Wie umgeknickte Streichhölzer liegen die Bäumchen entlang des Nützelbachs. Kreuz und quer. Manche liegen am Bachbett, andere sind, die noch unbelaubte Baumkrone voran, ins Wasser des angrenzenden Sees geplumpst. Die meisten Stämmchen sind kaum armdick, andere haben locker den Durchmesser eines kräftigen Oberschenkels oder liegen sogar darüber. Die Szene an dem renaturierten Biotop am südlichen Stadtrand von Gerolzhofen beschreibt kein von Menschenhand angerichtetes Zerstörungswerk. Die Bäume fielen den scharfen Beißern von Bibern zum Opfer. Das scheinbare Chaos ist also naturgemacht.
Stadtgärtner André Ditterich sieht in den gefällten Bäume, die vor allem im Bereich des Sees östlich des Seewegs liegen, keinen ernsthaften Grund zur Sorge. Er und seine Kollegen Christian Binder und Christian Kneißl, die sich im Bauhof der Stadt hauptsächlich um die Biber und deren Folgen kümmern, haben gelernt, damit umzugehen. Der Stadtgärtner testet an diesem Aprilmorgen etwas Neues aus, um Europas größte Nager davon abzuhalten, am Ende sämtliche Bäume am Nützelbach zu fällen. Er pinselt auf den Stamm eines jungen Baums einen himbeerfarbenen Schutzanstrich. Dieser enthält feine Steinchen, die dem Biber das Nagen am Stamm vermiesen sollen. Es ist ein Versuch, sagt der Stadtgärtner. Andere Kommunen, mit denen er sich austauscht, hätten damit gute Erfahrungen gemacht. Wieder andere sagen: Das bringt nichts.
Ösen halten den Draht am Boden fest
Währenddessen setzen Binder und Kneißl ein paar Meter weiter auf eine vielfach bewährte, dafür vielleicht etwas aufwändigere Methode. Sie umwickeln einen Baumstamm mit einem Gitter aus festem Draht. Mit Ösen fixieren sie dieses im Boden. So kann der Biber den Draht nicht hochschieben. Das bremst den Nager effektiv aus, so die Erfahrung der Bauhofmitarbeiter. Rund 400 Bäume, schätzen sie, haben sie in Gerolzhofen auf diese Weise bereits vor Biberverbisss geschützt. Klar ist: Sie können (und wollen) nicht jeden Baum vor den scharfen Zähnen des im Wasser lebenden Tiers retten. Doch am Ende sollen die in ihren Augen wichtigsten Bäume unbeschädigt bleiben.
Es ist ein Geben und Nehmen. So lässt sich das Zusammenleben mit dem Biber zusammenfassen, das Stadtgärtner Ditterich schildert. In den Nützelbachauen lässt sich dies leicht veranschaulichen. Im Frühjahr 2019 sind dort erstmals Spuren von Bibern entdeckt worden. Gut ein Jahr zuvor waren im Volkachbach, oberhalb der Kartbahn an der Gemarkungsgrenze zu Dingolshausen, die ersten Biberdämme auf Gerolzhöfer Territorium aufgetaucht. Seitdem haben sich die Biber ausgebreitet entlang der Volkach. Es gibt sie jetzt im Silberbach, im Silbersee und im Vettersee bei Rügshofen, berichtet Ditterich. Wie viele Tiere es sind, weiß keiner genau.
Biber-Bestand im Landkreis hält sich konstant
In jedem Biberrevier lebt in der Regel nur ein Biber-Paar auf Dauer. Jungtiere suchen sich ein neues Revier, das ein gutes Stück abseits des elterlichen liegt, um keine Konkurrenz zu sein. Im Landkreis Schweinfurt sind es laut Auskunft der Unteren Naturschutzbehörde gut 50 Biber-Reviere. Ein Bestand, der sich seit drei Jahren relativ konstant hält, weshalb die Behörde davon ausgeht, dass mittlerweile alle geeigneten Biber-Reviere besetzt sein dürften. So erwarten die Fachleute auch kein stetiges Anwachsen des Biberbestands. Die Spitze dürfte erreicht sein.
