
Als sich das Schweinfurter Tagblatt der Weltrevolution anschloss, am 8. April 1919, hatte Graf Henning eine schlaflose Nacht durchlebt. "Rote Rosen" nannte sich der Fortsetzungsroman von Hedwig Courths-Mahler, in dem es um die Liebeswirren eines aufgewühlten Aristokraten geht. Das Melodram der "Rosamunde Pilcher des Deutschen Reichs" erschien weiterhin auf Seite 2, während der rote "Arbeiter- und Soldaten-Rat" (ASR) die Zeitung als Publikationsorgan nutzte. In München war am Vortag die Räterepublik ausgerufen worden. Auf dem Titelblatt prangte das "Manifest an die zivilisierte Welt", aus der Feder des sowjetischen Schriftstellers Maxim Gorki.
Fake News-Vorwürfe gab es schon vor 100 Jahren
Das deutsche Volk erleide mit den Versailler Frieden ähnliche Härten wie die Russen durchs Kaiserreich, im Frieden von Brest-Litowsk, stellte Gorki ("der Bittere") fest. Nun, nach russischer Oktober- und deutscher Novemberrevolution, müsse man gemeinsam gegen Imperialismus und Kapitalismus kämpfen. Der Genosse, der der Redaktion in der Brückenstraße 18 beigestellt worden war, ergänzte Gorkis Manifest mit bitterem Tadel über die deutsche Presse und deren, wie man heute sagen würde, "Fake News" über Sowjetrussland.

Seitdem ASR-Vorsitzender Fritz Soldmann, Gewerkschaftler und Unabhängiger Sozialdemokrat, der Arbeiterstadt den Sturz der Monarchie verkündet hatte, im November, war aus sozialistischer Sicht einiges schiefgelaufen: mit einem USPD-Misserfolg bei den Landtagswahlen (in Schweinfurt blieb sie stärkste Kraft) und der Ermordung von Ministerpräsident Eisner. Dessen Mitarbeiter, der spätere Schweinfurter Oberbürgermeister Benno Merkleging direkt neben ihm, als die Schüsse eines Rechtsextremen fielen. Am 7. April floh die Minderheitsregierung Hoffmann (MSPD) nach Bamberg, vor der "Münchner Räterepublik": eine Gegenregierung linker Freigeister, die sich mehr an der Pariser Kommune von 1871 als an den russischen Räten ("Sowjets") orientierte. Ein "basisdemokratisches" Delegiertensystem sollte die Arbeiter- und Bauernherrschaft sichern. Genosse Soldmann wurde "Volksbeauftragter des Inneren". Der Innenminister forderte Schweinfurt per Telegramm auf, sich der Räterepublik anzuschließen. Auf der Maininsel waren tausende Menschen bei der Ausrufung dabei. Als am 13. April rechte Hoffmann-Verbündete in München einen Teil des "Zentralrats" festsetzten, übernahmen dort Berufsrevolutionäre sowjetischer Prägung. Soldmann wurde ins Zuchthaus Ebrach verschleppt.
Die Speerspitzen des Schweinfurter Proletariats

