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Schweinfurt
Schweinfurter Gewerkschafter war bei Verdi-Demo in München dabei: "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen"
Sinan Öztürk war vor Ort, als am Donnerstag in München ein Auto in die Kundgebung fuhr und viele Menschen verletzte. Was er erlebte und wie die Gewerkschaft jetzt vorgeht.
Sinan Öztürk, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter. Der gelernte Industriemechaniker war viele Jahre Bezirksgeschäftsführer in Schweinfurt und von 2008 bis 2022 Mitglied im Stadtrat seiner Heimatstadt Schweinfurt.
Foto: Martina Müller (Archivbild) | Sinan Öztürk, stellvertretender Verdi-Landesbezirksleiter. Der gelernte Industriemechaniker war viele Jahre Bezirksgeschäftsführer in Schweinfurt und von 2008 bis 2022 Mitglied im Stadtrat seiner Heimatstadt Schweinfurt.
Désirée Schneider
 und  Lisa Marie Waschbusch
 |  aktualisiert: 19.02.2025 02:37 Uhr

Eigentlich hatte Sinan Öztürk geplant, bei dem Demonstrationszug der Gewerkschaft Verdi am Donnerstagmorgen in München mitzulaufen. "Ich hatte mich dann aber kurzfristig anders entschieden und bin wegen einiger Interviewanfragen direkt zum Kundgebungsort auf den Königsplatz gegangen", sagt der stellvertretende Landesbezirksleiter Verdi Bayern und ehemalige Bezirksgeschäftsführer im Verdi-Bezirk Schweinfurt.

Als er die Sirenen hörte und Polizeiautos vorbeifahren sah, habe er sich zunächst kaum Gedanken gemacht. "Ich dachte, es hätte vielleicht einen Verkehrsunfall gegeben. Ich hätte das niemals mit uns in Verbindung gebracht", sagt Öztürk. Was sich kurz zuvor wenige Gehminuten vom Kundgebungsort entfernt ereignet hatte, habe er erst erfahren, als der Schluss des Demozuges, bei dem rund 1500 Menschen mitgelaufen sein sollen, am Königsplatz eintraf.

Gegen 10.30 Uhr war ein Auto in der Seidlstraße im Münchner Stadtteil Maxvorstadt in das Ende des Demozuges gerast. Laut Polizeiangaben wurden mehr als 30 Menschen verletzt – teils schwer. Auch ein Kind soll betroffen sein. Bei dem Fahrer handelt es sich um einen 24-jährigen Asylbewerber aus Afghanistan. Er soll sich legal in Deutschland aufgehalten und unter anderem als Ladendetektiv gearbeitet haben. Ermittler sehen Anhaltspunkte für eine islamistische Tat.

Kundgebung in München wurde kurzfristig abgesagt

"Wir waren schockiert. Fassungslos", sagt Öztürk am Tag nach der Tat im Gespräch mit dieser Redaktion. "Wir haben uns sofort Gedanken gemacht." Was ist mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Demo, mit den Verletzten? 

Am Donnerstagmorgen ist ein Auto in das Ende eines Demonstrationszugs in München gefahren. Die Ermittler sehen Anhaltspunkte für eine islamistische Tat. 
Foto: Matthias Balk, dpa  | Am Donnerstagmorgen ist ein Auto in das Ende eines Demonstrationszugs in München gefahren. Die Ermittler sehen Anhaltspunkte für eine islamistische Tat. 

"Wir haben vor Ort auch entschieden, die Kundgebung nicht stattfinden zu lassen", sagt langjährige frühere Geschäftsführer im Verdi-Bezirk Schweinfurt. Er sei dann zum Tatort gelaufen, um "seinen Kolleginnen und Kollegen zur Hilfe zu kommen". Weil dort aber alles abgesperrt gewesen sei, sei er weiter zur Landesbezirksverwaltung gefahren.  

Dort sei man mit der Krisenbewältigung beschäftigt gewesen. Im Gewerkschaftshaus in München werde er in den kommenden Tagen mit seinen Kolleginnen und Kollegen Gesprächsangebote für Teilnehmende des Demozugs einrichten. "Und wir klären gerade, wie wir die Betroffenen und ihre Familien finanziell mit einer Spendenaktion unterstützen können", sagt der Gewerkschafter, der seit 2022 stellvertretender Landesbezirksleiter ist.

Tat führte zu "Hass und Hetze" in den Sozialen Netzwerken

Öztürk bedauere, dass so viel über den Täter und nicht über die Opfer gesprochen werde. Und er hätte sich mehr Zurückhaltung gewünscht. Schon am Donnerstag sei die Tat für politische Zwecke ausgenutzt worden, die Sozialen Netzwerke seien "voll mit Hass und Hetze" gewesen. "Das hilft den Angehörigen, die um ihre Liebsten bangen und Hoffnung haben, dass alle wieder gesund werden und keine bleibenden Schäden haben, nicht", sagt Sinan Öztürk.

