Dem Ziel „Kulturforum Martin-Luther-Platz“ ist die Stadt Schweinfurt mit dem Kauf der ehemaligen Reichsvogtei und des benachbarten Geschäftshauses in der Oberen Straße 11 und 13 einen wichtigen Schritt nähergekommen. Am Dienstag fand im Rathaus die notarielle Beurkundung mit Klaus Meister als Vertreter der Verkäufer und Oberbürgermeister Sebastian Remelé statt, teilt die Stadt mit.
Über beide Gebäude verfügte die Stadt 33 Jahre lang aufgrund eines Erbpachtvertrages. Der endete im Januar 2015. Da die heutigen Eigentümer ihren Lebensmittelpunkt nicht mehr in ihrer Heimatstadt haben, boten sie beide Häuer zum Verkauf an (wir berichteten).
Die Eltern der heutigen Eigentümer, Fritz und Wilhelmine Meister, besaßen das Nachbarhaus Obere Straße 13. Als dieses beim letzten Luftangriff der Alliierten 1945 zerstört wurde, zogen die Eheleute in das leerstehende, teilbeschädigte Nebenhaus Obere Straße 11. Sie beseitigten dort die Schäden im Dach, retteten die Alte Reichsvogtei somit vor dem Verfall. Mitte der 1950er-Jahre kauften sie das Haus vom damaligen Eigentümer und nutzten es als Wohn- und Geschäftshaus.
Der Neubau des Objekts Obere Straße 13 erfolgte 1960. Nach seiner Fertigstellung zogen Fritz und Wilhelmine Meister (samt Familie) dort ein, eröffneten ihr Nähmaschinen-Geschäft. Seit 1960 wurden beide Häuser für Wohn- und Geschäftszwecke genutzt.
1981 schlossen die Meisters den erwähnten Erbbauvertrag mit der Stadt über 33 Jahre. Der lief im Januar 2015 aus. Nach dem Tod von Wilhelmine Meister im Jahr 2000 gingen beide Häuser auf die Kinder über.
Ein Haus derKultur
Die Alte Reichsvogtei war bis zum Umzug in die Kunsthalle 2009 ein Vierteljahrhundert das Zuhause der Museen und Galerien. Auch das Kulturamt der Stadt und der Kunstverein hatten bis dahin dort seinen/ihren Sitz. Danach gab es in den Häusern ein buntes Allerlei an Nutzungen. Wie zuvor spielten wieder Kunst und Kultur eine Hauptrolle.
Die Flächen in der Alten Reichsvogtei betragen 879 Quadratmeter (Grund) bei einer Nutzfläche von 617 Quadratmetern. Die Nutzfläche in Nummer 13 ist mit 688 Quadratmetern trotz der kleineren Grundfläche (403 Quadratmeter) sogar noch etwas größer.
Es hatte einige Interessenten gegeben, auch Bauträger, die an private Wohnnutzung dachten. Meister machte gegenüber dieser Redaktion kein Hehl draus, dass seiner Familie speziell bei der Reichsvogtei eine wieder kulturelle Nutzung willkommener sei. Kontakte zur Familie bestätigte Baureferent Ralf Brettin erstmals Ende 2015.
Wichtiges Einzeldenkmal
Jetzt also der Verkauf an die Stadt, worüber sich laut Mitteilung der Stadt Meister und Remelé freuten, weil die Alte Reichsvogtei als weiteres stadtgeschichtliches wichtiges Einzeldenkmal für die Öffentlichkeit erhalten werde.
Sie wird nun Teil des Kulturforums mit den weiteren historischen Gebäuden Altes Gymnasium und Stadtschreiberhaus. Mit der Beurkundung des Grundstückgeschäfts könne die Stadt sofort mit den notwendigen bautechnischen und denkmalfachlichen Untersuchungen in der leerstehenden Reichsvogtei beginnen. Mit einem Architektenwettbewerb Anfang 2018 sollen Ideen für die Umsetzung des „Kulturforum Martin-Luther-Platz“ gefunden werden.
Einst Dienstwohnung
Die Alte Reichsvogtei an der Ecke Obere Straße/Wenkheimer Gässchen war Dienstwohnung und ursprünglich wohl auch Dienstsitz des Reichsvogtes, des Obersten Beamten für die Reichsstadt Schweinfurt und die Reichsdörfer.
Laut dem Schweinfurter Heimatkundlichen Wörterbuch wurde sie 1503 erstmals in einem Hof eingerichtet, der ehemals der Ritterfamilie von Wenkheim gehört hatte und von der Stadt 1445 gekauft worden war.
Beim zweiten Stadtverderben 1554 zerstört, wurde das Gebäude 1556/57 „als bescheidenes Gebäude wieder errichtet und 1560 mit Turm versehen“. 1576/77 wurde das heutige Gebäude an gleicher Stelle neu gebaut.
Die Reichsvogtei gilt laut dem früheren Stadtarchivar Dr. Erich Saffert im Heimatkundlichen Wörterbuch als „Musterbeispiel eines schlichten Bürgerhauses aus der Zeit der deutschen Renaissance, mit harmonisch ausgewogener Fassade“.
Die Städtischen Sammlungen zogen im Juni 1984 ein und zeigten in der Reichsvogtei anfangs Gemälde und Bildtapeten aus der Sammlung Georg Schäfer. Zwei Jahre später wurde das Galerie-Studio eröffnet.