
Es ist der letzte Freitag im April, früher Nachmittag. Heidrun Hertrich sitzt in dem Büro, das ihr auf dem Papier zwar noch für zwei Arbeitstage gehört – von dem sie sich eigentlich aber schon verabschiedet hat. Sie ist etwas nervös. Verständlicherweise. Denn nach 47 Berufsjahren steht ihr in wenigen Minuten etwas bevor, von dem sie nicht weiß, wie es werden wird: ihre Abschiedsfeier in der katholischen Kindertagesstätte in Oberschwarzach.
"Eigentlich hätte ich gerne einen stillen Abschied gehabt", sagt die 63-Jährige. Die letzten beiden Wochen als Leiterin der Kita seien für sie schon sehr emotional gewesen. Und jetzt könnten gleich weitere Tränen fließen – nicht nur bei ihr.
Mit Tränen ließe sich gut begründen, weshalb Hertrichs heimlicher Wunsch nach einem stillen Abschied aus dem Berufsleben aus Sicht ihrer Kolleginnen und der Kita-Eltern so nicht zu erfüllen war. Während der 32 Jahre, in denen die Erzieherin die Kita neben der Pfarrkirche Peter und Paul geleitet hat, hat sie selbst unzählige Kullertränen getrocknet. Sie ist mit ihren Kolleginnen zu oft zur Stelle gewesen, wenn Kinderherzen – und manchmal auch kleine Seelen – in Scherben lagen, als dass sie in der Kita nach so langer Zeit einfach so hätte "Lebe wohl" sagen können.
Kinder aus mehreren Generationen betreut
Das hat Hertrich sicherlich geahnt. Sie habe ihre Arbeit bis zum Schluss ja nicht nur immer gerne gemacht, wie sie sagt. Sie hat bestimmt auch gespürt, dass sie gut war in ihrem Job, als Erzieherin und Kita-Leiterin. "Viele Eltern, die selbst als Kinder hier in der Kita waren, haben ihre eigenen Kinder unbedingt zu uns bringen wollen", sagt Hertrich. Selbst, wenn sie nicht mehr vor Ort lebten. Sie nahmen dafür extra Umstände in Kauf.
Die Arbeit mit den Kindern habe sie stets ausgefüllt, und auch erfüllt, gesteht Hertrich. Im Jahr 1980 stieg sie als fertig ausgebildete Erzieherin gleich als Kindergartenleiterin ins Berufsleben ein, in Vasbühl bei Werneck. Acht Jahre war sie dort, wechselte dann für ein Jahr ins Erich-Kästner-Kinderdorf in ihrem Heimatort Oberschwarzach, bevor sie 1990/91 als Erzieherin in den dortigen Kindergarten ging. Auf Bitten von Pfarrer Karl Ring habe sie dann dessen Leitung übernommen. Sie wohnte damals im Schloss, in direkter Nachbarschaft ihrer Arbeitsstätte.
Während ihrer insgesamt vier Jahrzehnte als Leiterin musste sie feststellen: Aufgaben und Ansprüche an ihren Job haben sich "maximal gewandelt", wie sie sagt. Früher habe sie als Leiterin nur ein paar wenige Statistiken ausfüllen müssen. Der Rest der Zeit gehörte den Kindern. "Heute hat die Dokumentation ein ganz anderes Ausmaß angenommen."
Doch die umfangreichen Aufgaben einer Kita-Leitung blieben im Personalschlüssel einer Kita unberücksichtigt. Die vielen Büro-Stunden fehlten so in der Betreuung der Kinder. Dieser Umstand, der alle Einrichtungen trifft, müsse sich unbedingt ändern, fordert Hertrich.

Zusammenarbeit mit Träger war mitunter heikel
Was ihr nicht immer leicht fiel, war die Zusammenarbeit mit den wechselnden Trägerschaften, sagt sie. Denn der ehrenamtliche Vorstand des örtlichen Kindergartenvereins verantwortet den Betrieb der Kita, inklusive Personalfragen – dies ist in Oberschwarzach so, wie in vielen anderen Gemeinden. Das kann mitunter heikel sein, hat Hertrich erfahren müssen. Denn für die Besetzung eines solchen Postens an der Vereinsspitze gilt keine fachliche Mindestanforderung, etwa in pädagogischer Hinsicht.
Aufgebaut habe sie immer wieder die Zuneigung der Kinder, die sie als Erzieherin erlebt hat, sagt Hertrich. Glücklich gemacht habe sie auch, wenn sie Familien, die mit Problemen auf sie zukamen, hat helfen können.
Im Lauf ihrer Berufsjahre sei es nicht leichter geworden, als Kita den wachsenden Ansprüchen der Eltern gerecht zu werden. Diese hätten schon immer das Beste für ihren Nachwuchs gewollt. Doch seitdem Kinder teilweise schon sehr jung in die Kita kommen, übernehme eine Kita Aufgaben, "die fast schon ein Familienersatz sind", sagt Hertrich. Manche Kinder machten dort beispielsweise ihre ersten Schritte.
Innerfamiliäre Konflikte als Belastung
Verhaltensauffällige Kinder dagegen habe sie schon immer erlebt, sagt die scheidende Kita-Leiterin. Dies habe sie immer dann belastet, wenn trotz aller Hilfestellung, auch durch Fachberatungen, Grenzen erreicht wurden, an denen es nicht mehr weiterging, etwa bei Fällen von sehr heftigen innerfamiliären Konflikten.
Ob es auch Tage gab, an denen sie kein Kindergeschrei mehr hören konnte? Ja, die gab es, gibt Hertrich zu. Sie berichtet von "krassen Montagen", wenn die Kinder nach zwei Tagen, die sie daheim verbracht haben, zu Wochenbeginn energiegeladen in der Kita aufschlagen und dort für Wallung sorgen. An solchen Tagen sei man als Erzieherin stark gefordert, sagt die 63-Jährige. Sie habe bei sich bemerkt, dass ihr eigener Erholungsbedarf mit dem Alter zugenommen hat. "Mein Soll ist in diesem Punkt erfüllt."

Deshalb freut sie sich trotz allen beruflichen Abschiedsschmerzes, dass sie ab sofort vor allem als Oma mit jüngeren Kindern zu tun hat. Das jüngste ihrer fünf Enkel ist vier Jahre alt, also noch im Kita-Alter, sagt Hertrich. Doch dies sei etwas anderes. "Als Oma bin ich nicht zum Erziehen da, sondern zum Verwöhnen."
Vorfreude auf Reisen und Sprachkurse
Ein echtes Gespür dafür, was Ruhestand bedeutet, fehle ihr noch, meint Hertrich. "Ich lasse das auf mich zukommen." Dennoch freue sie sich darauf, zusammen mit ihrem Mann, der Ruheständler ist, künftig mehr zu reisen. Auch möchte sie Kurse bei der Volkshochschule besuchen, etwa für Fremdsprachen. Zudem malt sie gerne, wofür sie jetzt mehr Zeit hat.
Zwei Ratschläge gibt sie ihrer Nachfolgerin Marion Schutzbier, die die Kita in Oberschwarzach ab 1. Mai leitet, mit auf den Weg: "Bewahre dir eine positive Grundeinstellung jedem gegenüber." Denn Wohlwollen und Wertschätzung kämen immer wieder zu einem zurück. Und: Als Kita-Leiterin sei es nötig, Entscheidungen erst ausreichend zu überdenken und nicht vorschnell zu handeln.