Das Format war unerprobt, kam aber an. Im außerparlamentarischen Rahmen trafen sich im Landratsamt Schweinfurt praktisch alle gesellschaftlichen Akteure, Befürworter und Gegner einer Reaktivierung der Steigerwaldbahn, um sich Expertisen anzuhören und anschließend sehr sachlich und fair ihre Argumente auszutauschen. Obwohl es dabei – zumindest für Themen-Insider – nicht viel Neues gab, vergingen die angesetzten fünf Stunden der Steigerwaldbahn-Konferenz in Windeseile. Rund 20 Kreisräte und 50 Bürger auf der Empore des Sitzungssaals verfolgten die Diskussion.
"Da geht nichts mehr" - mit einem eindrucksvollen Bild vom verwilderten Zustand der Bahnstrecke in Gerolzhofen provozierte zunächst Diplom-Geograf Konrad Schliephake von der Universität Würzburg. In seinem 2016 erstellten Gutachten zur Nachfrage nach Personenverkehrsleistungen bei einem Regelbetrieb der Steigerwaldbahn von Schweinfurt nach Kitzingen kommen der Wissenschaftler und seine universitäre Arbeitsgruppe aber zu einem ganz anderen Ergebnis.
Schliephakes Arbeitsgruppe ermittelte für die gesamte, rund 49 Kilometer lange Strecke eine Nachfrage von 1229 Reisendenkilometern am Tag in beiden Richtungen. Der Reisendenkilometer ist ein Bewertungsmaßstab, bei dem die Zahl der täglichen Fahrgäste mit der jeweils zurückgelegten Distanz im Verhältnis zur Gesamtlänge gewichtet wird. Das bayerische Wirtschaftsministerium fordert für die Wiederinbetriebnahme einer Strecke einen Mindestwert von 1000 Reisendenkilometern. Schliephakes Potenzialanalyse stellt allerdings ein starkes Gefälle zwischen dem Nordabschnitt zwischen Schweinfurt und Gerolzhofen (1657 Reisendenkilometer) und dem südlichen Teil zwischen Gerolzhofen und Kitzingen-Etwashausen (921) fest.
Viele Motive zum Bahnfahren
Die Ermittlung dieser Zahlen beruht im Wesentlichen auf der Größe von 0,3 Bewegungen im Öffentlichen Nahverkehr (ÖV) pro Person und Tag, auf Umfragen und auf den Motiven, ein öffentliches Verkehrsmittel zu nutzen, wie Beruf und Geschäft, Ausbildung einschließlich Studium, Fahrten zu Einkäufen, Behörden und Ärzten sowie Freizeit und Urlaub. Jede dieser vier Gruppen macht aktuell etwa ein Viertel des ÖV aus. Es ist also durchaus nicht so, dass nur Berufstätige und Schüler oder Studenten den ÖV nutzen. Der Gutachter: "Wollen wir dem motorisierten Individualverkehr eine attraktive Alternative entgegenstellen oder wollen wir es bleiben lassen?"
Auf Schliephakes Zahlen stützt sich weiteres Gutachten, das der Landkreis Schweinfurt bei der Kobra NVS (ein ÖPNV-Dienstleister und Planungsbüro in Kassel) in Auftrag gegeben hatte und dessen Ergebnisse Peter Roßkothen vorstellte. Dieses Gutachten beschäftigt sich eher mit den Chancen und Risiken einer Reaktivierung der Steigerwaldbahn. Erfolgsfaktoren seien Fahrten mindestens im Stundentakt, gute Anschlüsse in Schweinfurt Richtung Bamberg und Würzburg, moderne Zuggarnituren, Integration der Bahn in einen Verkehrs- und Tarifverbund sowie in ein Mobilitätskonzept. Die Fahrtzeiten müssten konkurrenzfähig mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) sein. Allgemein werde die Schiene lieber als der Bus als Alternative zum MIV wahrgenommen. Und natürlich müssten Züge vom recht abgelegenen Schweinfurter Hauptbahnhof zu den Stationen Mitte und Stadt weiterfahren.
Nachteil: längere Laufwege
Unter den Risiken eines Bahnbetriebs listete Roßkothen unter anderem die Neuordnung des regionalen Busverkehrs auf, durch die Fahrgäste manchmal längere Laufwege in Kauf nehmen müssten. Bei einer anvisierten Geschwindigkeit von 80 Stundenkilometer müssten Schienenübergänge zusammengelegt und technisch gesichert werden, bei bis zu Tempo 60 genüge ein Pfeifton des Zugs. Der Neubau von Stationen und Park-and Ride-Parkplätze könnte außerdem zu Konfliketen mit Anwohnern führen. Und der Dieselantrieb von Zügen werde zunehmend kritisch gesehen. Schließlich gebe es einen langen zeitlichen Vorlauf. Für die kommunalpolitische Willensbildung, Planung, Verhandlungen und die Sanierung der Strecke müssten fünf Jahre angesetzt werden.
