Ich werde beobachtet. Von den Bildern an der weißen Wand im Untergeschoss der Kunsthalle Schweinfurt blicken die unerbittlichen, die liebevollen, die tiefgründigen Augen der Porträtierten. Sie folgen mir auf meinem Kontrollgang durch die Dauerausstellung der Sammlung Joseph Hierling: immer wieder im Kreis um das Rondell. Für einen Tag schlüpfe ich in die Berufsrollen der Mitarbeiter im Schweinfurter Museum, übernehme die Aufgaben von Aufsicht, Jourdienst, Technik.
Die Kunsthalle Schweinfurt ist eines der städtischen Museen. Es beschäftigt 38 Museumsaufsichten, etwa zehn externe Gastführer, die Gruppenführungen leiten, drei Museumstechniker, außerdem drei Mitarbeiterinnen im Bereich Wissenschaft, darunter die Leiterin der Museen und Galerien Andrea Brandl, die Leiterin des MuseumsService (MuSe) Friederike Kotouc sowie die wissenschaftliche Mitarbeiterin Katharina Christ.
Die Aufseherinnen sind per Funkgerät verbunden
Das kleine Mitarbeiterzimmer mit abschließbaren Spinden dient mir als Umkleide. „Adrett“ sollte die Kleidung sein, das hatte sich Friederike Kotouc im Vorgespräch für die Rolle der Museumsaufseherin gewünscht, „ein netter Blazer“ vielleicht. Marianne Müller nimmt mich mit in den Souterrain: Sie drückt mir das Funkgerät in die Hand. „Im Untergeschoss ist alles in Ordnung“, spreche ich unsicher nach einem Druck auf die Seitentaste ins Gerät. „Sehr schön“, sagt eine Stimme aus dem Lautsprecher. Es ist Annette Partyka, die gleichzeitig in den Erdgeschossräumen den Überblick behält. Den Funkspruch hört auch Irmgard Schnabel, die die Stellung an der Kasse hält. Ein vierter Dienst in der Großen Halle fällt heute aus, dort wird nach Abschluss der letzten Ausstellung abgebaut. Am Wochenende soll dort eine Medizin-Veranstaltung stattfinden.
Zur Wechselausstellung „Sammlung Gunter Sachs“ kamen 450 Besucher am Tag
Zum dritten Mal umrunden Marianne Müller und ich das Rondell der „Verschollenen Generation“ aus der Hierling-Sammlung. Die Frühschicht geht von 9.30 bis 13.30 Uhr. Müller ist geübt, die manchmal stillen Minuten zu überbrücken: „Ich entdecke immer neue Details an den Bildern.“ An diesem Märzdienstag werden es bis zur Schließung um 17 Uhr nicht ganz 15 Besucher sein, zusätzlich zwei Führungen mit zehn und 16 Personen – zu sehr strahlt die Sonne draußen vom Himmel.
37 600 Besucher verzeichnete die Kunsthalle im Jahr 2016, 12 500 davon kamen als Einzelbesucher, der Rest innerhalb der 4236 Führungen. An Spitzentagen, etwa zur Wechselausstellung „Die Sammlung Gunter Sachs“ 2013 und 2014 kamen auch schon 450 Besucher an einem Tag.
Die Wände werden jedesmal neu gestrichen
Bettina von Haarens Ausstellung ist vor zwei Tagen zu Ende gegangen. In der Großen Halle herrscht Aufbruch. Jetzt gilt es, die Meter großen Leinwände von der Wand zu nehmen und sie reisefertig zu verpacken. Ich gehe Museumstechniker Thomas Dürr und Restaurator Franz Merz zur Hand. Luftbläschenfolie umwickelt das großformatige „Zerfall“. Mit einem Cuttermesser kratze ich vorsichtig die Infotäfelchen von der weißen Wand und klebe es auf die Rückseite des verpackten Bildes. Die Vorsicht an der Wand hätte ich mir sparen könne: Es werden vor der nächsten Veranstaltung nicht nur die Stellwände abgebaut, sondern alle Wände der ehemaligen Schwimmhalle neu gestrichen.
„Das Kreuz der Museumstechniker ist das Kreuz“, sagt Dürr lachend und beugt sich nach vorn, um den nächsten Klebestreifen anzubringen.
Zwei Führungen sind an diesem Tag gemeldet: eine Kindergartengruppe von Gut Deutschhof mit ihren Erzieherinnen und eine Gruppe junger Erwachsener der Lebenshilfe.
Die 16 Kinder werfen die Köpfe in den Nacken, um das Bild besser zu sehen, auf das Christa Zoch zeigt. Zoch ist externe Museumsführerin und Galeriebesitzerin in Bremen. Gemeinsam mit Annette Albert als Jour-Dienst begleite ich die Gruppe die Ausstellung. Etwas panisch verfolge ich jeden ungeplanten Schritt der Kinder, jede ausgestreckte Hand, die zu nah an ein Bild reicht.
