Sie lernten sich in der Alkoholentzugsklinik kennen, es entwickelte sich eine Freundschaft. Auch als die Therapie beendet war, wollte man sich wieder sehen, in Schweinfurt, wo der junge Mann dann lebte. So erzählt es der 21-Jährige vor Gericht. Dann berichtet er von Problemen, von Streitereien, von Eifersucht, von Alkoholrückfällen, bei diesen Besuchen im Sommer 2022.
Und er erzählt, dass er die junge Frau, als sie abreisen wollte, zweimal in seiner Wohnung einsperrte und die Schlüssel versteckte, "um sie zu schützen", weil ihr Zustand so schlecht gewesen sei. "Das mag ja sein, dass das ihre Einschätzung ist, aber das rechtfertigt nicht, jemanden seiner Freiheit zu berauben", sagt der Vorsitzende Richter dazu.
Angeklagt ist der junge Mann aber nicht nur wegen Freiheitsberaubung, er muss sich auch wegen Freiheitsberaubung mit schwerer Gesundheitsschädigung vor dem Jugendschöffengericht in Schweinfurt verantworten. Denn ein paar Wochen später, beim zweiten Mal, als der junge Mann die Frau in seiner Wohnung einsperrte, ergriff sie die Flucht über seinen Balkon im dritten Stock, rutschte ab – und stürzte acht Meter in die Tiefe. Sie wollte den Moment, als der Angeklagte in der Dusche war, ausnutzen. Sein Versuch, sie an den Händen noch festzuhalten, scheiterte.
Spätfolgen für die junge Frau noch nicht absehbar
Die junge Frau, die als Nebenklägerin vor Gericht ist, erlitt schwere Verletzungen. Sie sei nach wie vor stark beeinträchtigt, die Spätfolgen seien noch nicht absehbar, sagt ihre Anwältin. Die Frau selbst erzählt von "aggressivem Verhalten" des jungen Mannes, von Handgreiflichkeiten und dass er sie nicht schützen, sondern kontrollieren wollte. Er habe ihr auch das Handy mehrmals abgenommen, damit sie keinen Kontakt zu anderen Leuten haben könne.
Warum sie dann über den Balkon geflüchtet ist? "Ich war in Panik, es hat sich so viel angesammelt", sagt die junge Frau. "Es war eine Kurzschlussreaktion." Sie habe sich auf den Balkon darunter schwingen und dort anklopfen wollen.
Doch die entscheidende Frage in diesem Prozess ist: Sind der Sturz und dessen schwerwiegende Folgen dem jungen Mann auch strafrechtlich zuzumessen?
Hätte der Mann die Flucht vorhersehen können?
Dabei kommt es darauf an, ob der junge Mann hätte vorhersehen und erkennen können und müssen, dass so etwas passiert. Die Staatsanwaltschaft findet: Ja, ihm sei bewusst gewesen, dass sie unüberlegt handeln könnte, schließlich habe er sie durch das Einsperren ja genau davor schützen wollen. Der Verteidiger des jungen Mannes findet, man könne ihm den Sturz strafrechtlich nicht zuschreiben. "Er hat es weder erkennen können, noch müssen", sagt er.
Das Gericht folgt der Verteidigung – und verurteilt den jungen Mann wegen Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren nach Jugendstrafrecht. "Da sträubt sich das Nackenhaar, hier von der Vorhersehbarkeit auszugehen", erklärt der Richter die Entscheidung. "Ich brauche die strafrechtliche Verantwortlichkeit und daran scheitern wir."
Angeklagter ist zweifach vorbestraft, stand unter Bewährung
Mit in das Strafmaß eingeflossen ist eine vorangegangene Verurteilung des 21-Jährigen; im Sommer 2022 stand er deshalb unter Bewährung. Für den Angeklagten, der schon mehrere Alkoholentzüge und Therapien hinter sich hat und aus schwierigen Familienverhältnissen stammt, ist die erneute Bewährung die letzte Chance. Das macht ihm der Richter unmissverständlich klar. "Wir haben die Obergrenze ganz bewusst gewählt. Wenn das nochmal passiert, dann pfeifen wir auf alle Fortschritte, dann folgt der Strafvollzug."
Das Gericht sieht bei ihm trotz allem eine positive Sozialprognose. Er sei trockener Alkoholiker, wohne im "Betreuten Wohnen", sagt der Richter. "Die aktuelle Situation ist besser als je zuvor bei Ihnen." Ihn einzusperren würde das unterbrechen, und "Sie fangen wieder bei null an". Für die Dauer der dreijährigen Bewährung muss er sich an sämtliche Auflagen halten – darunter: sich eine Arbeit suchen, keinen Alkohol trinken und der jungen Frau jeden Monat 100 Euro (wenn er dann Arbeit hat 200 Euro) zahlen. Gegen das Urteil sind Rechtsmittel möglich.