
Klausuren korrigieren, Noten ausrechnen, das fällt für Benedikt Friedrich heuer aus. Der Lehrer am Alexander-von-Humboldt-Gymnasium muss jedoch auch auf die Ferien verzichten. Dafür erhält er Urlaub. Urlaub von ZF, wo er seit 1. September für ein Jahr lang beschäftigt ist.
Er ist einer von zehn Lehrern in Bayern, die in diesem Schuljahr vom Unterricht freigestellt sind und am bundesweit einmaligen Projekt „Lehrer in der Wirtschaft“ teilnehmen. Der 34-Jährige gibt Mathematik und Physik und so war es für ihn naheliegend, sich bei ZF zu bewerben, das Unternehmen kannte er nämlich aus zwei anderen Projekten, nämlich „Formel 1 in der Schule“, wo AvH-Schüler bei der Konstruktion eines Rennwagens deutschlandweit siegten, und der „Junior Ingenieur Akademie“.
Träger von „Lehrer in der Wirtschaft“ sind das Bildungswerk der Bayerischen Wirtschaft und das Kultusministerium, die sich seit Jahren auf vielfältige Weise bemühen, Schulen und Betriebe einander näher zu bringen, das gegenseitige Verständnis nachhaltig zu fördern. Gut 100 Lehrer haben sich in diesem Schuljahr für das Projekt gemeldet, von denen das Kultusministerium zehn ausgewählt hat. Diese mussten sich anschließend bei den Betrieben bewerben.
Jeden Tag etwas Neues lernen
„Ich wollte einfach wissen, wie es in der Industrie zugeht“, umreißt Friedrich seine Motive. Was ich als Lehrer in Physik als theoretischen Stoff lehre, sehe ich hier angewandt in der Praxis.“ Auf die beliebte Schülerfrage „Wozu brauche ich das später?“ kann Friedrich künftig in vielen Fällen ganz konkret antworten. „Ich lerne jeden Tag etwas Neues und kann das Projekt nur jedem Lehrer weiterempfehlen.“
Nach einer kurzen Anlaufphase wurde er im Zentrallabor von ZF in die Teams integriert. So hat er mit Kollegen an einem Röntgendiffraktometer die inneren Spannungen von Materialien und Werkteilen untersucht. Er bekommt Aufgaben zugeteilt, die er durchaus auch selbstständig lösen muss.
Schon fünf Absolventen
Im Zentrallabor, wo 70 Mitarbeiter beschäftigt sind, durchläuft der Kollege auf Zeit drei der sieben Bereiche. „Er hat keinen besonderen Status, er ist ein ganz normaler Mitarbeiter“, sagt der Leiter des Labors, Dr. Victor Gonzalez. Der Spanier ist sofort angesprungen, als ihn Personalleiter Marcus Griek vor fünf Jahren auf das Projekt ansprach. Inzwischen ist bereits der fünfte Lehrer bei ZF. Und dies nicht nur im Zentrallabor: Einer arbeitete im Projektmanagement, ein Sozialkunde-Lehrer lernte die Arbeit eines Betriebsrates hautnah kennen.
Griek sieht ZF als größten Arbeitgeber der Region, in der Pflicht, sich auch in den Schulen zu engagieren. Dabei spricht er jedoch von einer Win-Win-Situation. Mit den Lehrern komme frischer Wind ins Unternehmen. „Wir sind am Puls der Zeit, sehen, was in den Schulen läuft“. Natürlich denke man auch daran, sich als Arbeitgeber attraktiv zu zeigen. Das Unternehmen profitiere zudem von den didaktischen Fähigkeiten der Lehrer, übernehme einiges für die eigene Ausbildung.
Erfahrungen weitergeben
Für Friedrich ist Ende August „Lehrer in der Wirtschaft“ noch nicht beendet. Ein weiteres Jahr lang wird er auf der Basis der bei ZF gewonnenen Eindrücke ein Oberstufenprojekt leiten. Und er wird seine Erfahrungen an die Kollegen weitergeben, sagt Frank Bayer, der in der erweiterten Schulleitung für die MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) zuständig ist. Das Interesse der Kollegen zu Kontakten mit Unternehmen sei sehr groß, da ließen sich die von Friedrich geschaffenen Verbindungen gut nutzen.
Die zehn Teilnehmer bei „Lehrer in der Wirtschaft“ kommen im Laufe des einen Jahres auch immer wieder zusammen, tauschen sich aus, stellen die Betriebe vor, in denen sie tätig sein. Treffen gibt es auf Einladung des Bildungswerkes auch auf der Ebene der Schulleitungen. Dass sich für das Projekt nur Lehrer melden, die sich auch sonst über den Unterricht hinaus engagieren, sei die durchgängige Einschätzung, erklärt Bayer.
Schule oder Betrieb, was ist anstrengender? Friedrich spricht von unterschiedlichen Belastungen, sieht in der Schule öfter Spitzen, beispielsweise vor der Zeugnisausgabe oder dem Abitur. In den Unternehmen sei Vieles klarer geregelt. Ganz persönlich nimmt er die Erkenntnis mit, wie wichtig Pausen sind. In der Schule gebe es eigentlich keine Pausen, weil er als Lehrer immer angesprochen wird. Das soll sich künftig ändern. Notfalls will er in der Pause einfach ums Schulgelände laufen.