
Es dürfte seiner Persönlichkeit geschuldet sein, dass Bergrheinfelds Bürgermeister und Kreisrat Ulrich Werner (CSU) nicht deftigere Worte gewählt hat: "Wir glauben nicht mehr an die Aussagen." Das Vertrauen in die Fachleute sei geschwunden beim Thema neue Stromtrassen, die in Bergrheinfeld enden sollen. Damit fasste er die Stimmung im Kreistag zusammen, der fast einmütig eine Resolution auf den Weg gebracht hat, um für eine "faire Verteilung" der Lasten im Stromnetzausbau zu kämpfen. Denn die Region um Bergrheinfeld sei bereits jetzt ein "Hotspot" der Stromnetze (Werner). "Wir sind weit entfernt von einer maßvollen Belastung mit Stromtrassen", formulierte Landrat Florian Töpper (SPD) ebenfalls in der Wortwahl moderat.
Töpper und Weisgerber gemeinsam
In der Resolution, die federführend Töpper sowie die Bundestagsabgeordnete und Kreisrätin Anja Weisgerber (CSU) entworfen haben, schlägt man aber einen schärferen Ton an: Bund und Land sollen geeignete Maßnahmen treffen, um "vor Ort die Glaubwürdigkeit von getroffenen Vereinbarungen und Versprechen nachzuweisen und damit die Akzeptanz des Projektes insgesamt zu erhöhen".
Kernpunkte der Resolution sind die Forderungen zu den Wechselstromtrassen P43, P44 und P48, die unabhängig von der erdverkabelten Gleichstromleitung Suedlink zu betrachten sind. Demnach sollen die Pläne für P43 gestoppt und P44, wie zugesagt, endgültig aus dem Netzentwicklungsplan gestrichen werden. Unter anderem soll ein "Null-Szenario" entworfen werden, das dezentrale Energiegewinnung beleuchtet, und den Zubaubedarf von Leitungen ausweist. Grundsätzlich geht es dem Kreistag darum, dass Alternativen zum Netzknoten Bergrheinfeld entwickelt werden.
Die Geschichte der Trassenpläne
Unterfüttert wurden die Argumente von Thomas Benz, im Landratsamt für Energiethemen zuständig. Er bot eine Zusammenfassung und erläuterte den Werdegang sämtlicher Planungen. Vor allem das Hin und Her bei P43 und P44. Beides wären Neubauten; erstere kommt von Dipperz in der hessischen Rhön, P44 vom thüringischen Schalkau (Nähe Coburg) mit jeweiligem Endpunkt in Bergrheinfeld. 2015 habe die Bundesregierung beschlossen, nach Alternativen zu suchen. 2019 tauchten beide Trassen wieder in einer Vereinbarung zwischen Bayern und Bund auf. P44 soll nun zwar endgültig gestrichen werden, Benz nannte ihr rechtliches Stadium aber einen "Schwebezustand".
Verbindung ins Rhein-Main-Gebiet
P43 dient laut Plänen als Verbindungsstück von Norden in das Rhein-Main-Gebiet. Dafür gibt es bereits eine Leitung von Dipperz nach Aschaffenburg. Sie könne aber nicht erweitert werden, unter anderem weil dann Grenzwerte für elektromagnetische Strahlung nicht eingehalten werden könnten. P43 soll diese Strecke entlasten und den Strom via Bergrheinfeld in den Westen führen. Für P43 ist laut Benz' Zusammenstellung eine Erdverkabelung in Aussicht gestellt worden. Nun habe sich herausgestellt, dass dies bei Wechselstrom technisch nur in drei bis sechs Kilometer langen Abschnitten möglich ist, um dann wieder auf bis zu 80 Meter hohen Freileitungen geführt zu werden. Der Suchkorridor für die neue Trasse bewegt sich in Bayern im Viereck Bad Brückenau-Bad Neustadt-Grafenrheinfeld-Karlstadt.

Eher unproblematisch stuft das Landratsamt die Leitung P48 südlich von Grafenrheinfeld ein: Sie existiert bereits und wird nur ertüchtigt.
