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Schweinfurt
Schwammspinner: Alternativen zur chemischen Keule
Die Gelege an den Baumstämmen abkratzen, Nistkästen für Vögel aufhängen, Feinde ausbringen und mit Kartoffelsäcken im Wald den Schwammspinnern in die Falle locken.
Scharen von Schwammspinnerraupen eroberten im letzten Jahr die Anwesen am Waldrand von Schraudenbach.
Foto: Konrad Bonengel | Scharen von Schwammspinnerraupen eroberten im letzten Jahr die Anwesen am Waldrand von Schraudenbach.
Gerd Landgraf
Gerd Landgraf
 |  aktualisiert: 07.04.2020 13:17 Uhr

Als sich der Populationsbiologe Mirko Wölfling im Frühsommer 2019 bei Schraudenbach die Folgen der Schwammspinnerausbreitung anschauen wollte, fand er dort ein Hirschkäfermännchen. Die Bestände dieser größten Käferart Europas werden in der Roten Liste als "stark gefährdet" eingestuft. In Deutschland ist der Hirschkäfer mehrfach geschützt durch die Bundesartenschutzverordnung sowie die FFH-Richtlinie. Für Wölfling war klar, dass ein diskutierter Spritzmitteleinsatz zur Bekämpfung des Schwammspinners nicht nur die Zielorganismen, sondern auch zahllose andere Arten, wie auch den Hirschkäfer treffen würde.

Der Wissenschaftler suchte die Redaktion des Schweinfurter Tagblatts auf und kritisierte die Kommunikation zwischen Forstamt und Wissenschaftlern: "Es muss doch bei einer Massenvermehrung möglich sein, nicht gegeneinander, sondern miteinander eine Lösung zu finden". Die Idee eines Runden Tisches war geboren, welche jedoch mehrfach an der Terminfindung scheiterte. Jetzt stellt die Redaktion in Anbetracht der aktuellen Populationsentwicklung der Schwammspinner auf der Haardt in Schweinfurt die Positionen von Wissenschaftlern und den Standpunkt des städtischen Forstamts (gesonderter Bericht) gegenüber.

Großversuch ist angelaufen

Zum Gespräch in der Redaktion wurde Mirko Wölfling von der Biologin Britta Uhl begleitet. Beide beschäftigen sich seit vielen Jahren intensiv mit Biodiversität und sind bekannte Schmetterlingsspezialisten. Weitere fachliche Unterstützung bekamen sie vom Entwicklungsbiologen Dr. Robert Hock, Privatdozent an der Universität Würzburg. Hocks Part war es, die Wirkung der Spritzmittel auf Tiere und Menschen zu erklären.

Entwicklungsbiologe Robert Hock setzt auf eine derzeit laufende wissenschaftliche Untersuchung, bei der die TU München, die Universität Würzburg und die Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft seit 2019 die Wirkung und Folgen eines Spritzmitteleinsatzes in be- und unbehandelten Gebieten untersuchen.

Alarmierende Rückgänge

Das Projekt soll zwischen Bad Windsheim und Schweinfurt auf elf Waldflächen (zusammen 650 Hektar) zeigen, was mit Schmetterlingen und anderen Insekten, Fledermäusen, Vögeln und allem was dort kreucht und fleucht passiert – auch vor dem Hintergrund, dass von 2008 bis 2017 in Offenlandflächen und in Waldgebieten ein Rückgang der Insektenbiomasse um 67 Prozent festgestellt wurde und 34 Prozent der Arten verschwunden sind.  In den jetzigen Testgebieten werden vor allem Kernzonen mit einem Areal von 300 auf 300 Meter unter die Lupe genommen und jeweils gespritzte mit ungespritzten Bereichen und unterschiedlich starkem Schwammspinnerbefall verglichen. Erste Ergebnisse über die Auswirkungen auf den Bruterfolg von Singvögeln werden demnächst publiziert. Mit Spannung erwartet werden die Auswirkungen auf Baumkronen- und Bodengesellschaften.

Weibchen und Männchen des Schwammspinners. Die Männchen sind unauffällig grau gefärbt mit dunklen Zackenlinien und sehr mobil. Die sehr hellen Weibchen sind größer und kaum flugfähig.
Foto: Silvia Eidel | Weibchen und Männchen des Schwammspinners. Die Männchen sind unauffällig grau gefärbt mit dunklen Zackenlinien und sehr mobil. Die sehr hellen Weibchen sind größer und kaum flugfähig.

Ein Argument, das sowohl Befürworter wie Gegner der Bekämpfung aus der Luft verwenden, ist die geringe Größe der betroffenen Flächen. In Unterfranken steht Wald auf 100 000 Hektar. Betroffen von einer Überpopulation des Schwammspinners waren in den letzten Jahren jeweils etwa 4000 Hektar (vier Prozent). Bekämpft wurde auf lediglich 1600 Hektar. Nicht zuletzt war es in den anderen Befallgebieten der Naturschutz, der die chemische Keule verhinderte.