Zum Gedenken an die Verletzten legten Passantinnen und Passanten in München Blumen, Kerzen und andere Gegenstände nieder.
Foto: Daniel Löb, dpa | Zum Gedenken an die Verletzten legten Passantinnen und Passanten in München Blumen, Kerzen und andere Gegenstände nieder.

Die Gewerkschaft Verdi befindet sich aktuell in einer Tarifrunde für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen. Seit 24. Januar 2025 laufen Tarifverhandlungen. Es könne sein, dass Menschen bei zukünftigen Demozügen jetzt aus Angst fernbleiben, sagt Öztürk. Er könne es auch verstehen. Wichtig sei aber: "Wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen." Man müsse Mut machen, nicht Angst.

Für kommende Kundgebungen sei Verdi deshalb in besonders engem Kontakt mit Polizei und Ordnungsämtern und bewerte die Sicherheitslage vor Ort individuell. "Wir wollen wachsam sein, uns von solchen Taten aber nicht verängstigen lassen", sagt der Gewerkschafter. In letzter Konsequenz könne es sein, "dass wir auch auf einige Demozüge verzichten".

So richtig Zeit, das Geschehene zu realisieren, habe er bislang nicht gehabt, sagt Öztürk am Tag nach dem Vorfall. Er sei erst spät zu Hause gewesen, habe Gefühlsschwankungen gehabt. "Es war eine emotionale Achterbahn für mich."

 
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  • Hiltrud Erhard
    Wir diskutieren in der Familie die leider traurige Nachricht über den Tod der Mutter und ihres 2 jährigen Kindes.
    Wir sind darüber sehr betroffen und fragen uns aber ob generell Kinder mit auf Demos sollten oder nicht.
    Es geht nicht um das Instrumentalisieren sondern darum warum man Kinder überhaupt mitnimmt oder mitnehmen muss.
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  • Lutz Saubert
    "Es reicht...." hat doch der von Ihnen so geschätzte Nochkanzler von der SPD gesagt.
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  • Martin Deeg
    Ich habe das heute auch schon gesagt.

    Und? Ich gehe davon aus, dass Sie über eine Abstraktionsfähigkeit verfügen, Herr Saubert - bei Söder, Merz, Weidel & Co. kommt außer drei Ausrufezeichen danach halt nichts mehr....das ist der Unterschied zu Scholz.

    Gesetze, öffentliche Meinung und Verantwortung für die Sicherheit der Menschen unter einen Hut bringen zu müssen ist nichts für Poser und Dekret-Schreiber, aber das werden einige wohl (schmerzlich) lernen müssen....
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  • Hiltrud Erhard
    Bei Scholz kommt ..
    Kommt kommt .... was kommt eigentlich als nur Ankündigungen und Missachtung der öffentlichen Meinung!
    Dass Sie die Stange halten ist klar, aber halt nur für 15 % gut!
    Drei Jahre nix gemacht.
    Mehr muss man nicht sagen!
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  • Martin Deeg
    Danke für diese prompte Bestätigung.

    Die "öffentliche Meinung" ist also auch für Sie der einzige Maßstab - dann haben Sie genug Politiker, die diesen überschaubaren Anspruch befriedigen....

    Der "öffentlichen Meinung" - bzw. was eine laute Minderheit dafür hält- laufen genug Politdarsteller nach, unter Missachtung der Gesetze und der Verantwortung, wohlwissend dass bereits diese Gesetze und die Komplexität der Wirklichkeit, die Verantwortung, die gemäß GG auch für Flüchtlinge gilt, ihre "Versprechen" bereits im Ansatz als puren Popanz entlarven.

    Scholz hingegen ist ein Sachpolitiker, der Gesetze (!), öffentliche Meinung und die Sicherheit (!) beachtet und vor ungenierter Täuschung des Wählers in der Regel zurückschreckt.

