Die Kunsthalle in Schweinfurt mit über 2000 Quadratmetern Ausstellungsfläche, auf der moderne und zeitgenössische Kunst gezeigt wird, kennt jeder. Die meisten Besucher gehen zielstrebig auf den Haupteingang zu. Selbst wenn sie vom Parkplatz aus den Weg an der Stadtmauer entlang wählen, widmen die wenigsten ihre Aufmerksamkeit dem zugemauerten Seiteneingang, über dem sich ein steinernes Relief befindet.
Dabei spielt dieses eine nicht unbedeutende Rolle in der Historie des Gebäudes. Das Relief zeigt Neptun, den römischen Gott der Meere, der mit einem Dreizack – seiner Stichwaffe – in der linken Hand auf einem Delfin reitet. „Es ist einer der zahlreichen Hinweise, die auf die ursprüngliche Nutzung des Gebäudes anspielen“, erklärt Andrea Brandl, Leiterin der Kunsthalle und des Kulturamts.
Denn: Die heutige Kunsthalle war ehemals ein Hallenbad, das Ernst-Sachs-Bad. „Hier war der Eingang für die Schüler und Schülerinnen, die zum Schwimmunterricht gingen. Wie zumindest die älteren Schweinfurter wissen dürften, wurde das Bad bis zum Jahr 2005 betrieben. Viele können sich bestimmt noch daran erinnern, wie sie hier ihr Seepferdchen und den Freischwimmer machten oder vor der Pforte des Neptun im kalten Winter darauf warteten, endlich vom Hausmeister hineingelassen zu werden.
Neptun-Relief vom Schweinfurter Bildhauer Georg Kaffer
Was das Neptun-Relief angeht: Der Entwurf dazu stammt von dem in Bamberg geborenen Lothar Schwink (1886-1963), der ein Schüler des Bildhauers Josef Wackerle (1880-1956) war. Mit der Ausführung war indes der unbekanntere Schweinfurter Bildhauer Georg Kaffer betraut. Über diesen sei in der Literatur nicht viel bekannt, erklärt die gebürtige Oberfränkin Andrea Brandl, die Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und Philosophie an der Julius-Maximilians- Universität Würzburg studiert hat
Spätestens seit dem Einzug der Kunsthalle ist sie auch emotional mit dem Gebäude verbunden. „Natürlich war das Ernst-Sachs-Bad kein Spaßbad, wie wir es heute kennen – sondern praktisch und funktional eingerichtet und trotzdem sehr mondän“, erklärt sie. Man müsse sich vergegenwärtigen, dass vor 100 Jahren ein Bad nicht der Freizeitgestaltung diente, sondern der Gesundheit und der Körperhygiene, „denn nur wenige Wohnungen verfügten damals auch über Bäder“.
Vom Wannenbad bis zur medizinischen Massage
Neben der Schwimmhalle gab es hier auch Wannenbäder, ein Römisch-Irisches Bad und Plätze für medizinische Massagen. Letztere befanden sich übrigens in Räumlichkeiten hinter der zugemauerten Pforte. Zudem gelangte man durch besagte Tür über einen Flur zu einer Treppe, die ins damalige Casino des Bades führte.
Ihren Namen verdankte die Schwimmhalle dem Industriellen Ernst Sachs (1867-1932), der bereits 1917 eine stattliche Summe für ein Hallenbad in der Stadt gestiftet hatte. Aufgrund des Ersten Weltkriegs und der anschließenden Inflation dauerte es jedoch noch viele Jahre, bis das Bad 1933 endlich eröffnet werden konnte. „Da war Ernst Sachs selbst allerdings schon tot, er starb 1932 im Alter von 64 Jahren.“
Dennoch sei der Stifter im und am Gebäude präsent. So erinnert beispielsweise bis heute am Portal der Kunsthalle eine Inschrift an sein großzügiges Engagement: Ernst-Sachs-Bad / Zur Förderung der Gesundheit / Zum Wohl und Segen der Bevölkerung / Erbaut 1931/32 / Wiederhergestellt 1947/49.
Letzteres bezieht sich auf die schweren Schäden, die das Bad im Zweiten Weltkrieg erlitten hatte. Als Architekt für das mondäne Bad kam in den 1920er-Jahren der gebürtige Würzburger Roderich Fick (1886-1955) zum Zuge. Die Museumsleiterin beschreibt, dass er einen trapezförmigen Bau plante, der trotz seiner Extravaganz ein hohes Maß an Funktionalität bieten sollte. „Im Prinzip war das Kunst. Das haben in den 30er-Jahren auch Mitglieder des Schweinfurter Stadtrats festgestellt und angemerkt, dass die Schwimmhalle einer Festhalle gleichkam“, erzählt Andrea Brandl.
