Eine saftgrüne Wiese mit einigen Streuobstbäumen an einem sanften Nordhang südwestlich von Michelau: Mitten im Gras steht ein Bagger und hebt ein tiefes Loch aus. Den Aushub verteilt der Baumaschinenführer sorgfältig auf kleinere Haufen. Um diese Erdhügel herum stehen mehrere Männer und Frauen und beobachten interessiert, was die Baggerschaufel aus der Tiefe zum Vorschein bringt. Dann verpackt eine junge Frau Erdproben in kleine weiße Plastikeimer.
Was sich da momentan in der Michelauer Gemarkung abspielt, ist die Untersuchung der ehemaligen Müllkippe des Dorfes. 149 solche alte Schuttplätze im Landkreis Schweinfurt sind dem Umweltamt am Landratsamt bekannt. In einem öffentlich einsehbaren Kataster sind sie standardmäßig als "Altlastenverdachtsfläche" kartiert. Unter Federführung des Wasserwirtschaftsamts Bad Kissingen und finanziert vom Freistaat Bayern werden nach und nach alle alten Müllkippen untersucht und abgearbeitet, ob hier möglicherweise Stoffe im Untergrund liegen, die eine Gefahr für die Umwelt darstellen. Derzeit sind die Untersuchungsteams im Großraum Gerolzhofen unterwegs.
Momentan werden die alten Schuttplätze von Michelau und Falkenstein untersucht, in Bischwind, Schallfeld (in Richtung Bimbach) und bei Donnersdorf sind die Schürfungen schon beendet. Die früheren Müllhalden von Frankenwinheim, Lülsfeld, Dingolshausen und Vögnitz sind demnächst an der Reihe.
Spezialfirma aus Mittelfranken im Einsatz
Bis jetzt habe man bei den Untersuchungen nichts gefunden, was besorgniserregend für die Umwelt sein könnte, sagt Ronnie Weißenberger vom Wasserwirtschaftsamt. Man müsse aber noch die laborchemischen Untersuchungen der Bodenproben abwarten, die von der Firma Genesis Umwelt Consult aus Mittelfranken vorgenommen werden. Die Genesis-Mitarbeiter Katharina Mehrbach und Dr. Harald Kunkel unterstützen Weißenberger vor Ort, vom Umweltamt des Landratsamts Schweinfurt sind außerdem Sabrina Wendel und Oliver Seufert in Michelau mit dabei.
Bis in die 70-er Jahre waren die Gemeinden noch selbst die Träger der Abfallentsorgung. Erst im Zuge des neuen Abfallbeseitigungsgesetzes des Bundes von 1972 und des Bayerischen Abfallgesetzes von 1973 wurde die Zuständigkeit bei der Abfallentsorgung auf die Bezirksregierungen und die Landratsämter übertragen. In der Folge wurden bundesweit dann etwa 50.000 Müllkippen geschlossen.
Alte Verwaltungsakten werden ausgewertet
Damals gab es keine Müllentsorgung, wie wir sie heute kennen. Der Hausmüll, Bauschutt und Erdaushub wurden von der Bevölkerung einfach auf den örtlichen Müllplätzen entsorgt. Dafür nutzte man bevorzugt ehemalige Gruben, Steinbrüche, Hohlwege oder alte Bombentrichter aus dem Zweiten Weltkrieg. Aber woher weiß man eigentlich, wo sich früher die oftmals qualmenden Müllkippen befunden haben?
Es gebe noch alte Akten des Landratsamts Gerolzhofen aus den 50-er und 60-er Jahren, die das Landratsamt Schweinfurt nach der Gebietsreform übernommen hat. Mit diesen Schriftstücken hätten damals die Dörfer der Kreisbehörde in Gerolzhofen angezeigt, wo in ihrer Gemarkung der Müll entsorgt wird, erklärt Oliver Seufert. Auch für die Müllkippe von Michelau hat sich ein solcher Verwaltungsvorgang erhalten. Es werde "Unrat in jeder gebräuchlichen Art" dort entsorgt, ist in dem offiziellen Schreiben der Gemeinde Michelau nachzulesen.
