Seitdem sie weiß, dass sie ihren Platz verlieren wird, weint sie jede Woche im Sprechzimmer der PIA in Schweinfurt. Elena B. (Name von der Redaktion geändert) hat sich immer penibelst an die Regeln gehalten. Sie wollte sich keinen Verstoß in der Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA) zuschulden kommen lassen. Kein Rückfall, kein Zuspätkommen beim wöchentlichen Besuch, stattdessen frühzeitiges Abmelden, wenn sie einen Termin nicht einhalten kann. „Ich dachte, so bin ich sicher, dass ich bleiben kann.“ Jetzt hat sie das Gefühl, dass sie für ihr tadelloses Verhalten bestraft wird, erzählt sie. Denn einen Ausweg hat die junge Frau bisher nicht. Zum 1. Juli hat ihr die PIA ihren Behandlungsplatz gekündigt.
Was ist passiert? Elena B. nimmt seit rund fünf Jahren Methadon als Ersatzstoff für ihre Heroinabhängigkeit. Seitdem die PIA im Juli 2012 im Iduna-Hochhaus in Schweinfurt als Außenstelle des Bezirkskrankenhauses Werneck eröffnet wurde, ist die junge Frau dort in Behandlung – wie viele Drogenabhängige mit substitutionsbasierter Therapie aus Schweinfurt und Umland. Einmal pro Woche geht Elena B. in die PIA. Weil sie zumindest bis vor kurzem eine Arbeit hatte, kriegt sie „Take-Home“.
Im Jargon bedeutet das, sie bekommt ein Rezept, das ihr Ersatzstoff für die tägliche Dosis einer ganzen Woche sichert. Nur beim wöchentlichen Besuch trinkt sie das Methadon vor Ort, einmal im Monat muss sie zusätzlich unangekündigt im Beisein der Schwester eine Urinprobe abgeben – damit Nebenkonsum ausgeschlossen wird.
Nach Jahren der vermeintlichen Routine dann der Schock: Mitte Februar wurde Elena B. und anderen Patienten mitgeteilt, „dass sie sich bis spätestens zum 1.7.2016 einen niedergelassenen Substitutionsarzt suchen sollten“ – mit diesen Worten bestätigt das auf Anfrage auch Markus Mauritz, Sprecher des für die PIA verantwortlichen Bezirks Unterfranken. Die Entlassung betreffe jedoch „nach derzeitigem Stand nur sehr vereinzelte Personen“, heißt es in der schriftlichen Stellungnahme. In Patientenkreisen ist die Rede von zweistelligen Zahlen. Schuld sind dem Bezirk zufolge „Zeiten personeller Fluktuationen im ärztlichen Bereich“. Leichtere Fälle müssten demnach auf die Hilfe der PIA verzichten.
Bezirk sieht keinen Engpass
Die Kassenärztliche Vereinigung (KVB), die für die ausreichende Verteilung von Ärzten verantwortlich ist, nimmt auf Anfrage nur über die Münchner Pressestelle Stellung: Sie weiß nichts von einem Engpass in Schweinfurt. Bezirkssprecher Markus Mauritz erklärt, warum: „Bisher haben wir die KVB nicht informiert, da uns die Versorgung unserer Patienten ausreichend gesichert erscheint.“ Er gesteht ein, dass Patienten aus Schweinfurt gezwungen seien, „zunehmend z.T. sehr weite Wegstrecken zu ihrem Substitutionsarzt in Kauf zu nehmen“.
Dabei hatten Elena B. und andere Schweinfurter mit Drogenproblem gehofft, mit der Eröffnung der PIA sei die alte Lücke dauerhaft geschlossen: Im Sommer 2012 hatte Dr. Richard Zepf, der schon länger nur noch in seiner regulär geschlossenen Praxis die Substitutionstherapie angeboten hatte, endgültig aufgehört. Damit verloren mindestens 80 Patienten ihren Anlaufpunkt.
Wie viele Opiatabhängige die PIA derzeit substitutionsgestützt behandelt, benennt Bezirkssprecher Mauritz nicht. Die Patientenzahlen „schwanken ständig, daher können wir hier keine belastbaren Zahlen nennen“.
Zur Absage hat Elena B. drei Din-A-4-Seiten mit laut Mauritz „aktuell substituierenden Ärzten“ an die Hand bekommen. 37 Kontaktadressen stehen darauf, darunter auch die PIA selbst. Als einzige Alternative in Schweinfurt wird Dr. René Lutz gelistet. Bei ihm hat es Elena B. als erstes probiert und festgestellt: „Der nimmt keinen mehr.“
Zugfahrt ist teuer und alltagsfern
Der Rest der vermeintlichen Alternativen liegt im Bereich Kissingen/Bischofsheim/Neustadt, in Haßfurt/Bamberg/Coburg, in Nürnberg/Erlangen/Fürth/Neumarkt, in Würzburg, Aschaffenburg oder Coburg/Bayreuth. Elena B., die kein Auto hat, kann sich die Zugfahrt finanziell nicht leisten. Dazu kommt: Nur wenige niedergelassene Ärzte haben auch am Wochenende Sprechstunde. Für die erste Zeit müsste sie, weil neu, tagtäglich persönlich erscheinen. An eine neue Arbeit ist nicht zu denken.
Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Marlene Mortler ließ indes erst im Februar verlauten: „Ich möchte, dass in Zukunft noch mehr Abhängige einen Zugang zu Methadon und anderen Substituten erhalten, gerade auch in den ländlichen Räumen.“ Mortler strebt laut Presseerklärung eine umfassende Reform des Substitutionsrechts an, damit künftig mehr niedergelassene Ärzte bereit sind, Drogenabhängige zu behandeln. Ärzte, die Opiatabhängige mit Methadon behandeln, müssen über die Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ verfügen. Doch bisher gibt es wegen rechtlicher Fallstricke zu wenige, die die Substitutionstherapie anbieten.
Substitutionstherapie
Methadon ist ein synthetisches Opioid, das als Ersatzmittel für Heroin eingesetzt wird. Es hat ebenso wie Morphin und Heroin eine stark schmerzmindernde Wirkung – ohne starke Rauschzustände zu erzeugen. Andere Drogenersatzstoffe sind Subutex oder Polamidon.
Bei Heroinabhängigkeit kann Methadon die Entzugssymptome lindern, macht aber ebenso abhängig, wenn es über einen längeren Zeitraum verabreicht wird. Daher wird die Dosis schrittweise verringert. Methadon wird, anders als Heroin, geschluckt. Wegen des unangenehmen Geschmacks wird es meist mit Orangensaft vermischt. Im Vergleich zum Spritzen setzt die Wirkung von Methadon erst später ein (30 bis 60 Minuten), hält dann aber auch länger an.
Die Methadonsubstitution wird in Deutschland seit 1993 angeboten. Ärzte, die Opiatabhängige behandeln, müssen über die Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ verfügen. Die umfasst einen 50-stündigen Kurs mit den Themen Vorbeugung, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation. Quelle: suchtmittel e.V., KVB