Vielleicht, so könnte man meinen, war die heutige Nutzung dem herrschaftlichen Bau schon damals in die Wiege gelegt. So heißt es in "Das Ernst-Sachs Volksbad" von Architekt Rudolf Pfister (1886-1970) aus München: „Einer hochherzigen Stiftung sein Entstehen verdankend ist es zu einem in jeder Hinsicht kostbaren Geschenk für die Bevölkerung Schweinfurts geworden. Und mehr als dies: das schönste Bad Deutschlands.“
Yasmin Renges beschreibt in ihrer Doktorarbeit "Die Stadtbäder der Goldenen Zwanziger" aus dem Jahr 2015 das Bad wie folgt: „Dort, wo die Sachlichkeitsanbeter die höchste Vollendung sehen, dort fängt die wirkliche Leistung des Baukünstlers erst an. Der Architekt des Schweinfurter Bades wusste dies, und deshalb ist sein Werk auch mehr geworden als seine Brüder im übrigen Reich: keine ‚Anstalt für Reinlichkeit‘, keine ‚sanitäre Einrichtung‘, sondern das, was es sein soll: eine Stätte der Körperpflege in dem höheren Sinne, der aller Körperpflege des Altertums eigen war, in dem Sinne der Erziehung zum schönen, gesunden Körper in Verbindung mit einem gesunden Geist.“
Neueröffnung als Kunsthalle im Frühjahr 2009
Dass das Gebäude tatsächlich für Kunstausstellungen prädestiniert war, habe sich dann im Jahr 2005 gezeigt, erzählt Andrea Brandl, „die Planungen begannen noch während des laufenden Badebetriebs“. Im Mai 2009 öffnete das Ernst-Sachs-Bad nach umfänglichen Umbaumaßnahmen erneut – nun als Museum für zeitgenössische Kunst, die Kunsthalle. „Wir haben uns bemüht, die ursprüngliche Nutzung noch an vielen Stellen nachzuempfinden“, erklärt die Kunsthistorikerin. Allerdings sind einige Reliefs in der Umbauphase zur Kunsthalle auch verloren gegangen.
Nicht so das beschriebene Neptun-Relief an der Seitenpforte, das auf die einstige Nutzung des Gebäudes als Bäderbetrieb hinweist – ebenso wie das Wassergeister zeigende Relief, das den Innenhof des Gebäudes schmückt. Das berühmteste Kunstwerk ist der von Josef Wackerle selbst erbaute „Rossebändiger-Brunnen“ auf dem Platz vor der Kunsthalle, der ein Pferd mit Fischschwanz zeigt.
„Ein Mann hält am Zaum ein sich bäumendes Roß, dessen gedrungener Leib in einem Fischschwanz endet: Eine Allegorie auf die geistige Kraft des Menschen, welche die Naturgewalt des Wassers bändigt und nutzt“, so heißt es in Erich Safferts Stadtführer von 1963. Andrea Brandl geht in einer eigenen, noch unpublizierten Ausarbeitung noch weiter und sieht in der Brunnenplastik ein originelles Zitat zum berühmten barocken Brunnen in Rom, der Fontana di Trevi.
Wie dem auch sei. Fakt ist, dass die Erinnerung an den einstigen Bäderbetrieb bestehen bleiben soll. Was übrigens das Paradoxon der zugemauerten Seitenpforte angeht, hat dies einen ganz profanen Grund, wie die Museumsleiterin erläutert: „Jeder Zugang zum Museum ist ein mögliches Schlupfloch mehr und somit ein Sicherheitsrisiko. So kam der Entschluss, die ehemalige Tür zu zu mauern.“
So geht's zum Neptun
Die Kunsthalle befindet sich in der Rüfferstraße 4. Geht man am Seiteneingang des Museums an der Stadtmauer entlang, entdeckt man die zugemauerte Pforte.
Das Buch „Schweinfurter Geheimnisse“ ist in Kooperation zwischen der Main-Post und dem Bast Medien Verlag erschienen. Das Buch (Hardcover) kostet 19,90 Euro, hat 192 Seiten und ist durchgehend bebildert. Erhältlich im Buchhandel oder direkt beim Verlag: bestellungen@bast-medien.de (versandkostenfrei). ISBN: 978-3-946581-81-9