Seit 40 Jahren ist die Stadtbibliothek nun schon in den oberen Geschossen des Bürgerspitals in der Spitalstraße untergebracht. In den Jahrzehnten zuvor glich der regelmäßige Wechsel des Bücherei-Standorts noch einer Odyssee quer durchs Stadtgebiet. Der damalige Oberlehrer Hans Freitag, in den Jahren von 1965 bis 1981 der Leiter der städtischen Bücherei, hat zum Ende seines ehrenamtlichen Engagements die Geschichte der Bibliothek recherchiert und darüber einen Aufsatz in der Festschrift zur Spital-Einweihung veröffentlicht. Er brachte interessante Details ans Licht.
Bereits seit Jahrhunderten gab es in Gerolzhofen umfangreiche Büchersammlungen, die sich allerdings im Eigentum der katholischen Kirche und ihrer jeweiligen Pfarrer befanden. Bis heute sind in den historischen Inventarverzeichnissen der Pfarrei die verschiedenen Buchtitel überliefert. Mit der Zeit wurde diese rein theologische Bücherei auch durch Belletristik erweitert.
Die genauen Anfänge der städtischen, sprich der "weltlichen" Bücherei liegen hingegen weitgehend im Dunkeln. Im April 1934 ist von einer "Städtischen Volksbücherei" die Rede, deren Medienbestand offenbar deckungsgleich war mit der Bücher-Sammlung der hiesigen Ortsgruppe der NSDAP und die auch nur von Parteimitglieder zu benutzen war. Es war offenbar das Ziel, ein Gegengewicht zu schaffen zu der beim Nazi-Regime unbeliebten Pfarrbücherei.
Im Jahr 1941 wurde Stadtoberinspektor Andreas Schieber als Leiter einer neuen öffentlichen Stadtbücherei eingesetzt. Man hatte dazu im Vorfeld einfach die vorhandenen Bücher der NSDAP-Ortsgruppe übernommen und mit einem staatlichen Zuschuss von 100 Reichsmark einige neue Werke dazu erworben.
Entnazifizierung in der Bücherei
Nach Ende des Krieges wurde schon im Dezember 1945 von der Bezirksregierung darauf gedrängt, die Bücherei wieder zu öffnen. Voraussetzung war natürlich die Entnazifizierung des Buchbestands und ein geeigneter, von der Militärregierung bestätigter Büchereileiter. Die Wahl fiel wieder auf Andreas Schieber. Schieber merzte zunächst 62 Bücher mit nazistischem Gedankengut aus, die von den Amerikanern anschließend abgeholt und beschlagnahmt wurden. Doch die Wiedereröffnung zog sich hin. Erst im Mai 1947 wurde die Bücherei mit 215 Bänden im Angebot neu eröffnet.
Wer sich nun allerdings beim Begriff "Bücherei" einen großzügigen Raum mit Bücherregalen vorstellt, der irrt. Der Bücherbestand passte damals in einen großen Schrank, der in einem Durchgang bei der Stadtkämmerei im Rathaus stand. Betreut hat die Sammlung Fräulein Paula Schieber, eine Tochter von Andreas Schieber. Die Nachfrage war allerdings überschaubar. Dies lag auch daran, dass es neben der städtischen Büchersammlung noch weitere Bibliotheken in der Stadt gab.
Weitere Büchereien als Konkurrenz
Neben der Katholischen Pfarrbücherei gab es noch eine amerikanische Bücherei und eine Flüchtlingsbücherei. Die Schreibwaren- beziehungsweise Büchergeschäfte Flasch in der Marktstraße und Glückstein am Marktplatz boten ebenfalls einen Bücherverleih an. Die städtische Bücherei vegetierte vor sich hin. Im Jahr 1951 regte Andreas Schieber deshalb an, das Projekt zu beenden, was jedoch der Büchereiverband ablehnte. Die Lage besserte sich aber nicht, obwohl – oder weil – aus der aufgelösten Flüchtlingsbücherei weitere 100 veraltete Bücher hinzukamen. Im gesamten Jahr 1954 gab es tatsächlich nur noch zehn Leserinnen und Leser, die für insgesamt 76 Entleihungen sorgten.
Der Büchereiverband bezeichnete die Stadtbibliothek deshalb in einem Schreiben an die Stadt als "tot" und erhob den Vorwurf, Landkreis und Stadt würden zu wenig für die Volksbildung tun. Während der Landkreis Gerolzhofen bei seiner Meinung blieb, "für eine hoffnungslose Angelegenheit" kein Geld ausgeben zu wollen, versprach der neue Bürgermeister Franz Kreppel schweren Herzens, 1000 Mark locker zu machen und für einen geeigneten Raum zu sorgen.
