
"Lass uns dort rübergehen", sagt Alexandra Morrison und drückt sich durch eine Menschentraube vor einem Verkaufsstand. Auf dem Tisch einer Händlerin aus Bad Kissingen glitzern Schmuck und Geschirr aus dutzenden Schachteln. "Hier kann man wühlen", sagt Morrison, während sie in eine der Kisten hineingreift. Die gebürtige Werneckerin weiß, wovon sie spricht. Morrison ist eine von tausenden Schnäppchenjägerinnen und -jägern, die am Samstagmorgen nach Schweinfurt auf den Rotkreuzflohmarkt am Volksfestplatz strömen.
Tausende andere sind ihr gefolgt. Einen Tag lang verwandeln die 501 Verkaufsstände, Schnitzel- und Getränkebuden den Volksfestplatz zu einem Mekka für Bummler und Trödel-Liebhaber. Von Plunder über Klamotten bis hin zu alten Spielsachen – alles ist dabei. Flohmärkte faszinieren Morrison schon seit ihrer Kindheit, erzählt sie. Von Leipzig über Paris bis Schweinfurt: Die 46-Jährige kennt alle Hotspots. "Du findest Dinge, die du sonst nirgendwo bekommst."
Sie stellt die Wühlkiste beiseite. Diesmal war nichts dabei. Es sind spezielle Dinge, nach denen sie sucht. Figuren aus Messing, Zinkwannen für den Garten oder ein schönes Glas. Aber auch Unikate und Kuriositäten, die erst auf den zweiten Blick auffallen. In der Regel lasse sie sich treiben, während sie gemütlich von Stand zu Stand schlendere, meint sie. Aber auch das Ausschauhalten nach dem ein oder anderen Wunschobjekt würde sich lohnen. "Wenn du morgens auf den Flohmarkt gehst, weißt du nicht, womit du abends zurückkehrst." Es sei wie eine Jagd, sagt sie.
Die größten Schnäppchen gibt es bei Haushaltsauflösungen
Morrison läuft zu einem größeren Stand mit unzähligen Schichten aufgestapelter Kleider und kitschig wirkendem Schmuck. "Hier wurde garantiert ein Haushalt aufgelöst", sagt sie. Dahinter steht Mika Holzmann. Der 20-Jährige ist heute zusammen mit seiner Freundin aus dem 74 Kilometer entfernten Bad Windsheim nach Schweinfurt gefahren. "Ich bin zum ersten Mal auf einem Flohmarkt", sagt Holzmann. Als im vergangenen Jahr seine Oma starb, seien zahlreiche Sachen von ihr übrig geblieben. "Jetzt versuchen wir etwas davon loszuwerden."

"Je öfter du das machst, desto mehr Gespür bekommst du dafür", erklärt Morrison. Gerade bei Haushaltsauflösungen, so die Expertin, lohne es sich, genauer hinzusehen. "Da machst du die besten Schnäppchen." Dem stimmt Holzmann zu – auch wenn das Feilschen dem jungen Verkäufer noch so einiges abverlangt. Aber es lohnt sich auch für ihn.
Wichtig beim Schlendern durch die Reihen sei es, so Morrison, sich die Stände genau anzusehen. Das Auftreten der Händler verrate viel über deren Sortiment und gebe einen Hinweise darauf, ob Schätze versteckt liegen. Es gibt Händler, die die Spielsachen ihrer Kinder verkaufen. Daneben professionelle Antiquitätenhändler, die ihre Waren auf schönen Samtdecken präsentieren. "Und dann gibt es Tische, die völlig bunt durchmischt sind und alte Erbstücke von Oma und Opa dazwischen stehen", erklärt Morrison. Um nichts zu übersehen, empfiehlt die Expertin immer von beiden Seiten durch den Flohmarkt zu laufen. Beachtet man all das, könne man sich zu einer echten Spürnase entwickeln.

Einen Tisch weiter steht Simone Pfister. Von Müslischüsseln bis Gartentöpfen hat die Stettbacherin einiges dabei. Seit sechs Jahren klappert sie zusammen mit ihren Flohmarktfreundinnen alle Märkte in der Region ab. Der Rotkreuzflohmarkt sei jedoch besonders toll – "weil man viele neue Gesichter kennenlernt". Eben habe sie ein altes Waffeleisen an ein junges Mädchen verkauft. "Die hat sich riesig darüber gefreut." Der Verdienst sei Nebensache. "Man darf das nicht auf den Stundenlohn hier runterrechnen. Du machst das, weil es dir Spaß macht."
Gehen Menschen wie Alexandra Morrison auch zu Ikea? "Ja, natürlich", sagt sie. "Wenn du zu mir nach Hause kommst, würdest du kein Antiquariat vorfinden. Eher einen Mix zwischen Altem und Neuem." Oder wie Kennerinnen und Kenner sagen: "Shabby Chic" (schäbig Chic). Am Ende müsse alles einfach nur zueinander passen, so Morrison. "Flohmarkt bedeutet für mich auch, die Umwelt zu schützen." Man müsse nicht alles neu kaufen. Ein gutes Beispiel dafür seien Spielsachen oder Klamotten für Kinder. Vieles davon sei meist wenig benutzt und mit einer Wäsche fast wie neu.
Außerdem habe jedes Teil seine eigene Geschichte. Einen ihrer schönsten Funde entdeckte die 46-Jährige auf einem Flohmarkt in Frankreich. "Da habe ich alte Briefe aus dem Jahr 1790 ergattert, die jetzt gerahmt in meiner Wohnung hängen." Die Flohmärkte sind für die 46-Jährige auch eine Art Ausgleich zum sonst eher digital geprägten Alltag. Morrison ist selbstständig und arbeitet mit ihrem Mann zusammen in einer IT-Firma, die unter anderem mit Kryptowährung handelt. Dennoch haben Flohmärkte auch ihre Schattenseiten. Seit Corona habe sich einiges verändert, erklärt Morrison. "Ich habe den Eindruck, dass es wegen der Krisen mehr Menschen gibt, die hier einkaufen müssen."
BRK ist auf Einnahmen angewiesen
Zwei, die sich über den gestiegenen Zustrom an Besucherinnen und Besuchern freuen, sind Thomas Lindörfer und Friedel Tellert vom Rot-Kreuz-Kreisverband Schweinfurt, die den Flohmarkt seit 20 Jahren ausrichten. Als ehrenamtliche Organisation sei das Bayerische Rote Kreuz (BRK) dringend auf die Einnahmen aus dem Erlös der Standgebühren und dem Essensverkauf angewiesen, erklärt Lindörfer. "Derzeit sind wir dabei, unsere Bekleidung aus Sicherheitsgründen auszutauschen", sagt Lindörfer.

Allein für den Austausch der Hosen aller 700 ehrenamtlich tätigen Mitglieder des BRK Schweinfurt fallen Kosten von zirka 56.000 Euro an, die gestemmt werden müssen. Wegen der Pandemie musste der Markt drei Jahre lang aussetzen. Die rund 3000 Bratwürste, die während des Großereignisses über die Verkaufstheken gehen, seien da zumindest schon mal ein Anfang.
Auch für Morrison hat sich der Tag gelohnt. Neben mehreren Einmachgläsern hat die 46-Jährige einen dreiteiligen Romanband und eine Eulenfigur aus Messing ergattert.