Der Tod für alles, was sich häutet

Wenn Mirko Wölfing, Britta Uhl und Robert Hock von einer Katastrophe durch den Einsatz des Häutungsbeschleunigers Mimic sprechen, ist gemeint, dass prinzipiell alle sich über Häutung entwickelnden Tiere bis hin zum Fadenwurm im Boden sowie den Krebsen in den Bächen betroffen sind. Risikobewertungen, nach denen andere Insektengruppen außer Schmetterlingen weniger anfällig für Mimic seien, sehen die Biologen kritisch. Für Mückenlarven sei die tödliche Wirkung des Giftes bereits bewiesen. Und auch bei Käfern binde sich Mimic an jene Schaltstellen, die eine vorzeitige und tödliche Häutung auslösen.

„Zwar viel langsamer, aber das ist vollkommen logisch“, so Hock. „Schmetterlingslarven entwickeln sich meist sehr schnell, innerhalb eines Jahres, da muss das natürliche Häutungshormon schnell und effektiv binden, damit die Raupe weiterwachsen kann. Bei Käfern ist das anders, da deren Larven oft Jahre für die Entwicklung brauchen.“ Weil durch das Spritzmittel auch der Mensch Schaden nehmen kann (besonders an den Augen und bei Allergien), werden die Bekämpfungsflächen abgesperrt. "Nach deren Freigabe sei die Wirkung von Mimic jedoch nicht gänzlich aufgehoben", so Robert Hock und: "Mimic wirkt langfristig und ist als gewässergefährdend eingestuft."

Eingriff in die Artenvielfalt

Das Gift stelle eine Gefahr für die Biodiversität dar, ergänzt Britta Uhl, die auf die sowieso bedrohliche Lage für viele Schmetterlinge (3682 Arten in Deutschland) verweist. Selbst wenn Mimic „nur“ bei Schmetterlingen wirken würde, so beträfe das in Deutschland immer noch alle Arten im behandelten Gebiet. „Wer Mimic spritzt, muss sich darüber im Klaren sein, dass damit auch alle Tagfalter vernichtet werden“, so die Biologin. „Mit einem Populationsrückgang bei 63 Prozent aller heimischen Tagfalter und einem mehrfach nachgewiesenen flächendeckenden Insektensterben kann man sich solche Eingriffe nicht mehr erlauben.“

Als Alternative nennen die Biologen zahlreiche Methoden. So wurden in den Niederlanden bei anderen Raupenarten erfolgreich Nistkästen für Vögel eingesetzt. Ein Meisenpaar verzehrte dabei im Jahr 150 Kilogramm Larven und ausgewachsene Insekten. Aber auch spezifische Baculoviren, welche ausschließlich den Raupen des Schwammspinners den Garaus machen, könnten eine gute Wirkung erzielen, wenn sie frühzeitig ausgebracht werden. Es gibt für Schwammspinner aber auch den Klassiker – die Pheromonfalle.

Die Alternativen

Diesen Alternativen in Verbindung mit dem manuellen Entfernen der Nester (etwa bei der Suche nach der Befallhäufigkeit und zusätzlichen Aktionen) räumt Mirko Wölfling reale Erfolgsaussichten ein. Wölfling nennt auch die Burlap-Methode, welche in den USA und Kanada bereits eingesetzt wird. Dabei macht man sich zu Nutze, dass der Schwammspinner seine Gelege gerne in der Dunkelheit in Spalten platziert. Um die Bäume gebundene Kartoffelsäcke imitieren diesen Umstand und ziehen die Weibchen magisch an. "Die Gelege lassen sich unter den Säcken dann einfach absammeln", so Wölfling.

Der Wissenschaftler verwies in der Redaktion auch die Wirtschaftlichkeit alternativer Methoden. Viele dieser Verfahren seien in der Anschaffung zwar etwas teurer, dafür aber dauerhafter und damit nachhaltiger und würden sich meist innerhalb von zwei Jahren gegenüber dem kurzfristigen Einsatz von Mimic amortisieren.

Clevere Lösung der Natur

Eine sanfte Bekämpfung hätte laut den Biologen auch viele Vorteile. Die natürlichen Feinde des Schwammspinners blieben erhalten, sodass das natürliche Gleichgewicht weit weniger gestört wäre. Einer Schwammspinner-Massenvermehrung folge für gewöhnlich eine Vermehrung der Parasitoide und Räuber sowie der Krankheiten und Viren, welche dann zum Zusammenbruch der Schwammspinnerpopulation führen. Die Natur habe hier die cleverere Lösung. Sind die Schwammspinner in dem einen Gebiet reduziert, breiten sich die Fressfeinde, Parasitoide und Krankheiten auch in benachbarten Gebiete aus und würden dort einer Vermehrung im Folgejahr vorbeugen.

 
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