Kleine Stadttheater Gerolzhofen präsentiert das Wandeltheaterstück „Du musst dran glauben – Luther, Echter und Gerolzhofen“ (künstlerische Leitung Silvia Kirchhof) noch bis 28. Mai sowie von 1. bis 5. Juni; Spielbeginn ist um 19.30 Uhr. Eine barrierefreie Veranstaltung gibt es in der Stadthalle am 4. Juni, 14.30 Uhr.
Zuschauer wählen beim Kauf der Eintrittskarte einen Startpunkt aus. Die Inszenierungen an den vier Spielorten sind in sich abgeschlossen. Zu den einzelnen Aufführungen begleiten Schauspieler die Theatergäste. Zum Finale treffen alle im Spitalgarten aufeinander.
Karten: Tourist-Information in Gerolzhofen, Marktplatz 20, Tel. (0 93 82) 90 35 12, oder übers Internet: www.du-musst-dran-glauben.de
Zum Begleitprogramm gehört unter anderen die Ausstellung „Lutherbock und Papstesel. Bildsatiren der Reformationszeit“ im Gotikmuseum Johanniskapelle (bis 5. Juni, geöffnet Samstag/Sonntag 14 - 17 Uhr). cj