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Schweinfurt
Schweinfurter Fahrradindustrie: Aus tiefem Tal zum Höhenflug
Der von Corona befeuerte Fahrradboom sei keine Eintagsfliege, sagt Bernhard Johanni aus der Standortleitung des weltweit zweitgrößten Fahrradkomponentenherstellers SRAM.
Die Adler-Schaltung von SRAM an einem Rennrad.
Foto: Gerd Landgraf | Die Adler-Schaltung von SRAM an einem Rennrad.
Gerd Landgraf
Gerd Landgraf
 |  aktualisiert: 12.09.2022 15:06 Uhr

Zuletzt hatte der Veranstalter der weltweit größten Fahrradmesse den Termin in Friedrichshafen am Bodensee vom Spätsommer auf Ende November verschoben. Mitte Oktober kam wegen der Corona-Krise dann doch noch die Absage der Eurobike, wo der amerikanische Komponentenhersteller SRAM stets zu den größten unter über 600 Ausstellern zählt, und wo der Standort Schweinfurt die meisten unter den über 100 Ansprechpartnern am Stand stellt. 2020 war "ein Wechselbad der Gefühle", sagte der Redaktion jetzt Bernhard Johanni aus der Geschäftsleitung in der Schweinfurter Romstraße. Hier entwickeln 170 Mitarbeiter die Fahrradschaltungen des neben Shimano zweitgrößten Komponentenherstellers der Branche, hier werden Händler aus Europa beraten und geschult. Im Industrie- und Gewerbepark Maintal ist auch das zentrale Marketing für Europa angesiedelt.

Der Konzern und seine Zukäufe

SRAM wurde in den 1990er-Jahren durch seine Grip Shift genannten Schaltgriffe bekannt. 1997 übernahm man die Fahrradsparte von Sachs. 2002 wurden der Dämpfer-Hersteller RockShow, 2004 der Bremsen-Hersteller Avid eingekauft. Mit Truvativ erweiterte man 2005 das Portfolio in den Bereichen Innenlager, Kurbeln, Lenker, Vorbauten und Pedale. Seit 2007 gehört auch der Laufradhersteller Zipp zum Konzern. Quarq (Leistungsmesser) vervollständigt seit 2011 die Angebotspalette.

Publikumsverkehr gibt es bei SRAM in der Romstraße 1 derzeit nicht.
Foto: Gerd Landgraf | Publikumsverkehr gibt es bei SRAM in der Romstraße 1 derzeit nicht.

Nach der Eurobike im September 2019 war SRAM "hervorragend" durchgestartet. Schweinfurt hatte mit der auch funkgesteuerten Eagle-Schaltung (nur noch ein Kettenblatt an den Pedalen, zwölf Ritzel an der Achse des Hinterrads) weltweit für Schlagzeilen gesorgt. War die Adler-Schaltung anfangs nur für über 2000 Euro zu haben, stellte sich nun auch für die abgespeckten Modelle großes Interesse ein. Heute wird das Schalten ohne Umwerfer bei SRAM auch für Räder im Preissegment unter 1000 Euro angeboten. "Das ging so bis März. Dann läuteten die Alarmglocken", sagt Bernhard Johanni.

Die Läden der Händler waren geschlossen. Nur Werkstätten arbeiteten. SRAM Schweinfurt öffnete die Händlerberatung im – und nur im – Lockdown auch für den Endkunden, den man nicht allein lassen wollte und womit Arbeitsplätze im Maintal gesichert wurden. Nach wenigen Wochen stand dann die Fahrradwelt auf dem Kopf. Ab Juni boomte das Geschäft. In der Produktion, aber auch in der Entwicklung habe man "Vollgas" gegeben, so Johanni.

Größte Probleme bereitete das Bestellen von Teilen, die weltweit vor allem in Fernost produziert werden. Die ansonsten übliche Lieferfrist von 30 Tagen wurde nicht mehr eingehalten. SRAM hatte mehr Glück als die Konkurrenz. Der Konzern produziert in eigenen Fabriken im von der Pandemie großteils verschonten Taiwan, wo mit einer vorbildlichen Disziplin (insbesondere beim Tragen von Masken) ein Massenausbruch verhindert worden sei, meint der Geschäftsführer.     

Die Mitarbeiter zu den Händlern geschickt

In Schweinfurt wurden die Ingenieure ins Homeoffice geschickt. Auch aktuell ist das Gebäude abgeschlossen. Der Empfang ist nicht besetzt. Getestet wird noch in den Hallen. "Bislang ist uns all das perfekt gelungen", resümiert Johanni. Schwer gebeutelt wurde allerdings das Marketing. Nicht nur die Eurobike, viele Events fielen aus. Zur Tour de France oder zu Wettbewerben der Mountainbiker fuhr nur ein kleines Team, das viele Sicherheitshürden zu überwinden hatte. Die Fachkräfte im Service wurden raus zu den Händlern geschickt, um diese vor Ort zu unterstützen. Zum Instrument der Kurzarbeit wurde in der Romstraße nicht gegriffen.

Optimistisch schaut Johanni in die Zukunft der Branche. Die Zahlen seien weiterhin "hervorragend" – und zwar bis in das Jahr 2022 hinein. Als einen Grund für den Boom nennt der Geschäftsführer den Ausfall vieler Urlaubsreisen. Mit dem gesparten Geld hätte sich so mancher einen lange gehegten Traum vom auch hochwertigen Bike erfüllt und/oder eine attraktive und gesunde Freizeitakivität vor Ort erschlossen. Profitiert habe davon vor allem das E-Bike. Doch die Nachfrage sei nicht nur beim Radeln mit Rückenwind geklettert, sondern in allen Sparten, wobei das Gravel Bike (Rennrad mit breiteren Reifen und geeignet für Schotter und andere robuste Wege) besonders hoch im Trend liege.   

Neuigkeiten in 2021

Die Zuversicht des Geschäftsführers gründet auf der Beobachtung, dass die Käufer der Mobilität auf zwei Rädern sehr treu bleiben würden. Verlierer sei hier vor allem der ÖPNV in den großen Städten. Zu den Aufgaben von SRAM zähle jetzt eine verstärkte Lobbyarbeit. Im urbanen Bereich gelte es, Platz für die Radler zu schaffen und die gesamte Infrastruktur zu verbessern. Da die Politik dies auch erkannt habe, müsse die Chance jetzt genutzt werden. Für die Entwicklung am Standort, der in 2021 mit "etlichem Neuen" überraschen werde, sei dies die Herausforderung, die Produkte noch besser zu machen, um die Kundschaft mit Qualität langfristig für das Radeln zu gewinnen. 

 
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