    Das macht ihn für Freunde der einfachen Antworten und der "öffentlichen Meinung" a´la Telegram natürlich angreifbar.
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  • Hiltrud Erhard
    Ihre unterschwellige Unterstellung ist zum schämen. Mehr sag ich nicht, sonst käme eine Sperre!
    Scholz mag das in ihren Augen sein, aber 85% sehen das wohl anders!
    Da nützen ihre einfachen Aussagen und unsachlichen Behauptungen auch nix!
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  • Karin Stratmann
    Die untätige Regierung unseres Landes schürt Hass und Hetze. Nur betretenes Schweigen nach den Attentaten nützt nichts. Es gab schon genug Tote und Verletzte. So werden den Rechtsextremen die Bürger zugänglich, weil sie es satt haben, dass für deren Sicherheit nicht genügend getan wird. Es braucht dringendst ein Zeichen in unserem Land, dass klar macht, dass hier nicht jeder erwünscht ist und die Missachtung unseres Staates klare und schnelle Konsequenzen hat. Wenn man Asyl in einem Land bekommt, dann sollte es klar sein, dass man weder stiehlt, noch gewalttätig wird, Drogen konsumiert und verschiebt usw. Und wenn, dann muss man gehen.
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  • Martin Deeg
    ..."dann sollte es klar sein, dass man weder stiehlt, noch gewalttätig wird, Drogen konsumiert und verschiebt usw. "...

    Der Täter hier hat das alles nach derzeitigem Stand nicht getan.
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  • Karin Stratmann
    Es gibt aber genug, die das tun! Und damit sollte das Asyl beendet werden
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  • Martin Deeg
    Die Wahrheit, die sich auch aus Ihrem Post ergibt, ist die: solche Taten werden politisch missbraucht, um Unschuldige zu "bestrafen", die diese Tat nicht weniger abscheulich finden als Sie und ich - aber zufällig die gleiche Staatsangehörigkeit haben wie der Täter....
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  • Lukas Weidinger
    Richtig starke Haltung, Herr Öztürk!
    Danke.
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  • Winfried Gehrig
    Das jemand mit einem moderne Fahrzeug 36 Menschen überfahren kann, bis das Fahrzeug zum Stillstand kommt, ist meines Erachtens nach, auch ein Armutszeugnis für die Entwicklungsabteilungen unserer Automobilindustrie. Warum ist keine moderne Elektronik eingebaut, die bei einem Verkehrsunfall mit Aufprall eines menschliches Körpers auf ein Auto, dieses gezielt abbremst und den Motor zum Stillstand bringt ?
    Am Fahrzeug wurde die Frontscheibe komplett zerstreut. Vermutlich hat der Regensensor zum Aktivieren der Scheibenwischer noch wunderbar funktioniert.
    Ein Aufprall eines menschliches Körpers in der Frontscheibe des Fahrzeugs scheint der
    Fahrzeugelektronik hingegen völlig egal zu sein.
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  • Hans Kaiser
    Sie wollen uns jetzt ernsthaft erklären das Auto hätte schuld?
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  • Martin Deeg
    Es geht erkennbar nicht um "Schuld".
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  • Hans Kaiser
    Doch, genau darum geht es, um das Abwälzen von Verantwortung und Schuld
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  • Martin Deeg
    Nein, Herr Kaiser!

    In dem Kommentar geht es um ein paar kluge Gedanken zur Prävention, wie man solche Taten in Zukunft verhindern bzw. den Schaden begrenzen kann!

    Das mag Ihnen fremd sein und Sie mögen auch wissen, wessen "Schuld" diese Tat ist - Sie sollten allerdings aufhören, diese einseitige und enge Perspektive Menschen überstülpen zu wollen, die weiter denken!
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  • Rico Schmidt
    Es geht hier nicht nur um Technik, sondern auch um Gesetzgebungen. Zielführender wäre eine Ursachenbekämpfung. Das Auto hat keine Schuld.
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  • Dominik Temming
    Von denen, die sich aufregen, weil es nach jedem Anschlag Hass und Hetze gibt, würde ich mir wünschen, Lösungen zu finden, solche Attentate zu vermeiden. Netter Nebeneffekt: Dann gäbe es auch weniger Hass und Hetze.
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  • Dietmar Eberth
    Zur bitteren Wahrheit gehört, es gibt keinen absoluten Schutz vor Attentaten. Insbesondere wenn es sich um Einzeltäter handelt. Nur traut sich keiner das zu sagen.
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  • Martin Deeg
    Doch, jedenfalls jeder der ehrlich ist, sagt genau das. Es geht halt etwas unter in all dem Geschrei und den Nebelkerzen von Weidel, Söder, Merz, Dobrindt etc....

    Was allerdings wenige offen sagen ist die schlichte Tatsache, dass Hass und Hetze gegen Migranten und Anschläge eine Wechselwirkung haben, Rechtsextremismus und islamistischer Terror sind zwei Seiten der gleichen siffigen Medaille, die auf die gleichen Emotionen abzielen und sich beide gegen den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat stellen (und die Parteien der Mitte schwächen wollen).

    Wer denen nachläuft, die absolute "Sicherheit" vorgaukeln und "Es reicht!" für eine politische Strategie halten, stärkt und motiviert somit auch die Gegenkräfte, die Täter.
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