
Stadt- und Gemeinderatssitzungen sind in weiten Teilen öffentlich. Wer sich für die dort behandelten Themen und die gefassten Beschlüsse interessiert, kann diesen als Zuhörer beiwohnen. Wer hierzu keine Zeit und Lust hat, ist auf die Berichterstattung in der Lokalpresse angewiesen – falls nicht die Kommune selbst Niederschriften der Sitzungen veröffentlicht, vorzugsweise im jedermann zugänglichen Internet. Im Raum Gerolzhofen bieten erst zwei Gemeinden ihren Einwohnern diesen Service an.
Dass diese sehr bequeme Form des Zugangs aus mehreren Gründen nicht ganz unproblematisch ist, durften die Mitglieder des Gerolzhöfer Stadtrats Anfang Dezember erfahren. Damals hatte das Gremium sich zwar einstimmig, wie berichtet, dafür ausgesprochen, künftig Niederschriften der Stadtratssitzungen auf der Webseite der Stadt zu veröffentlichen. Doch Verwaltungsleiter Johannes Lang hatte auch auf Fallstricke verwiesen, die damit verbunden sein könnten.
Zweifel des Datenschutzbeauftragten
In erster Linie geht es dabei um Fragen des Datenschutzes. Ist das Veröffentlichen von Sitzungsprotokollen im Internet, die dort weltweit, jederzeit und ohne viel Aufwand auch noch viele Jahre, nachdem Dokumente auf Webseiten womöglich gelöscht wurden, auffindbar sind, tatsächlich rechtskonform? Zumindest der bayerische Landesbeauftragte für Datenschutz, Professor Thomas Petri, äußert hier seit Jahren seine Zweifel.
Auf seiner Webseite führt er speziell zur Veröffentlichung von Niederschriften aus Gemeinderatssitzungen aus, "dass bei einer Veröffentlichung im Internet weltweit eine automatisierte Auswertung der Niederschriften nach verschiedenen Suchkriterien, die beliebig miteinander verknüpft werden können, möglich ist". Dies sei insoweit problematisch, als auf diese Weise ohne großen Aufwand etwa Anwesenheitsprofile einzelner Gemeinderatsmitglieder erstellt werden könnten. Dritte könnten auch personenbezogene Daten von Antragstellern sammeln und auswerten – viel leichter, als dies bisher über Veröffentlichungen in herkömmlichen, gedruckten Medien der Fall war. "Dies zeigt", schreibt der oberste bayerische Datenschützer, "dass die Veröffentlichung im Internet mit einer neuen Qualitätsstufe des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verbunden ist."
Bürgermeister ist sich des Risikos bewusst
Diese Problematik kennt Kolitzheims Bürgermeister Horst Herbert. Dennoch hat sich sein Gemeinderat schon vor rund 15 Jahren dazu entschlossen, Gemeinderatsprotokolle auf der Webseite der Gemeinde zu veröffentlichen, weit bevor andere Gemeinden in der Region überhaupt an einen solchen Schritt gedacht haben. Die veröffentlichten Niederschriften enthielten nur den Beschluss des Gemeinderats zu den einzelnen Tagesordnungspunkten, nicht jedoch den genauen Sachverhalt, der diesem zugrunde liegt, erklärt der Bürgermeister. "Wir wissen jedoch, dass wir uns damit in einer Grauzone bewegen und ein gewisses Risiko eingehen." Bislang habe dieses Vorgehen jedoch niemand beanstandet.
Für Herbert ist die Bereitstellung der Protokolle – die übrigens nach etwa einem Jahr auf der Webseite wieder gelöscht werden – nur konsequent, denn die Gemeinde veröffentliche diese "seit Jahrzehnten" auch im wöchentlich erscheinenden Amtsblatt. Und dieses wird ebenfalls im Internet bereitgestellt. Warum also nicht auch die Protokolle an sich?
Protokoll innerhalb einer Woche online
An Aktualität ist die Gemeinde dabei fast nicht zu übertreffen: Der Gemeinderat tagt normalerweise alle zwei Wochen am Dienstag. Tags darauf beginnt eine Verwaltungskraft, das Protokoll zu erstellen, das meist bis Freitag dem Bürgermeister zur Unterschrift vorliegt. Am folgenden Montag wird dann die Einladung zur nächsten Gemeinderatssitzung verschickt, und spätestens mit dieser auch das Protokoll der vorangegangenen Sitzung, das ab da auch online einsehbar ist.
Ganz so schnell ist die Gemeinde Frankenwinheim nicht – dort ist aktuell das jüngste abrufbare Protokoll das von der Dezember-Sitzung. Doch immerhin veröffentlicht diese nach Auskunft von Bürgermeister Herbert Fröhlich seit etwa einem Jahr ebenfalls Sitzungsniederschriften. Diese enthalten keine Namen (diese werden nur auf ausdrücklichen Wunsch aufgenommen) und nur den groben Sachverhalt zu den behandelten Punkten. Dies entspricht der Form, in der die Niederschriften auch in gedruckter Form nachlesbar sind. "Das ist bislang durchaus gut angekommen", lautet das erste Resümee des Bürgermeisters.