Ernüchternde Berlin-Reise
Wenig Wirkung hat offensichtlich eine kürzlich stattgefundene Reise unterfränkischer Landräte inklusive Bürgermeister Werner nach Berlin zu Wirtschaftsstaatssekretär Thomas Bareiß (CDU) gezeigt. Landrat Töpper war der Unmut anzumerken: Er glaube nicht, dass man dort die Dimension der "Überbündelung" von Stromleitungen in der Region erfasst habe. Und er deutete die nächste Eskalationsstufe an, indem er ein juristisches Vorgehen nicht ausschloss: "Wir müssen alle Karten ausspielen." Würden alle ursprünglichen Vorhaben gebaut, würde 25 Prozent aller Elektrizität Deutschlands über Bergrheinfeld fließen, sagte Benz plakativ.
Ebenso wenig erfreute die neueste Information von Benz die Kreisräte: Eher zufällig habe man im Juni erfahren, dass das Umspannwerk am stillgelegten AKW Grafenrheinfeld nicht abgebaut, sondern modernisiert und während dieser Phase durch einen Neubau ergänzt werden soll. Für Benz ein Indiz, dass Energieanlagenstrukturen verfestigt würden, und für Bürgermeister Werner ein Beleg, dass die Projekte in Bergrheinfeld "scheibchenweise" ausgeweitet würden.
Fast alle Fraktionen einig
Fraktionschefin Gabriele Jakob (CSU) hob die Arbeit ihrer abwesenden Kollegin Anja Weisgerber hervor, die auch durch die Runden Tische in der Region einiges erreicht habe. Dass die komplette Erdverkabelung von P43 nicht möglich sei, habe "alle überrascht", so Jakob. Ihr SPD-Pendant Stefan Rottmann sprach von "großer Ernüchterung". Vielen Bürgern sei das Ausmaß der Projekte gar nicht bewusst, auch was neue Strommastem mit 80 Metern Höhe bedeuteten. Das Verfahren sei "intransparent und nebulös", die Bundespolitik unglaubwürdig.
Auch Oliver Brust (Freie Wähler) wand sich gegen den Umstand, dass Netze in der Region gebündelt werden sollen und wies auf die Gefahr von Terroranschlägen hin. Johannes Weiß (Grüne) wies auf eine faire Verteilung der Lasten hin, nachdem in Bergrheinfeld bereits 170 Strommasten stünden.
AfD scheitert mit Ergänzung
AfD-Kreisrat Alfred Schmitt stimmte als einziger gegen die Ursprungsfassung der Resolution, obwohl er kurz zuvor geäußert hatte, "grundsätzlich" trage seine Fraktion das Papier mit. Er wollte die Passage einbringen, Bund und Land aufzufordern, eine offene Debatte über sämtliche Energieversorgungstechniken – auch "zeitgemäße Kerntechnologie" – zu ermöglichen. Außerhalb der AfD fand Schmitt bei der Abstimmung mit Martina Gießübel (CSU) nur eine Befürworterin.
Erstens hat sie noch nicht begriffen, dass es keine „zeitgemäße Kerntechnologie“ gibt. Das nach wie vor ungelöste Entsorgungsproblem für radioaktiven Müll müssen die Bewohner der Region mit den BELLA- und BEHA-Lagern in Grafenrheinfeld bereits auf lange Sicht verkraften.
Die AFD argumentierte, dass „China, Russland und Indien“ die Kernkraft propagieren. Es ist zumindest fraglich, ob diese Länder geeignete Vorbilder für uns sind.
Der von der AFD beantragte Zusatzpunkt zur Kernenergie widerspricht überdies dem Bekenntnis zur Energiewende, das der Kreistag in seiner Resolution klar zum Ausdruck bringt.
Vor allem hat Gießübel nicht verstanden, dass die Überlastung der Region Bergrheinfeld / Grafenrheinfeld mit dem geplanten Stromnetzausbau eine direkte Folge des KKW und der damit bereits bestehenden Energieinfrastruktur vor Ort ist!
Das ist St. Florianspolitik! Hat man denn bei uns noch nichts von Trassenbündelung gehört? Denn je mehr man "fair verteilt", desto mehr werden Landschaft & Natur zerschnitten!
Wikipedia/Entwicklungsachse: "Durch eine Bündelung von Straßen, Bahntrassen und Hochspannungsleitungen auf den Entwicklungsachsen sollen die Auswirkungen auf die Umwelt minimiert werden"
Demnach wäre die beste Trasse für die P 43 entlang der A 7