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SCHRAUDENBACH
Schock nach dem Brücken-Einsturz
Am Tag nach dem Unglück: Wie Mikadostäbe liegen Gerüstteile am Brückenpfeiler zwischen Zeuzleben und Schraudenbach.
Foto: Julia Haug | Am Tag nach dem Unglück: Wie Mikadostäbe liegen Gerüstteile am Brückenpfeiler zwischen Zeuzleben und Schraudenbach.
Julia Haug
 |  aktualisiert: 27.04.2023 01:49 Uhr

Als Anton Weingart ins Auto steigt und die 300 Meter bis zur A 7-Brücke fährt, erwartet er nichts Gutes. Eine Minute zuvor hat er auf seinem Hof, dem letzten in Schraudenbach (Lkr. Schweinfurt) vor dem Ortsausgang, ein ohrenbetäubendes Donnern gehört. „Wie ein Düsenjäger, der eine Notlandung macht und sich in den Boden rammt.“ Fünf Sekunden lang etwa. Sein erster Gedanke: Es ist was mit der neuen Halle. Weingarts haben zurzeit eine eigene Baustelle auf dem Hof. Am Neubau sind einige Arbeiter am Werk.

Der Kontrollblick zeigt, an der Halle ist alles in Ordnung. Weingarts nächster Blick geht zur Brücke. „Ein Mercedes-Fahrer ist in Richtung Zeuzleben gefahren“, erzählt er. Doch nach wenigen Sekunden kommt der wieder retour.

Weingart ist am Mittwochnachmittag einer der Ersten an der Unglücksstelle: Wie sich später herausstellen und in Medien in ganz Deutschland berichtet wird, ist ein 40 Meter langes Stück der neu gebauten Autobahnbrücke bei Schraudenbach abgestürzt. Ein Bauarbeiter ist dabei ums Leben gekommen, 15 Menschen wurden zum Teil schwerstverletzt, 14 davon Bauarbeiter. Bei dem Toten handelt es sich laut Polizei Unterfranken um einen 38-jährigen Kroaten.

Ein Arbeiter hing in 5 Metern Höhe

Vor Ort empfängt Weingart ein Bild „wie im Krieg“. Totenstill sei es gewesen, nur 20 Meter über dem Boden rollen die Autos. Metallstreben liegen kreuz und quer auf einem meterhohen Berg. Dazwischen erkennt er Bauarbeiter; schon häufiger ist er an der Baustelle stehen geblieben und hat sich mit dem Vorarbeiter unterhalten. Nach dem Einsturz hängen von oben Stahlverstrebungen herunter – und dazwischen ein Arbeiter, der sich in fünf Metern Höhe verfangen hat, wie später auch die Integrierte Leitstelle bestätigt. „Wir holen sofort Hilfe“, ruft Anton Weingart nach oben. Bevor er überlegen kann, den Mann mit der eigenen Hebebühne zu befreien, sind schon Polizei und Ersthelfer vor Ort.

Rund 300 Einsatzkräfte aus dem ganzen Umkreis werden es am Ende sein, darunter auch die Bergwacht Rhön-Spessart, die den Trümmerhaufen am Abend mithilfe einer Wärmebildkamera nach Verschütteten absucht. Auch Rettungshunde des Bayerischen Roten Kreuzes Bad Kissingen sind im Einsatz. Zahlreiche Politiker, darunter der Schweinfurter Landrat Florian Töpper, dankten den Einsatzkräften für ihr enormes Engagement.

Um kurz nach 16 Uhr ist Weingarts Schwiegertochter Martina gerade mit Tochter Annika in Schweinfurt beim Kieferorthopäden. Noch um 14.15 Uhr sind sie unter der Brücke durchgefahren – wie täglich oft mehrmals. Die Strecke nach Zeuzleben ist Alltag. Trotzdem war man froh, dass die Straße vor herabfallenden Steinen und Werkzeug durch eine Überdachung gesichert war.

Fotoserie

Mutter und Tochter sind zuerst nicht erreichbar

„Wir hatten mehrere Anrufe auf dem Handy“, sagt Martina Weingart. Die Schwiegermutter sucht nach einem Lebenszeichen der beiden – denn am späten Nachmittag ist noch nicht klar, ob es weitere Opfer gibt, die sich zufällig gerade auf der Straße befunden haben. Erst um 17.15 Uhr reagieren Mutter und Tochter auf die Anrufe und erlösen ihre Familie.