Sitzungstermine fehlen mancherorts
Auf der zum Jahreswechsel an den Start gegangenen überarbeiteten Webseite der Gemeinde ist jetzt auch die Tagesordnung der kommenden Gemeinderatssitzung abrufbar, normalerweise fünf Tage vor deren Termin, wenn diese auch verschickt wird. Auch in diesem Punkt ist Frankenwinheim anderen Gemeinden im Umkreis voraus, die auf ihren Webseiten teilweise noch nicht einmal zuverlässig die anstehenden Sitzungstermine ihrer Gemeinderäte bekanntgeben, geschweige denn die anstehende Tagesordnung. Allein Kolitzheim hat bereits alle Sitzungstermine für dieses Jahr online. Die Stadt Gerolzhofen immerhin bis zur Sommerpause.
Um an dieser Stelle eines klarzustellen: Städte und Gemeinden, die Sitzungsniederschriften der Gremien nicht online veröffentlichen, verstoßen gegen keinerlei Recht. Im Gegenteil, sie gehen möglichen datenschutzrechtlichen Fragen (siehe oben) aus dem Weg und halten sich streng an die Vorgaben der in Bayern geltenden Gemeindeordnung, die in Artikel 54 nicht nur festlegt, dass öffentliche Gemeinderatssitzungen allen Gemeindebürgern frei zugänglich sein müssen. Zur Einsichtnahme von Niederschriften ist dort weiter lediglich vorgeschrieben, dass diese allen Gemeindebürgern (also keinen Auswärtigen) freistehe.
Einsichtnahme vor Ort reicht aus
In welcher Form eine Gemeinde die mögliche Einsichtnahme sicherstellt, entscheidet sie im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts selbst, hat das bayerische Innenministerium im November 2017 in einer Antwort auf die Anfrage einer Landtagsabgeordneten nochmals klargemacht. Keine Stadt oder Gemeinde sei verpflichtet, Sitzungsprotokolle zu veröffentlichen, solange den Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise in Form einer Sprechstunde in der Gemeindeverwaltung die persönliche Einsichtnahme vor Ort möglich sei. Das genügt.
Allerdings heißt es in der Antwort des Innenministeriums auch: "Die Entscheidung, ob Niederschriften im Internet veröffentlicht oder den Bürgern per E-Mail zugestellt werden sollen, liegt (...) beim Gemeinderat." Jedoch seien Vorkehrungen zu treffen, um den Datenschutz sicherzustellen, etwa durch das Anonymisieren von Namen.
Eine lupenreine Richtschnur ist dies sicherlich nicht. So stellt auch Datenschutzbeauftragter Petri in einem im Jahr 2018 veröffentlichten Beitrag fest: "Ob und in welchem Umfang Sitzungsprotokolle des Gemeinderats im Internet veröffentlicht werden dürfen, hat der Gesetzgeber bisher nicht ausdrücklich geregelt." Diese Aussage gilt bis heute.
Gemeinden haben Thema auf dem Schirm
Mehrere Bürgermeister von Gemeinden aus dem Gebiet der Verwaltungsgemeinschaft (VG) Gerolzhofen erklären auf Nachfrage dieser Redaktion, dass in ihren Gemeinden derzeit überlegt werde, wie und in welcher Form demnächst Sitzungsprotokolle online veröffentlicht werden können. Sie verknüpfen dies mit dem Ergebnis einer aktuellen Überprüfung der IT-Sicherheit auf Ebene der VG. Dies dürfte aber noch mindestens das laufende Jahr dauern.
Ein einheitliches Vorgehen aller VG-Gemeinden ist nicht zu erwarten. Denn beispielsweise Oberschwarzachs Bürgermeister Manfred Schötz meint, dass der Marktgemeinderat aktuell keine Veröffentlichung von Protokollen plane. Die Gemeinde Sulzheim hingegen wartet nicht auf ein Ergebnis der IT-Sicherheitsprüfung auf VG-Ebene. Auf deren Webseite soll es laut Bürgermeister Jürgen Schwab schon bis Ende Februar Gemeinderatsprotokolle zum Nachlesen geben – was bereits vor Jahren ein Thema im Gemeinderat war und von Bürgern auch mehrfach eingefordert worden war.
Seit Jahren weigert sich der bayerische Gesetzgeber (Landtagsmehrheit) ein Gesetz zur Informationfreiheit zu verabschieden oder die fast 70 Jahre geltenden restrikitiven Bestimmungen der bayerischen Gemeindeordnung (GO) zu ändern.
Wie einfach das in der GO wäre, zeigt ein Blick über den Gartenzaun nach Baden-Württemberg, siehe https://www.landesrecht-bw.de/jportal/?quelle=jlink&docid=jlr-GemOBWV20P41b&psml=bsbawueprod.psml&max=true.
“Mia san mia”