
Margarita Calvary ist am 30. April 1922 im Haus Markt 53 als Gretl Silberstein geboren worden. Sie kehrte als Einzige der einst über 300 Schweinfurter jüdischen Glaubens 2003 in die Heimatstadt zurück. Am Freitag vergangener Woche ist Margarita Calvary, die zuletzt im Augustinum lebte, im Alter von 94 Jahren gestorben.
Bis die Nazis an die Macht kamen, erlebte sie eine glückliche Kindheit. Spätestens mit dem Erlass der „Rassegesetze“ 1935 waren aber auch die angesehenen Silbersteins eine der Familien, die in die gesellschaftliche Isolation gedrängt wurden. Ludwig Silberstein führte die Schuhfabrik Silberstein & Neumann. Margarita Calvary beschrieb ihren Vater als kultivierten Mann, der sich mit Deutschland als Vaterland identifizierte. „Wenn wir gewandert sind, hat er Volkslieder gesungen.“
1937 starb der Vater, den die Nazis enteignet hatten. Gretl Silberstein musste die Schule verlassen. Ihre Mutter Selma schickte sie nach London. Dort arbeitete die 15-Jährige als Dienstmädchen. 1938 konnten Gretl und ihre Mutter mit Hilfe des sechs Jahre älteren Bruders Hans nach Argentinien auswandern, dem zuvor die Flucht nach Buenos Aires gelungen war. Bruder Fritz emigrierte nach Israel.
1942 heiratete sie in Argentinien den aus Berlin stammenden Ernesto Calvary. Aus Gretl Silberstein wurde Margarita Calvary. In der Familie wurde aber weiter deutsch gesprochen: „Die deutsche Sprache kann ja nichts für die Verbrechen der Nazis“, hat sie einmal gesagt.
In den 1970er-Jahren wandte sich Margarita Calvary, die inzwischen in Madrid lebte, der bildenden Kunst zu. Auch später in Schweinfurt widmete sie sich dieser Arbeit intensiv. Die Stadt hatte ihr in der Friedenschule ein kleines Atelier eingerichtet. Mit 90 Jahren (2012) zeigte die Malerin in einer viel beachteten Ausstellung ihre Anfänge bis zur Fortentwicklung ihrer Kunst.
Aus ihrem Werk, das sie bei ihrer Rückkehr der Heimatstadt übereignet hatte, wurden 70 Werke in der Kunsthalle gezeigt. Dort, im früheren Ernst-Sachs-Bad, das sie noch als Gretl Silberstein nicht mehr hatte betreten dürfen, als die Nazis jüdischen Kindern die Teilnahme am Sport verboten.
Unvergesslich auch ihre Teilnahme an der feierlichen Übergabe der Stelen am jüdischen Gedenkort in der Siebenbrückleinsgasse im Jahr 2013, genau 75 Jahre nach dem Pogrom und ihrer Emigration. Intensiv studierte Margarita Calvary die Text- und Bildertafeln, die Auskunft über die Geschichte der Juden in Schweinfurt, die Synagoge, das Wüten der Nazis 1938 auch in Schweinfurt und die spätere Deportation geben.
Margarita Calvary hatte damals wie auch bei der Ausstellung im Jahr zuvor aufmerksam zugehört und ihre „eigene gelassene Würde ausgestrahlt“, wie die Redakteurin Katharina Winterhalter das stets bescheidene Auftreten von Margarita Calvary einmal so trefflich beschrieb. Sie sah die Gräuel noch einmal auf Bildern und sagte wie so oft sehr nachdenklich nur, dass sie angetan sei von der Umgestaltung des zuvor so stiefmütterlich behandelten Gedenkorts.
Die Trauerfeier und Beerdigung dieser außergewöhnlichen Schweinfurterin findet am Freitag, um 12 Uhr im Hauptfriedhof statt.