In den Gerolzhöfer Nützelbachauen präsentieren sich die Biber quasi vor der Haustüre der Menschen, in Sicht- und Rufweite zu den nächsten Häusern entlang der Berliner Straße als die wahren Baumeister, die sie sind. Als imposantes Zeichen ihrer Rückkehr haben die bei uns einst als ausgestorben geltenden Nager dort, zwischen Bach und See, eine Biberburg errichtet, in der sie leben. Diese hat ihren unter Wasser liegenden Eingang im See und einen Durchmesser von über drei Metern. Am anderen Seeufer entsteht augenscheinlich eine zweite Burg einer weiteren Biber-Familie. Oft legen Biber, die von Kopf bis Schwanzende gut einen Meter lang werden, ihren Bau in Böschungen an. Doch hier demonstrieren sie, was sie noch alles können.
Biber regulieren mit Dämmen den Wasserstand
Vergangenen Sommer, berichtet Christian Binder, haben Biber den Stamm eines umgenagten Baums bis in ihre Burg hinein geschleppt, noch bequemer kommen sie nicht an ihr Futter. Denn Biber sind Pflanzenfresser und ernähren sich am liebsten von Gräsern, Kräutern und Grünpflanzen aller Art. Baumrinde steht auch auf ihrem Speiseplan, doch hauptsächlich im Winter, wenn in der Umgebung wenig Grün zu finden ist. Im Sommer nagen sie selten an Bäumen und fällen diese nur, wenn sie Baumaterial brauchen. Sie bedienen sich gerne an Feldfrüchten in der Nähe, etwa Mais oder Zuckerrüben, was aus Sicht der Landwirtschaft nicht unproblematisch ist.
Mit den Dämmen, die sie im Wasser errichten, regulieren sie nicht nur den Wasserstand so, dass die Eingänge zu ihren Wohnungen gut geschützt unter Wasser liegen. Sie sorgen auch dafür, dass sie möglichst weit im Wasser zu ihren Futterquellen gelangen. Im Sommer 2020 haben die Bauhofmitarbeiter allein am Nützelbach 14 Dämme gezählt.
Angestaute Bäche, überflutete Wiesenflächen und Felder – Konflikte zwischen Biber und Mensch sind quasi vorprogrammiert. Wo Biber in Siedlungsnähe oder in der Nähe von Kläranlagen auftauchen, kommt es immer wieder zu Problemen, bestätigt auch die Naturschutzbehörde im Landratsamt Schweinfurt. Doch ein Anruf genüge, heißt es von dort, und eine Naturschutzfachkraft suche nach eine passenden Lösung.
In Gerolzhofen gab es nach Angaben des Stadtgärtners bislang noch keine größeren Konflikte. Auch dank des wachsamen Auges seiner beiden Mitarbeiter, die beide jede Woche jeweils geschätzte zehn Stunden im Auftrag des Bibermanagements auf Achse sind, um Bäume zu schützen, von Bibern verstopfte Überläufe zu säubern oder Überflutungen auf den Grund zu gehen. Doch in den Augen des Stadtgärtners lohnt sich der Einsatz eigenen Personals. Viele Probleme könnten so rasch im Keim entschärft werden.
Ein Hauptaugenmerk richten die Bauhofmitarbeiter auf die Verkehrssicherheit der vom Biber angenagten Bäume. Gerade entlang des Nützelbachs, wo viele Spaziergänger unterwegs sind, darf es nicht dazu kommen, dass ein umstürzender Baum einen Menschen trifft, macht Ditterich deutlich. Die Drahtzäune und künftig womöglich auch der Schutzanstrich der Baumstämme erfüllt also einen wichtigen Zweck.