Marlis Bohnengel macht kein Geheimnis daraus, dass sie glücklich ist mit ihrem Beruf. "Ich bin noch nie so angekommen wie jetzt", sagt die 43-Jährige aus Michelau. Seit gut dreieinhalb Jahren leitet sie eine Vinothek in Bamberg. Für diesen Job hat sie nicht nur mit ihrem vorherigen Berufsleben abgeschlossen, sie hat dafür auch eine 180-Grad-Wende hingelegt und sich völlig neu orientiert. Sie hat den Praxisstudiengang zur geprüften Wein-Sommelière an der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Würzburg absolviert.
Rund um ihren 40. Geburtstag drohen manche Frauen und Männer in ein mentales Loch zu fallen. Midlife-Crisis heißt das Phänomen auf Englisch, das vielen ein Begriff ist. Marlis Bohnengel kann nachvollziehen, dass Menschen in der Mitte ihres Lebens an der Sinnfrage knabbern. Doch sie hat darin eher eine Chance gesehen, sich nochmals umzuorientieren und etwas Neues zu beginnen.
Sie hatte seinerzeit als gelernte Kinderpflegerin zwölf Jahre in einer Schweinfurter Schule mit Kindern mit Behinderungen gearbeitet. Es war ein anstrengender, allerdings sicherer Job im öffentlichen Dienst. Zum Ausgleich hat Marlis Bohnengel "schon immer", wie sie sagt, nebenbei im Gastronomiebereich gearbeitet – einfach weil es ihr Freude bereitet hat. Im Lauf der Zeit hat sie ihre Gastro-Arbeit ausgebaut. Ab dem Jahr 2018 arbeitete sie schließlich Vollzeit in der Vinothek des Volkacher Hotels "Zur Schwane".
Einwöchiger Lehrgang wirkte als Initialzündung
Wein und gutes Essen, erzählt sie, haben in ihrer Familie schon immer eine große Rolle gespielt. Ihr Vater stammt aus Österreich. Doch letztlich bedurfte es noch einer Initialzündung, bis sie erkannt hat, dass Wein für sie mehr sein soll, als nur ein liebes Hobby. Der fehlende Funke sprang im August 2018 auf sie über. Da besuchte sie einen einwöchigen IHK-Lehrgang zur Assistant Sommelière. Danach wusste sie: "Das ist mein Ding." Jetzt wollte sie mehr davon.
Obwohl ihr alle davon abgeraten hätten, als totale Quereinsteigerin im Oktober 2018 – kurz vor ihrem 40. Geburtstag – den Studiengang zur geprüften Sommelière zu beginnen, ließ sie sich nicht davon abbringen. Ein Dreivierteljahr lang besuchte sie den Teilzeitkurs zusammen mit elf weiteren Frauen und Männern, nahm neben ihrer Arbeit in Volkach Sechs-Tage-Wochen in Kauf, absolvierte Blockunterricht und opferte dafür ihre Urlaubstage.
Ihr Sohn war damals 18 geworden, berichtet die Michelauerin. Sie wusste, dass sie fortan mehr Raum haben würde, sich um sich selbst zu kümmern. "Es war einfach die Zeit, um nochmals durchzustarten", sagt sie.
Einladung zum Essen mit Hintergedanke
Und dann stellte sich die entscheidende Weiche für ihr weiteres berufliches Leben fast wie von selbst: Ein Kurskollege ihres Studiengangs leitete das Restaurant "Edelfrei" in Bamberg. Dieser lud sie eines Tages dort zum Essen ein. Was Marlis Bohnengel nicht wusste: Die Einladung war nicht ohne Hintergedanke erfolgt. Denn während des Essens kam die Chefin des Restaurantleiters hinzu – und fragte sie, ob sie nicht Interesse habe, mit ihr in der Nachbarschaft des Restaurants eine gleichnamige Vinothek aufzubauen und zu leiten.
Marlis Bohnengel ließ sich gerne davon überzeugen. Im April 2019, noch vor den Abschlussprüfungen ihres Sommelière-Kurses, begann sie in Bamberg in ihrem neuen Job. Bereut hat sie diesen Schritt seitdem keinen einzigen Tag, sagt sie. "Ich möchte auf keinen Fall mehr mit früher tauschen!"
