Egal ob St. Tropez oder St. Moritz: "Gentleman-Playboy" Gunter Sachs war mal in ganz Europa zuhause. "Was geht mich Europa an?" durfte sich der einfache Schweinfurter fragen, beim Bürgerdialog in der Rathausdiele, auf Einladung von Auswärtigem Amt und Europa-Union. Das Diskussionsforum konkurrierte direkt mit der Eröffnung der Sachs-Fotoausstellung in der Kunsthalle.
Mit knapp 30 Besuchern war nur ein "harter Kern" anwesend. Den Glamour-Faktor hat die Europapolitik derzeit nicht auf ihrer Seite, was auch am Brexit liegen mag. Mit dem befasste sich, ebenfalls zeitgleich, das "House of Commons" in London. Somit bot der Bürgerdialog ein aktuelles Stimmungsbild, hochkarätig besetzt mit Christoph Wolfrum, krisen- und publikumserprobter Leiter des Europastabs im Auswärtigen Amt. Zwischendurch blickte Christian "Blacky" Schwarz, als ähnlich gelassener Moderator, aufs Smartphone und teilte mit, dass das Unterhaus einen Aufschub des EU-Ausstiegs wolle.
Zitterpartie mit England geht in die Verlängerung
Die Zitterpartie mit England geht in die Verlängerung, bei der sich nun, wie beim Wembley-Tor, die Frage stellt: "drinnen" oder "draußen"? Joachim Kress hatte als Kreisvorsitzender der Europa-Union begrüßt, "eine Bürgerinitiative, die sich für ein geeintes Europa einsetzt". Ebenso für eine Beteiligung an der Europawahl am 26. Mai. Für Wolfrum ist die Mission in Franken ein Heimspiel: Der Außenamts-Mitarbeiter stammt aus Würzburg. "Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem zweiten Referendum kommt, ist ein klein bisschen gestiegen", vermutet der Gast. Durch den Brexit hätten viele Menschen gemerkt, wie die EU in alle Lebensbereiche hineinwirke (weit jenseits der Gurkenkrümmung). Man müsse den Ausstieg so gestalten, dass er möglichst wenig Schaden bei den Bürgern anrichte. Oder eine Notfallregelung treffen, falls kein Abkommen zustande kommt.
Sicherlich sei auf der Insel viel Geld für eine Austrittskampagne geflossen, antwortet Wolfrum auf Erich Endres, der nach Milliardärsinteressen fragt. Das Problem gehe aber tiefer. Ein britischer Diplomat habe ihm das erklärt, als er Rechtsreferendar an der Londoner Botschaft war. Für die Deutschen brächte "Europa" eine Vergrößerung, auch ideell.
Spaltung der britischen Gesellschaft
Für die Briten, mit dem Commonwealth, bedeute die europäische Perspektive eine Verkleinerung. Wirtschaftliche Interessen hätten beim Beitritt im Vordergrund gestanden. Das größte Problem heute: "Die Spaltung der britischen Gesellschaft." Arm, reich, jung, alt, Stadt, Land, all das spiele eine Rolle: "Die Parteien können ihre Wähler nicht mehr einen."
Am Main sind die Gefühle gemischt. Wolfrum hat rote Nein- und grüne Ja-Karten verteilt, testet die Stimmung. "Tut die EU genug für Schweinfurt?" Hier überwiegt das Nein. Dass tatsächlich Millionen Euro an Fördergeldern geflossen sind, dessen ist sich auch Radiomann Christian Schwarz bewusst. Überregulierung? Hier scheint die Meinung ausgeglichen. Ein Hammelburger beschwert sich, dass durch europaweite Ausschreibung viele Dienstleister ihre Arbeit verloren hätten. Holger Schmitt von der Europa-Union sieht ebenfalls die Furcht vor Billigkonkurrenz.
Eine Haßfurterin fordert, nicht nur wirtschaftlich zu denken. "Die EU hat das Image, ein neoliberales Projekt zu sein", sagt der Experte aus dem Maas-Ministerium. Im Gegenteil müsse sie Garant dafür sein, dass ihre Mitglieder in der globalisierten Wirtschaft bestehen können. In Brüssel würden Lobbyisten registriert, in Berlin nicht. Neun der zwölf wichtigsten Handelspartner Deutschlands seien EU-Mitglieder. Nur: "Wir brauchen eine soziale Komponente." Es gebe bereits Arbeitnehmer-Freizügigkeit oder die Debatte um den europäischen Mindestlohn.
Warum keine gemeinsame Außenpolitik?
"Wir haben keine gemeinsame Außenpolitik", beklagt Paul Heuler, Vizelandrat a.D. Der ehemalige Wernecker Bürgermeister hat in Zeuzleben mal mit einem Fässchen geworben, für die erste Europawahl 1979. Heutzutage würden sicher weniger Menschen mitfeiern. Man brauche in der Außenpolitik mehr Mehrheitsentscheidungen, statt Zwang zur Einstimmigkeit, schlussfolgert Wolfrum. Die Mitgliedsstaaten hätten auf der internationalen Bühne alleine keine Chance mehr, gegenüber China, den USA, Russland. Eine Europäische Armee fände im Saal überwältigende Zustimmung. "Ein dickes Brett", sagt der gelernte Jurist.
Kurt Vogel sieht das Verhalten der einstigen Kolonialmächte als Problem, mit willkürlicher Grenzziehung in Syrien oder Afrika. Wolfrum antwortet diplomatisch: "Das lassen wir einfach so stehen." Ein Ukraine-Reisender beschwert sich emotional über zwölf Stunden Abfertigung an der polnischen Grenze. Es brauche die gemeinsame Außensicherung, findet Wolfrum, die Grenzschutztruppe Frontex werde aufgestockt. Der "Bundesstaat Europa" wird im Rathaus eher abgelehnt. Ein Besucher glaubt, dass dies keine Ja/Nein-Frage sei. Die Nationalstaaten könnten nicht für immer "in der eigenen Suppe paddeln".
Mit der EU ("das modernste, fortschrittlichste Modell der Zusammenarbeit zwischen Staaten") sei es wie mit dem Fliegen, formuliert es der Mann vom Außenamt. Jahrhundertelang hätte man davon geträumt: "Nun beschwert man sich, dass die Sitze zu eng sind". Man sollte die Möglichkeiten des EU-Parlaments nicht unterschätzen. Eine 18 Jahre junge, angehende Europasekretärin wünscht sich, dass die Jugend besser in den Diskurs einbezogen wird.
Dies sei auch eine Aufgabe der Schulen, sagt Christoph Wolfrum. Holger Schmitt erinnert an die "Fridays for Future"-Proteste. Die EU habe eine Klimaschutzstrategie, sagt Wolfrum, aber: "Die Umsetzung ist nicht nur eine europäische Sache." Fazit zur Rathausdebatte: "Das Thema Europa rockt." Wenn kritische Stimmen nur schwer Gehör gefunden haben, dann wegen der Akkustik im historischen Gebäude. Am Ende lädt das Auswärtige Amt zum Buffet.