Neuer junger Leiter
Im Oktober 1956 musste Andreas Schieber aus gesundheitlichen Gründen seine ehrenamtliche Tätigkeit als Leiter der Volksbücherei niederlegen. Sein Nachfolger wurde der Mittelschullehrer Brauner, der sich als wahrer Glücksfall erweisen sollte. Der junge Mann ging mit großem Elan seine neue Aufgabe an, erkämpfte sich einen eigenen Raum für die Bücherei in der Schule und machte Finanzmittel bei der Stadt und bei der Staatlichen Beratungsstelle locker.
Sein Bemühen hatte Erfolg. Innerhalb kurzer Zeit stieg die Zahl der Bände auf über 500, die Zahl der Leser von zehn auf 142 und die Entleihungen auf 5300 Bücher im Jahr. Begünstigt wurde diese Entwicklung auch dadurch, dass die Leihbuchhandlung Paula Glückstein aus Gerolzhofen nach Haßfurt umzog. Die im Küchenbau des Alten Rathauses von Glückstein angemieteten Räume wurden frei und standen nun der Stadtbücherei zur Verfügung. Am 2. Mai 1958 wurde der neue Standort der Bibliothek offiziell eröffnet. Die Statistik wies weiter steigende Nutzerzahlen auf.
Räume wurden zu eng
Dann kam wieder ein Einbruch. Die Nutzerzahlen gingen zurück und unglücklicherweise verließ Lehrer Brauner beruflich bedingt 1960 die Stadt Gerolzhofen und legte sein Ehrenamt deshalb nieder. Nachfolger wurde der Mittelschullehrer Schwenkert. Im Laufe der folgenden Jahre entwickelte sich ein zähes Ringen zwischen der Stadtverwaltung einerseits und dem Büchereileiter andererseits um die Klärung der Raumfrage. Denn im Küchenanbau des Alten Rathauses war es zwischenzeitlich viel zu eng geworden. Immer wieder kamen leerstehende Räume im Bürgerspital ins Gespräch oder man versuchte, beim geplanten Bau der neuen Hauptschule am Lülsfelder Weg/Breslauer Straße eigene Bücherei-Räume zu integrieren. Alle Hoffnungen des Büchereileiters zerschlugen sich jedoch an der leidigen Geldfrage.
Wechsel in die Rügshöfer Straße
Am 1. September 1965 wurde Hauptschullehrer Hans Freitag zum neuen ehrenamtlichen Büchereileiter ernannt. Ihm zur Seite standen als Hilfskräfte die beiden älteren Damen Frau Runte und Frau Rauer (deren Vornamen nicht zu recherchieren waren).
Im Jahr 1971 griff die Stadt schnell zu, als Brauereibesitzer und Gastwirt Paul Wehner sein Nebengebäude in der Rügshöfer Straße (heute Zahnarzt Dr. Hornung) zur Miete anbot. Die Bücherei hatte nun erstmals in ihrer Geschichte ausreichend Platz: stolze 81 Quadratmeter. Es gab 521 registrierte Leserinnen und Leser, rund 13 000 Entleihungen bei einem Bestand von 4391 Büchern. Der Bestand an Büchern, jetzt auch in Fremdsprachen, wuchs weiter.
Am 10. Januar 1978 fand dann eine erste wegweisende Vorbesprechung unter Führung von Bürgermeister Franz Stephan statt. Die Idee: Sanierung des Spitals und Schaffung einer neuen Stadtbibliothek, die modernsten Ansprüchen genügt. Die Pläne wurden in Angriff genommen.
Schwitzen im Schwimmbad-Keller
Wie wichtig diese Überlegungen waren, zeigte sich alsbald, als Hauseigentümer Paul Wehner zum Jahresende 1978 die Räumlichkeiten der Bücherei in der Rügshöfer Straße kündigte. Die Bücherei musste notgedrungen nochmals umziehen. Nächste Station der jahrzehntelangen Odyssee waren jetzt Räume im Untergeschoss des neuen Hallenbads, die zuvor vom Förderkreis als "Weinlaube" genutzt worden waren. Durch die dort herrschenden hohen Temperaturen, Tür an Tür mit der Heizung des Hallenbads, war die Arbeit des Büchereileiters Hans Freitag und seiner Helferinnen eine recht schweißtreibende Angelegenheit.
So wurde denn auch der (vorerst) letzte Umzug der Bücherei in das modern umgebaute Bürgerspital herbeigesehnt. "Was lange währt, wird nun endlich und hoffentlich in jeder Beziehung gut", fasste Hans Freitag im Jahr 1981 diesen Ortswechsel zusammen, bevor er sein Ehrenamt niederlegte. Die Leitung der Stadtbibliothek in den neuen Räumen lag fortan in den Händen von hauptamtlichen Kräften.