Am meisten Spaß macht der Kontakt mit Kunden
Weine von etwa 60 Winzern hat die Vinothek im Sortiment. Marlis Bohnengel kümmert sich um die Auswahl der Weine, was für sie immer noch eine spannende Aufgabe ist. Wann immer sie Zeit hat, ist sie bei den Winzern, hält Kontakt mit diesen und sucht die passende Weine aus. Am meisten Spaß mache ihr allerdings der Kontakt mit den Kunden in der Vinothek, sagt sie. Es seien viele Stammkunden darunter, nicht einmal so viele Touristen, obwohl der Laden im Zentrum der Bamberger Altstadt liegt.
Sie betreut Kunden jeden Alters. Zu ihr kommen Studenten mit kleinem Geldbeutel genauso wie die Seniorin aus der Nachbarschaft, die regelmäßig mit einer Flasche Wein im Korb ihres Rollators wieder nach Hause geht. Was sie verbindet, das ist die Freude am Genuss. Manche wüssten ziemlich genau, welchen Wein sie möchten, schildert Marlis Bohnengel, da käme es in der Beratung eher auf Details an. Andere seien völlig offen, suchten aber beispielsweise den passenden Wein für ein Abendessen. Sie weiß auch: Gerade den Stammkunden muss sie ehrlich sagen, wenn diese unbedingt einen Wein möchten, der aber nicht zu ihnen passt. Dies gehört zu ihrer Aufgabe als Sommelière.
Kreation eines eigenen Weins
Obwohl sie glücklich ist, wie's in ihrem Leben läuft, ist Marlis Bohnengel weiter offen für Neues. Im kommenden Jahr plant sie, sich bei der IHK zur Fachsommelière für Champagner ausbilden zu lassen. Zudem möchte sie kommendes Jahr zusammen mit einem Winzer aus Retzstadt (Lkr. Main-Spessart) einen eigenen Wein kreieren. Dass sie das kann, hat sie bereits in diesem Jahr bewiesen. "Mein erstes Mal" steht auf dem Etikett, das auf den 1000 Flaschen ihres Weins, eines Cuvées aus Weißburgunder und Auxerrois, klebt, die sie im Mai hat abfüllen lassen.
Zu dieser Premiere hat auch der Zufall beigetragen. Eines Tages stand ein junger Winzer bei ihr in der Vinothek, mit einer Kühltasche in der Hand, erzählt die 43-Jährige. Nicolas Olinger aus Iphofen, so sein Name, war ihr rasch sympathisch. So kam es, dass die beiden die Idee hatten, Marlis Bohnengels ersten Wein aus der Taufe zu heben. Was sie damals noch nicht wusste: Sie hatte sich mit dem später von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) gekürten "Jungwinzer des Jahres 2021" eingelassen. Aber das nur am Rande erwähnt.
Zucker lenkt nur vom Geschmack ab
Marlis Bohnengels "Erstes Mal" verrät übrigens auch etwas über ihre persönliche Weinvorliebe. Diese hat sich nicht zuletzt seit ihrer Ausbildung zur Sommelière verändert. Je länger sie sich mit Wein beschäftigt hat, habe sie erkannt, dass ihr vor allem trockene Weine am besten schmecken. "Je weniger Zucker ein Wein enthält, desto mehr schmeckst du den Wein selbst", sagt sie. Zucker lenke den Geschmackssinn (nicht nur) beim Wein ab.
Wenn sich einmal die Möglichkeit böte, würde sie ihre Weinkenntnisse gerne anderen vermitteln, etwa in Form eines Kurses im Raum Gerolzhofen. Als persönliche Favoriten, die sie gerne herausstellen möchte, bezeichnet sie die fränkischen Weine aus der Steigerwald-Region. Und unter diesen gefallen ihr die Weine am besten, die unter Bio-Kriterien hergestellt werden. Hier sieht sie viel Potenzial für die Zukunft.