
Im Roman "Die Bibliothek bei Nacht" von Alberto Manguel erzählt der kanadische Bestsellerautor von seiner eigenen fiktiven Bibliothek, in der tagsüber Vernunft und Ordnung herrscht, die sich dann nachts aber in das Reich der Träume und Erinnerungen verwandelt. Etwas Besonderes lag auch an der vom Deutschen Bibliotheksverband und seinen 16 Landesverbänden bundesweit durchgeführten Aktion "Nacht der Bibliotheken", an der auch die Schweinfurter Stadtbücherei teilnahm, in der Luft.
In jedem Gang, vor jedem Regal, in jeder Ecke, stöberten Menschen in Büchern. Die Resonanz war riesig. Die Stadtbücherei schnürte zum Aktionstag ein buntes Rahmenprogramm mit Jazz, Standup-Comedy, Spielen, Künstlicher Intelligenz und Robotik. Für das leibliche Wohl sorgte das interkulturelle Begegnungszentrum für Frauen mit Leckereien aus dem Nahen Osten. Als besonderes Schmankerl durfte, wer wollte und über 18 Jahre alt war, in der Bibliothek übernachten.
Schlafen mit der Isomatte auf der Fensterbank
"Vielleicht wird es spuken. Vielleicht sind die Geister der Autoren hier in der Bibliothek", sagte Young-Ai in freudiger Erwartung der Nacht. Die 74-Jährige war eine von gut 20 Menschen, die die Möglichkeit, in der Bibliothek zu übernachten, beim Schopfe packten. "Sowas bleibt doch ewig in Erinnerung", sagte sie. Schon früh am Abend sicherte sie sich im ersten Stock, direkt unter einem Fenster, mit Isomatte, Kopfkissen und Schlafsack, einen Platz für die Nacht.

Tagsüber sei sie öfters in der Bibliothek, sagt Young-Ai, meist um sich Hörbücher auszuleihen. Aufgrund ihres Grauen und Grünen Stars ist das mittlerweile ihr bevorzugtes Medium. Für die Nacht hatte sie sich das Hörbuch "Das Kaufhaus" von Susanne Berg mitgenommen. "Irgendwann beim Hören werde ich dann einschlafen", sagt Young-Ai, die vor fünf Jahrzehnten aus Südkorea nach Schweinfurt gekommen ist.
Nur wenige Meter weiter, ebenfalls im ersten Stock, haben unter einer Dachschräge drei junge Frauen ihr Nachtquartier aufgeschlagen. Antonia Klingenhammer konnte ihre Freundinnen Britta Wienkoop und Anna Heuser dafür begeistern, von Freitag auf Samstag in der Stadtbücherei zu übernachten. Das Trio war gutgelaunt, es wurde viel gelacht.
Die ganze Nacht lang in Bücherregalen stöbern
Sie lieben Bücher und freuen sich darauf, einmal eine ganz Nacht lang zu stöbern. Auf welches Buch sie Lust haben? "Am liebsten etwas aus den Genres Fantasy, Science-Fiction, Thriller oder Young Adult." Alle drei Frauen greifen am liebsten zum Buch, ab und an aber auch zum Hörbuch, weil dieses im Alltag oft leichter zu integrieren sei und zeitgleich zu anderen Tätigkeiten konsumiert werden könne.

Bester Laune war an diesem Abend auch Nicole Strohrmann, die im vergangenen Jahr die Leitung der Stadtbücherei übernommen hat. "Mit so vielen Besuchern habe ich ehrlich gesagt nicht gerechnet", sagt sie. Um die 300 Menschen kamen ihrer Schätzung nach verteilt über den Abend.
Sinn der Aktion war es auch, Aufmerksamkeit zu bekommen. Das angestaubte Image entspreche nicht mehr dem Bild der Realität, findet Strohrmann. "Gerade was Medienkompetenz betrifft, sind Bibliotheken oft Vorreiter", sagt sie mit Blick auf Robotik und KI. Für sie selbst war die Teilnahme an der bundesweiten Aktion eine "kleine Wundertüte", weil sie erst ein Jahr in der Stadt lebt und noch nicht weiß, wie die Schweinfurter ticken. Diesmal war sie von den Schweinfurtern positiv überrascht. "In Büchereien gilt nicht mehr dieses 'Pssst, ihr müsst leise sein'", sagt sie. "Schaut mal, wir machen ganz viel", war daher die Message an diesem Abend.
E-Books können Mitglieder kostenlos herunterladen
Gerade in Zeiten der fortschreitenden Digitalisierung seien die Bibliotheken eine Zuflucht, die viele Leute wieder suchen, ist sich Strohrmann sicher. "Hier ist ein Ort, an dem man sich treffen kann und nichts konsumieren muss." Sie beobachtet auch, dass die Menschen in Zeiten von Smartphones wieder etwas Greifbares, etwas zum Anfassen suchen. "Bücher werden alles überleben", ist sie überzeugt. Mittlerweile auch in Form eines E-Books. Nach dem Hype um das digitale Format während Corona haben sich die E-Books auf dem Markt etabliert. Auch in der Stadtbücherei in Schweinfurt können Mitglieder E-Books kostenlos herunterladen.
"Es ist wichtig, dass man liest, nicht wie", sagt Strohrmann, die selbst aber noch zum "echten" Buch greift. Sie liebt die Haptik, den Geruch der Bücher. Übernachtet hat sie dann übrigens auch in der Bibliothek. "Eine Frau hat mir vorher geschrieben, wir erfüllen ihr damit ihren Kindheitstraum", freut sich Strohrmann, die sich kein Buch für die Nacht mitgenommen hatte. "Ich lege mich irgendwo hin und ziehe mir etwas aus dem Regal."