Methadon ist im Jahr 2005 von der Weltgesundheitsorganisation in die Liste der „unentbehrlichen Arzneimittel" aufgenommen worden. Es wird bei der Therapie Heroinabhängiger als „Ersatzdroge“ verabreicht. In Schweinfurt sind das derzeit 160 Patienten. Ende des Jahres stand ihre Versorgung auf der Kippe. Der sie betreuende Arzt wollte in den Ruhestand gehen. Auf Bitten der Stadt hängt er jetzt noch ein halbes Jahr an. In diesem Zusammenhang erheben Oberbürgermeister Sebastian Remelé und sein Sozialreferent Jürgen Montag schwere Vorwürfe gegen die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB), die das Problem zwar kenne, aber nicht handele.
In der Septemberausgabe des KVB-Forums setzen sich die Kassenärzte sehr detailliert mit der Methadonsubstitution auseinander und verweisen darauf, dass es vor allem im ländlichen Raum immer schwerer werde, Ärzte zu finden, die sich daran beteiligen. Es gebe Berührungsängste bei der Bevölkerung, die auch durch das Verhalten einzelner Drogenabhängiger in den Wartezimmern verstärkt werde. Zudem erfolge die Abgabe von Methadon mit wenigen Ausnahmen täglich, also auch an den Wochenenden und an Feiertagen. Dabei muss die Einnahme penibel überwacht werden, zudem müssen die Patienten unter Aufsicht Urinproben abgeben.
Knochenjob
Von einem Knochenjob spricht darum der Leiter des Schweinfurter Gesundheitsamtes, Dr. Werner Arnholdt, und verweist darauf, dass viele Süchtige, um einen Kick zu bekommen, parallel Alkohol oder andere Medikamente zu sich nehmen. „Wenn dann was passiert, steht der Arzt mit einem Bein im Gefängnis.“
Auf einer Landkarte der KVB wurden die Regionen mit den größten Lücken in der Methadonversorgung rot eingefärbt. Im westlichen Nordbayern sind das Schweinfurt Stadt und Land. Hier verabreicht Dr. Richard Zepf in seiner eigentlich schon geschlossenen Praxis im Fischerrain (sie ist im Telefonbuch schon nicht mehr zu finden) tagtäglich zwischen 12 und 13 Uhr die Drogenersatzstoffe Methadon, Subutex und Polamidon. Um dies überhaupt aufrechtzuerhalten, wird er vom Leopoldina Krankenhaus und der Stadt (über die SWG) finanziell unterstützt.
In Schweinfurt leben rund 400 Drogenabhängige „im harten Sinn“ sagt Sozialreferent Montag. Davon seien rund 80 in einem Methadonprogramm. In letzter Zeit sei deren Zahl jedoch auf 160 angestiegen, wohl auch weil Patienten aus dem Würzburger Raum nach Schweinfurt kämen.
Seit dem Sommer 2009 habe man die KVB wiederholt auf die Schließung der Praxis Dr. Zepf hingewiesen und eine dauerhafte Lösung angemahnt. Bislang ohne Erfolg. OB Remelé kritisiert vor allem, immer wieder vertröstet worden zu sein, er habe bei der KVB lange keinen Ansprechpartner gefunden. Selbst als er mit einigen ihrer Vertreter im Rathaus zusammengesessen habe, sei es zu keinen greifbaren Ergebnissen gekommen.
Dabei sei die Stadt für das Problem gar nicht zuständig. Die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung sei ureigenste Aufgabe der KVB, sagt Remelé. Die Stadt handele jedoch schon aus ihrer Verantwortung der Bevölkerung gegenüber, Stichwort Beschaffungskriminalität.
Ende letzten Jahres zeichnete sich eine Lösung ab. Der Bezirk erklärte sich bereit, in Schweinfurt eine Ambulanz einzurichten, die die Versorgung mit Methadon übernehmen sollte. Dazu benötigt sie jedoch eine Zulassung der KVB, über die der sogenannte Zulassungsausschuss, ein sechsköpfiges paritätisch aus Ärzten und Kassen besetztes Gremium, am 7. Dezember entscheiden sollte. Er soll dafür sorgen, dass die ärztliche Versorgung flächendeckend gesichert ist, dass jedoch auch keine Überkapazitäten entstehen. Und dieser Ausschuss hat den Antrag des Bezirks abgelehnt, wie dieser erst kurz vor Weihnachten erfuhr, so dass Rainer Klingert, der für die Bezirkskrankenhäuser zuständig ist, noch nicht sagen kann, ob er gegen den Bescheid Widerspruch einlegt oder einen veränderten Antrag stellt.
