Schreckmoment in München: Die Höflinge dürften pikiert gewesen sein, als sich Marie Friederike von Preußen (16, protestantisch) dem bayerischen Kronprinzen Maximilian von Wittelsbach (30, katholisch) nach dem Aussteigen aus der Kutsche in die Arme geworfen hat. Sowas war 1842 noch ungewöhnlich bei Hochzeiten in königlichen Kreisen. Am 12. Oktober wurde in der Allerheiligen-Hofkirche geheiratet, am 16. Oktober ging es auf die Theresienwiese zum Oktoberfest, wo 35 frisch verheiratete Brautpaare aus acht bayerischen Regierungsbezirken an den künftigen Majestäten vorbeidefilieren durften.
Beim Festzug mit dabei war auch der Vasbühler Johann Pfister, aus dem Königlichen Landgericht Werneck (heute würde man Landkreis sagen). An der Hand führte der "Grundbesitzer" seine Margaretha, geborene Treutlein, aus "Schnackenwörth". Beide trugen die Tracht des Schweinfurter Gaus. Nun durfte eine direkte Nachfahrin der Pfisters, Franziska Schlemmer aus Hainert bei Knetzgau, beim royalen Revival dabei sein: der Hochzeit von Maximilians Nachfahren, Ludwig Prinz von Bayern mit Sophie-Alexandra Evekink, nebst Empfang auf Schloss Nymphenburg.
Auch die Eltern haben in Tracht geheiratet
"Ich hätte nicht gedacht, dass es mich emotional so berührt", sagt die SKF-Mitarbeiterin, Jahrgang 1992, die zusammen mit Jens Wörner auf hochadeligem Parkett unterwegs war. Beide sind Mitglied im "Verein für Heimat und Brauchtumspflege Geldersheim". Immerhin waren die Mehrfach-Urgroßeltern am selben Ort unterwegs, in gleicher Tracht. "Man spürt die Verbundenheit mit den eigenen Wurzeln", sagt Schlemmer.
Anlässlich der Prinzenhochzeit 2023 waren Einladungsschreiben an die bayerischen Trachtengauvorstände verschickt worden. Geldersheim war und ist im unterfränkischen Trachtengau bestens vertreten, so wurde die schöne Geschichte vom Schnackenwerther Brautpaar beim Gastgeber bekannt.
Die Regierungsbezirke hatten 1842 strenge Order erhalten, "dass bei der Auswahl vorzügliche Unbescholtenheit und Reinheit der Sitten als erstes Bedingnis zu betrachten sind". Die handverlesenen Brautpaare sollten die Stämme des Königreichs repräsentieren, "in angemessener würdiger Weise".
In Pferdefuhrwerken fuhren Johannes und Margaretha nebst Begleitern nach Werneck, von dort ging es mit der Kutsche nach Augsburg, auf der zwei Jahre zuvor eröffneten Eisenbahnstrecke Richtung München. Um das bajuwarische Society-Ereignis des Jahres 1842 zu erreichen, brauchten die Franken 34 Stunden. Das Festprogramm war akribisch geregelt, mit sorgfältiger Verteilung der katholischen Paare in der Hofkirche St. Michael. Demnach haben die Pfisters vor dem Altar "Mariä Verkündigung" geheiratet.
Nach dem Oktoberfest-Umzug gab es für alle, die sich getraut hatten, Ring und Medaille. Im Ort seien die Nachfahren dann lange als "Oktobersch" bekannt gewesen, erinnert sich Franziska Schlemmer, deren Großtante Alma die Geschichte der Familie erforscht hat. Trachtentragen ist dort selbstverständlich: "Auch meine Eltern haben in Tracht geheiratet."
Geldersheimer Trachtler standen mit im Spalier
Nach München ist Schlemmer 181 Jahre später mit dem Elektroauto angereist, mit authentischer Werntaltracht aus dem Geldersheimer Vereinsfundus. Früh ging es los. Prinz Ludwig und Sophie-Alexandra fuhren im BMW-Pullman-Oldtimer vor, an der Theatinerkirche standen die Unterfranken mit im Spalier.
Der Sound in der weißen Kirche sei beeindruckend gewesen, schwärmt Schlemmer vom Chor und dem Ave Maria. "Sehr illustre Gäste" hätten sich eingefunden, darunter Markus Söder als heutiger Landesvater nebst Minister Aiwanger, viele Blumenkinder und an die 50 Trachtler. Mit dem Bus ging es von der Residenz zum Empfang im Schlosspark Nymphenburg, wo die Pistazien-Hochzeitstorte angeschnitten wurde.
Auf die ungewöhnliche Tracht seien sie öfters angesprochen worden, berichtet die Pfister-Nachfahrin. Schwarze Lederschuhe, weiße Kniestrümpfe, Kniebundunterhose und Reifrock, roter Unterrock, roter Rock mit Seidenband, grüne Seidenschürze, weiße Bluse, schwarzes Mieder, schwarze Körress-Jacke, Schultertuch, Einlegtuch und Schabbo-Spitzenkragen mussten erstmal angelegt werden, ebenso die schwarze Haube mit Bändern. Nicht fehlen durfte ein Kreuz und ein originaler Rosenkranz mit sechs Gesetzen statt der heute üblichen fünf.
In der Residenz gab es Fotos und ein nettes Gespräch mit dem Bräutigam: Die Franken erklärten dem jungen Wittelsbacher, wie die Reise nach München zustande gekommen ist. Als Erinnerung gab es eine Anstecknadel mit den Initialen des Brautpaars.
Auch wenn Ludwig Ururenkel des letzten Kini Ludwigs III. ist: Mit einer Krönung a la Charles und Camilla rechnet Franziska Schlemmer nicht. Der sozial engagierte Gastgeber offenkundig auch nicht, der sich der Entwicklungshilfe verschrieben hat. Franz von Bayern, das amtierende Familienoberhaupt, soll nicht mal Interesse an der britische Krone hegen, die "Francis II." als Nachfahre der Stuarts (theoretisch) beanspruchen könnte. Charles III. Windsor dürfte es freuen.