Bis zum Mittwochabend haben die rund 300 Rettungskräfte keine Hinweise, dass sich noch weitere Menschen unter dem Schuttberg befinden. Der einzige Verletzte, der nicht zum Baustellentrupp gehört hatte, stellt sich als ein Mann heraus, der auf dem Weg zu einem geeigneten „Aussichtspunkt“ gewesen ist.

Die Kreisstraße 12, die Zeuzleben mit Schraudenbach verbindet, war seit Baustellenbeginn im Sommer 2015 weiter normal befahrbar. Neben der Straße verläuft ein kombinierter Fahrrad- und Fußgängerweg, den viele Anwohner zum Sporttreiben, Gassigehen mit dem Hund oder als Verbindung zwischen den Orten nutzen.

Auch Josef Riedmann läuft hier regelmäßig mit seinen Walking-Stöcken entlang. Der Arnsteiner (Lkr. Main-Spessart) ist am Donnerstagvormittag auch zum Unglücksort gekommen: Wie viele andere, die die Straßensperrung zu Fuß oder mit dem Rad hinter sich lassen, will er sich von der Zeuzlebener Brückenseite aus „ein Bild machen“ vom Unglück.

Am Unglücksort wollen sich Anwohner ein Bild machen

Viel zu sehen gibt es am Donnerstag für Passanten nicht. Auf beiden Seiten der Brücke sichern Polizisten die Unglücksstelle ab. Sichtschutzwände sind aufgestellt. Dahinter sind Sachverständige dabei, nach der Schwachstelle zu suchen, die unter dem Gewicht mehrerer Tausend Tonnen Beton nachgegeben hat. Per Hebebühne begutachten Experten die Abbruchstelle in rund 20 Metern Höhe. Fragen der Reporter lehnen die Vertreter der Autobahndirektion ab. Die Bundesautobahn 7 verbindet Flensburg mit Füssen. Das Interesse an der Hauptverkehrsader ist enorm. Beim Polizeipräsidium Unterfranken „prasseln“ seit Mittwoch bundesweite Medienanfragen ein.

Medien, vor allem Video- und Fotojournalisten aus der ganzen Republik, sind auch am Donnerstag vor Ort. Die Mohnblumen auf den Anhöhen, von denen man die beste Kameraperspektive hat, sind niedergetrampelt.

Auch Rentner Albin Weth aus Wasserlosen (Lkr. Schweinfurt) nimmt die Reste der neu gebauten Brücke aus hundert Metern Entfernung in Augenschein. Am Tag nach dem Unglück rollt der Verkehr über den alten Teil der Brücke, der von dem Einsturz unbeschadet blieb. Nur zwischenzeitlich hatte der Verkehr am Abend wegen Schaulustiger gestockt.

 

Viele hatten Glück

Beim Anblick der Trümmer kommen bei Albin Weth Erinnerungen an seine frühere Arbeit hoch: Jahrzehnte lang war er Betonbauer und auf Baustellen genau wie dieser im Einsatz. Die Werntalbrücke hat er 1966 mitgebaut, ebenso die Saaletalbrücke.

Riedmann und Weth sind sich einig: Die Sicherheitsvorkehrungen auf derlei Großbaustellen können noch so hoch sein, ein Risiko bleibe immer. Albin Weth erinnert sich: Beim Bau der Taubertalbrücke 1968 wurden die Bauarbeiter, darunter er selbst, mit einer zweifelhaften Information begrüßt: „Bei einer Baustelle dieser Größe sterben im Schnitt sechs Menschen.“ Seither sind fast 50 Jahre vergangen. Doch damals wollte er am liebsten wieder kehrtmachen. „Zum Glück sind nicht noch mehr Menschen ums Leben gekommen“, sagt er.

Viele hatten Glück: Als Facebook-Kommentar unter einem Post zum Unglück an der Autobahn berichtet ein Betonfahrer, dass sein Kollege noch Minuten vor dem Einsturz frischen Beton angeliefert habe.

Auch Anton Weingart war noch eine Viertelstunde vor dem Unglück unter der Brücke unterwegs gewesen. Aus Zufall hat er die beschäftigten Bauarbeiter, die er sehen konnte, durchgezählt: Er kam auf 22. Auch ein Zufall, kam er am Mittwoch unbeschadet nach Hause. So, dass er am Donnerstag den 16. Geburtstag seiner Enkelin Annika feiern kann.

Wo einmal ein neues Brückenstück war, hängt jetzt Stahl in die Tiefe.
Foto: Julia Haug | Wo einmal ein neues Brückenstück war, hängt jetzt Stahl in die Tiefe.
 
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