Am Main hatte der ASR bislang mit dem Magistrat kooperiert, trotz roter Fahne am Rathaus. Hofrat Wilhelm Söldner war seit 22 Jahren Bürgermeister. Mit Ausrufung der Räterepublik schwärmten die Speerspitzen des Schweinfurter Proletariats aus, entwaffneten in Reiterswiesen und Haßfurt Hoffmannanhänger. Die Bamberger Regierung ließ Flugblätter abwerfen, teilte den Sturz der Räteherrschaft in Würzburg mit und forderte ultimativ die Anerkennung. Gedroht wurde, "die Stadt mit einem Hagel von Granaten zu überschütten." Am 11. April verkündete der ASR den Rücktritt, ohne die Waffen niederzulegen. Das Tagblatt erschien wieder ohne Zensur, und beklagte "Drangsalierung der Presse". Irgendwie kam in der Zeitung dennoch jede Seite zu Wort. Die USPD lud per Annonce zum Arbeiterprotest in den Saalbau ein, an Stelle des heutigen Theaters. Das "Freikorps Würzburg" warb um Freiwillige, für den Schutz der Heimat vor "Literaten", "Phantasten", "österreichischem Gesindel", "bewaffneten russischen Kriegsgefangenen", "Land- und Rassefremden", wie es in der amtlichen Propaganda hieß. Das Werbebüro befand sich im Harmoniegebäude, Brückenstraße 39. Zu den Inserenten zählte auch die "Eiserne Schar" des Jagdfliegers Rudolf Berthold, die sich zur Konterrevolution in Hammelburg sammelte. Ebenfalls im Saalbau referierte der "Demokratische Verein", über das Unvermögen der Rätewirtschaft und die repräsentative Demokratie, in der allein sich alle Schichten wiederfinden könnten.

Die Stimmung blieb angespannt, zwischen Gegnern und Unterstützern der Freikorps. Am 26. April wurden Werbeoffiziere attackiert, als diese im Automobil auf den Marktplatz rollten. "Putschisten" stürmten das Werbebüro in der Harmonie, warfen Akten und Plakate in den Main. Nun überschlugen sich die Ereignisse, zeitgleich zur blutigen Niederschlagung der Räterepublik in München. "Als gestern der Tag graute, waren die Zugänge der Stadt, die Bahnhöfe, die Hauptpost, die Mainbrücke von Regierungstruppen besetzt", berichtete das Tagblatt am 30. April: "Der gesamte Telephonverkehr wurde eingestellt." Es herrschte Standrecht, in den Fabriken wurde gestreikt. Eine aufgeregte Menge entwaffnete Posten an der Mainbrücke und am Sennfelder Bahnhof. Am Stadtbahnhof starb der 19-jährige Gustav Brändlein, ebenso Josef Albert, ein Arbeiter aus Margetshöchheim, als auf die Demonstranten geschossen wurde.
Es fielen Schüsse und es floss Blut
Sieben Zivilisten, auch Arbeiterinnen, wurden verletzt, der Würzburger Josef Hackl starb an den Folgen. Ein Soldat soll von einem Radfahrer angeschossen worden sein. Die Regierungs-Artillerie feuerte Drohschüsse: "Ein Treffer durchschlug die Wartehalle des Sennfelder Bahnhofs." Versteckte Waffen sollten im Wachlokal der Polizei (unterm Rathausbogen) abgeliefert werden. Bis über den Maifeiertag hinaus kam es zu Protest und Schießereien. Die "Roten" nahmen nachts einen Panzerzug unter Feuer, ebenso den Hauptbahnhof, vom Oberndorfer Wasserturm aus. Die Frau eines Eisenbahners wurde tödlich getroffen, von Regierungsseite, was zunächst vertuscht wurde. Die "Eiserne Schar Berthold" (die im Jahr darauf von rechts putschte) übernahm die Bewachung gefangener Schweinfurter "Spartakisten", auf der Kulmbacher Plassenburg.
Haft, aber auch Freisprüche

Als Mitte Mai die Armee abzog, waren die roten Rosen verblüht. Es folgten mehrere Wochen bis Monate Haft für "Rädelsführer", aber auch Freisprüche. Fritz Soldmann (der im Prozess als irreführender "böser Geist der Schweinfurter Arbeiterschaft" erschien) wurde ebenfalls freigesprochen, später SPD-Stadtrat und Bürgermeister. Als Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur starb der Reichstagsabgeordnete 1945 an den Folgen der Haft im KZ Buchenwald. Manches hat den Bruderzwist der Rätezeit überdauert: Sozialrechte, Frauen-Emanzipation, Betriebsräte, der 1. Mai als Feiertag, die Idee des Volksentscheids oder der Freistaat selbst.