Zum Malen im Atelier soll Entspannung eintreten
Genug erklärt. Endlich geht es ins unempfindliche Atelier im Untergeschoss. Ich atme auf: Hier darf jeder nach Lust und Laune pinseln. Annette Albert und ich teilen Acrylfarbe aus. „Etwas weniger“, sagt sie mit strengem Blick auf die Farbportionen, die ich den Kindern gönne. Die Kinder sollen lernen, die hochwertige Farbe bis auf den letzten Rest aufzubrauchen.
Auch die Gruppe der Lebenshilfe versorgen wir mit Farben – und Wassertöpfen zum Pinsel auswaschen. Fünf Wochen hintereinander kommen die 19-, 20- und 24-Jährigen, um sich beim Malen zu entspannen, erklärt mir Museumsführerin Elona Ernst-Coburger. Max Ackermanns Gemälde von 1947 dient als Anregung zum Ausprobieren. „Jetzt kann ich auch mal Pause machen“, sagt Annette Albert, angekommen im Atelier.
Die beruhigende Musik aus dem CD-Player lässt uns durchatmen. Dazwischen immer der Blick auf Bilder und Farbtöpfe der Maler. Irgendwo neues Papier aufhängen? Neues Wasser einfüllen? „Man sollte sich möglichst wenig bewegen“, sagt Ernst-Coburger später. „Deswegen stellen wir auch die Wassergläser zum Wechseln gleich bereit.“ Malen ist Entspannung. Ich entdecke ein Bild mit zwei Menschen an einem Tisch. Dann folgt ein kleines Kind. Der Maler grinst offen in meine Richtung, ich lache zurück. Als ein großes rotes Herz Form annimmt, wird mir klar: Ich habe einen Verehrer gewonnen.
Das Schließprozedere beginnt um Punkt 17 Uhr
16.58 Uhr. Charlotte Schmittknecht guckt aufs Handy. Um Punkt 17 Uhr wird abgeschlossen: als erstes die große Flügeltür am Eingang. Es folgt ein Ablauf, der dem Film „Ocean's Eleven“ Konkurrenz macht. Charlotte Schmittknecht und Monika Büttner, die Nachmittagsschicht, haben ihn wie ihre Kolleginnen mehrmals mit Jürgen Benini, Chef der Museumstechnik, durchgespielt. „Wir müssen das immer gleich machen, damit man nichts vergisst“, sagt Schmittknecht.
Schmittknecht und ich gehen jede Tür im Erdgeschoss ab. Überall steckt sie den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn zum Test. „An die Klinke zu greifen, habe ich mir abgewöhnt.“ Das wäre zu ungenau. Und: Notausgangtüren gehen wieder auf, wenn man die Klinke drückt.
Am hinteren Treppenhaus wartet Büttner im Untergeschoss auf uns und blickt herauf, während wir nach unten und in die Seitennischen gucken. Es darf sich keiner verstecken. Wir schließen die Tür. Büttner wird unten stehen bleiben, bis wir sie von der anderen Seite abholen.
Auch die Toilettenfenster sind einen Blick wert
Zu zweit, heute mal zu dritt, gehen wir das Untergeschoss ab. Um Rundbogen oder freistehende Wände geht immer einer an jeder Seite vorbei. Es soll sich niemand an einer Seite vorbeimogeln können. Eingeschmuggelt hat sich zum Glück noch nie jemand. Doch auch in den Innenraum von Winfried Baumanns „Instant Housing“, einem bodentiefen Schlafwagen, werfen wir zur Sicherheit einen Blick.
Den Akku des mannshohen MuSe-Turms, der tagsüber beleuchtet ist, verbinden wir per Kabeltrommel über Nacht mit der Steckdose. Am MuSe-Turm dürfen Besucher Utensilien während der Öffnungszeiten herausnehmen und ausprobieren. Schubladen auf: Sind alle Stifte noch da? Türen auf: Sind alle Toilettenfenster geschlossen? „Den Blick hat man inzwischen“, sagt Schmittknecht. Der letzte Blick geht in alle Spindschränke im Eingangsbereich. Niemand hat einen Schirm liegen lassen.
Zuletzt übergeben wir den Schlüssel an die Schließgesellschaft „Securitas“. Deren Mitarbeiter bestätigt: Alle Alarme im Haus sind scharf geschaltet. Es ist 17.32 Uhr, als wir durch den Hinterausgang gehen. „Wenn die Große Halle geöffnet ist, haben wir ab 17 Uhr noch gut zu tun.“ Dann hat das Team der Kunsthalle Feierabend.
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