In diesen Akten ist oft auch die Flurstück-Nummer oder zumindest die Flurbezeichnung aufgeführt, wo sich die Stelle befindet, an der der Schutt einst verschwand. Falls nicht, dann kann man bei älteren Dorfbewohnern nachfragen, die sich in der Regel noch gut an den Standort erinnern können. Eine weitere Hilfe seien auch historische Luftaufnahmen aus dem Zentralarchiv in München, berichtet Harald Kunkel. Bei entsprechender Vergrößerung könne man auf den Fotografien die damaligen Müllhalden gut erkennen - so auch beim Luftbild von Michelau. Auf dem Foto noch aus der Zeit vor der Flurbereinigung erkennt man eine noch andere Wegeführung in der Flur und einen von Hecken gesäumten Graben, der sich den Hang hinauf zieht. Dieser Graben wurde im Laufe der Jahrzehnte dann offenbar mit dem Müll verfüllt, später eingeebnet und mit Obstbäumen bepflanzt.
Pro ein Meter Tiefe ein Erdhaufen
Auf der gut 1000 Quadratmeter großen Streuobstwiese oberhalb von Michelau wird an verschiedenen Stellen geschürft. Die Experten gehen dabei immer nach dem gleichen Schema vor: Der Bagger gräbt zunächst ein längliches Loch mit einer Tiefe von einem Meter, der Aushubhaufen bekommt die Nummer eins. Dann geht es einen weiteren Meter in die Tiefe, der Aushub wird separat gelagert und bekommt mit einem Farbspray die Nummer zwei. So geht es weiter, bis eine Tiefe von fünf Metern erreicht ist und sich fünf nummerierte Erdhügel rund um das Loch befinden. Tiefer kann der Bagger technisch bedingt nicht graben. Und wenn man schon vorher auf das gewachsene Erdreich stößt, muss man auch nicht bis in fünf Meter Tiefe vorstoßen.
Die Experten nehmen nun jeden einzelnen Erdhaufen unter die Lupe. Eine "organoleptische Untersuchung" nennt dies Ronnie Weißenberger. Das heißt: Der Aushub wird erst einmal ohne technische oder sonstige Hilfsmittel alleine mit den menschlichen Sinnen untersucht. Man schaut sich die Gegenstände, die zum Vorschein gekommen sind, genau an. Gibt es irgendeinen Hinweis auf eine mögliche Umweltgefährdung? Man riecht auch am Erdreich. Wurde hier früher vielleicht Öl, Diesel oder Benzin abgekippt oder wurden Teerstücke entsorgt?
Ein archäologischer Blick in längst vergangene Zeiten
In den bisher untersuchten Schürfstellen bei Michelau hat man bis jetzt nichts Umweltgefährdendes gefunden. Das verwundert aber nicht. Denn was soll in dem früher nahezu ausnahmslos landwirtschaftlich geprägten Steigerwaldvorland entsorgt worden sein, was heute das Grundwasser massiv belasten könnte? Jede Schürfung ist ein archäologischer Blick in längst vergangene Zeiten. "Früher hat man ja wenig weggeworfen, sondern vieles lieber mehrfach repariert", hat Oliver Seufert beobachtet. In einer Zeit, als man nachhaltig lebte, ohne überhaupt das Wort Nachhaltigkeit zu kennen, produzierte die Dorfbevölkerung nur wenig Müll.
"Das änderte sich dann aber nach dem Krieg", sagt Seufert. Und dies kann man gut an den Schichten der Deponie erkennen. Während ganz unten überwiegend Bauschutt und Holzreste liegen, taucht weiter oben immer öfter der Wohlstandsmüll auf, Kleidungsreste und Schuhe, viele Glasflaschen, es gibt Lebensmittelverpackungen und Folien aus Kunststoff sowie verrostete Konservendosen. Die teils kuriosen Funde zeigen: Früher hat man gerne das Schaumbad von Dulgon verwendet mit dem aufgedruckten Slogan "Weiches Wasser, zarte Haut" oder "Nesquik"-Pulver mit Erdbeergeschmack in die kalte Milch gerührt.