Einer der Ablehnungsgründe ist der Verweis, darauf, dass der Bezirk in Werneck, also 15 Kilometer von Schweinfurt entfernt, ja eine psychiatrische Einrichtung habe. Ein Hinweis, der die Fachleute nur den Kopf schütteln lässt. Drogenabhängige hätten in der Regel keinen Führerschein und die Erreichbarkeit Werneck mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei unzureichend, sagt Ilse Bieniek, die Leiterin der Suchtberatung der Diakonie. Viele der Drogenabhängigen gingen ja auch zur Arbeit.
Darauf weist auch der Sprecher einer Gruppe von 150 heroinsüchtigen Patienten in einem Brief an Montag hin. „Wir haben Angst, dass wir, wie schon einmal ab dem 1. Juli 2010 geschehen, wieder ohne ambulante Therapiemöglichkeit dastehen. Damals mussten wir uns Substitutionsärzte in Würzburg, Haßfurt, Hofheim, Knetzgau, Oberthulba und Bad Brückenau suchen. Manche haben auch nach längerem Betteln keinen Arzt gefunden und sind wieder in den Heroinabusus zurückgefallen.“ Auch seien einige rückfällig geworden, weil sie wegen des mit dem Arztbesuch verbundenen Zeitaufwandes ihren Arbeitsplatz verloren hätten, heißt es in dem Brief weiter.
Werneck ist keine Lösung
Die Lösung in Werneck schließt Klingert aus. Eine solche Einrichtung gehöre dorthin, wo das Problem akut sei, also in die Stadt. Die von der KVB auch genannte Bezirkseinrichtung in Schweinfurt, die Psychiatrische Tagesklink in der Dittelbrunner Straße, sei räumlich nicht geeignet und läge zudem mitten in einem Wohngebiet.
Als Alternative zu den niedergelassenen Ärzten nennt die KVB in ihrem Forum die Einrichtung von Psychiatrischen Institutsambulanzen. In Augsburg habe man damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Für derartige Lösungen plädieren Arnholdt und Bieniek schon seit Jahren, weil die Substitution allein nicht ausreiche, der Patient parallel dazu auch eine psychiatrische Therapie brauche.
Eine solche Lösung hätte mit dem Bezirk verwirklicht werden können, ist man in Schweinfurt überzeugt. Auf Anfrage verweist die KVB Würzburg auf die Pressestelle in München. Die bietet bereitwillig Informationsmaterial, wollte konkret jedoch Ende November nur so viel sagen: „Im Fall Schweinfurt zeichnet sich aktuell eine kurzfristig umsetzbare Lösung für das drohende Versorgungsproblem ab.“
Methadonsubstitution
Methadon ist ein synthetisch hergestelltes Opioid, das als Ersatzmittel für Heroin eingesetzt wird. Es hat ebenso wie Morphin und Heroin eine stark schmerzmindernde Wirkung – ohne starke Rauschzustände zu erzeugen., Bei Heroinabhängigkeit kann es die Entzugssymptome lindern, macht aber ebenso abhängig, wenn es über einen längeren Zeitraum verabreicht wird. Daher wird die Dosis schrittweise verringert. Methadon wird anders als Heroin geschluckt. Wegen des unangenehmen Geschmacks wird es meist mit Orangensaft vermischt. Im Vergleich zum Spritzen setzt die Wirkung von Methadon erst später ein (30 bis 60 Minuten), hält dann aber auch länger an.
Die Methadonsubstitution wird in Deutschland seit 1993 angeboten. Sie soll in ein individuelles, umfassendes Therapiekonzept eingebunden werden und dem Patienten so die Chance geben, „ein gesundheitlich stabiles und sozial integriertes Leben außerhalb der Drogenszene zu führen“(KVB).
Ärzte, die opiatabhängige Menschen behandeln, müssen über die Weiterbildung „Suchtmedizinische Grundversorgung“ verfügen. Es handelt sich dabei um einen 50-stündigen Kurs mit den Themen Vorbeugung, Erkennung, Behandlung und Rehabilitation. Quelle: drug.com.de, kvb
Wäre die KVB und die niedergelassenen Ärzte bei der Methadonsubstitution ebenso fleißig, wie bei den ständigen Forderungen nach höheren Honoraren, nirgens müssten Süchtige um Hilfe bangen!
Lob auch an Herrn Körblein für die umfassende und wohl auch zutreffende Berichterstattung.
Massive Kritik an der KVB - wahrscheinlich v.a. an den Kassen, aber mindestens einer von den Ärzten muss da mitgemacht haben! Warum?
Typische Entscheidung eines Gremiums von Leuten, die entweder keine Ahnung haben über was sie entscheiden, oder denen die Fähigkeit abgeht sich in die Situation von anderen Menschen hinein zu versetzen.