Plastikflaschen sind bestens erhalten geblieben
Es belegt aber auch: Plastik hält praktisch ewig. Die gefundenen Plastikflaschen sind zwar arg zerknautscht, aber das Material ist noch stabil und im guten Zustand. "Ich habe eine fast völlig verrostete Spraydose gefunden", erzählt Ronnie Weißenberger, "aber das Ansaugröhrchen aus Plastik innen drin sah noch aus wie neu."
Unangefochtener Spitzenreiter bei den Funden sind die alten Maggi-Flaschen mit ihrer unverwechselbaren Form. Früher, als es noch keine Altglas-Container gab, wurden die Flaschen, die man im Tante-Emma-Laden gekauft hatte, einfach auf die Müllkippe geworfen. "Es wundert mich jedes Mal, in welchen Mengen diese Maggi-Flaschen auftauchen", sagt Ronnie Weißenberger, während er mit seinen Handschuhen den Erdhaufen Nummer drei durchsucht. Nahezu gleiches gelte auch für die charakteristischen Flaschen der Spirituosen Doornkaat und Sechsämtertropfen. "Das wurde früher offenbar ganz ordentlich konsumiert", schmunzelt er.
Gibt es ganze Autos im Untergrund?
Plötzlich glänzt etwas im Erdhaufen. Es ist eine verchromte runde Radkappe mit dem VW-Emblem. Ob der dazu gehörende VW-Käfer auch noch im Untergrund liegt? "Bis jetzt habe ich bei meinen vielen Untersuchungen aber noch kein vollständiges Auto gefunden", sagt Weißenberger, "es waren immer nur Autoteile." Aber man soll ja niemals nie sagen. Inzwischen präsentiert Oliver Seufert ein anderes Fundstück: ein ziemlich lädiertes gelbes Blechschild, mit dem früher für eine Agentur der Münchner Rückversicherung geworben wurde. Ob es damals unten im Dorf einen Agenten dieser Versicherung ab?
"Solche Schilder sind bei Sammlern sehr begehrt, wenn sie im guten Zustand sind", weiß Seufert. Doch bei diesem löchrigen verrosteten Teil lohnt das Aufbewahren nicht. Es kommt zurück auf seinen Erdhaufen - und dann auch zurück ins Loch. Denn nachdem die Mitarbeiter von Genesis Umwelt Consult noch die Erdproben in Behältern gesichert und die organoleptische Untersuchungen durch die Experten keinen auffälligen Befund erbracht haben, wird das fünf Meter tiefe Loch wieder verfüllt, entsprechend den Fundschichten. Das heißt: Der Haufen Nummer fünf kommt als erstes rein, Haufen Nummer eins als letztes.
Die Gemeinde ist der "Handlungsstörer"
Das hat seinen guten Grund. Denn sollten die späteren Laboruntersuchungen doch einen besorgniserregenden Befund erbringen, dann weiß man ganz genau, in welchem Schürfloch in welcher Schicht und in welcher Tiefe die Schadstoffe liegen. Gibt es tatsächlich einen positiven Befund, dann werde es zu natürlich einer genaueren Detailuntersuchung der Deponie kommen, sagt Sabrina Wendel vom Landratsamt. Der "Handlungsstörer" - also derjenige, der die Deponie damals angelegt hat, sprich zumeist die Gemeinde - müsse hier dann die weiteren Schritte einleiten. Und dies auch selbst finanzieren. Allerdings gebe es hierfür Zuschüsse von der Gesellschaft zur Altlastensanierung in Bayern (GAB).
Bringen die Schürfungen und die labortechnische Überprüfung keine Auffälligkeiten, dann wird der Untersuchungsprozess offiziell abgeschlossen. Und dann gibt es einen Altlast-Verdacht weniger.