Vor allem Übergänge kosten Geld
Auf 22 bis 27 Millionen Euro beläuft sich Kostenschätzung für eine Reaktivierung zwischen Schweinfurt und Gerolzhofen, hat Thomas Müller vom Ingenieurbüro Wallerich & und Co (Kassel) ebenfalls für Kobra errechnet. Die größten Positionen bei den Kostenfaktoren sind die Sicherung der Bahnübergänge mit neun Millionen, die Sanierung der Trasse mit 5,45 Millionen und die fünf Haltestellen (Gerolzhofen, Alitzheim, Grettstadt, Gochsheim und Sennfeld) mit 2,6 Millionen Euro. Grundlage für diese Schätzungen ist eine Begehung im Hinblick auf den Streckenzustand.
Eingangs hatte Landrat Florian Töpper die Vorgeschichte der Strecke erläutert und den Sinn der Veranstaltung benannt. Nachdem Entwidmungsanträge aus allen Gemeinden längs der Strecke bei der Regierung von Mittelfranken eingegangen sind, habe diese den Landkreis als Aufgabenträger für den ÖPNV zu einer Stellungnahme aufgefordert. Diese soll bis zum Juni 2019 vorliegen. Inzwischen habe die Stadt Gerolzhofen ihren Entwidmungsantrag aber zurückgezogen, weil sie erst die Ergebnisse einer Potenzialanalyse durch die Bayerische Eisenbahngesellschaft (BEG) abwarten will. Ob das an der Frist für die Stellungnahme des Kreises etwas ändert, ist laut Töpper noch unklar. Die Notwendigkeit einer solchen Stellungnahme ist für den Landrat der Grund, die Konferenz abzuhalten. Man wolle alle Interessenträger anhören, um eine möglichst fundierte Stellungnahme abgeben zu können.
Auswirkung auf Mobilitätskonzept
Für das geplante neue Mobilitätskonzept des Landkreises habe eine mögliche Reaktivierung der Steigerwaldbahn ebenfalls Bedeutung, sagt Michael Graber, der Nahverkehrsbeauftragte am Landratsamt Schweinfurt. Die Bahn hätte planerische Auswirkungen auf die Anbindung des Raums Oberschwarzach an Gerolzhofen, auf den Schülerverkehr und auf den gemeinsamen Nahverkehrsplan von Stadt und Landkreis Schweinfurt.
Man sollte die Steigerwaldbahn im Kontext sehen, zusammen mit der Erfurter Bahn KG-SW, die noch weiter bis HAS führen sollte. Dann ergäbe sich ein Schienendreieck KT-KG-HAS um SW, als östliches Drehkreuz des erweiterten Verkehrsverbundes Mainfranken. Wenn dann die Steigerwaldbahn vom Hbf weiter bis zum Stadtbahnhof führe, ergäbe sich dazwischen eine großstädtische Stammstrecke, auf der beide Bahnen führen, etwa im S-Bahntakt. Wenn dann noch der um 2000 angedachte Halt am Rusterberg (nähe Roßmarkt) dazukäme, wäre das eine höchst attraktive Sache. Auch insbesondere für GEO, das dann auch ein sehr attraktives Städtchen am Steigerwald für Pendler nach SW wäre. Bad Kissingen wäre für die Freizeit gut erreichbar. Die SWer fahren gerne zum Schoppen an den Steigerwald, das könnten sie dann statt Auto mit der Bahn machen. Da profitieren immer beide Enden und es führte in Summe zu mehr Mobilität, statt nur Umverteilung.
2. P&R u. a. in Prichsenstadt (B286/B22) und Wiesentheid (B286/A3)
3. Wie oben erwähnt, könnte die Steigerwaldbahn weiter vom Hbf (rückwärts) über Mitte bis Stadtbahnhof fahren. Zeitversetzt zur Erfurter Bahn gäbe es dann hier bereits S-Bahn-Takt. Ideal wäre dazu der um 2000 angedachte Halt am Rusterberg, nähe ZOB Roßmarkt.
4. Als langfristige Option könnte man die Etwashäuser Mainbrücke wieder aufbauen. Dann wäre die Steigerwaldbahn Querspange zum RE WÜ-SW-Nbg. und WÜ-KT-Nbg.
Bei Umsetzung von 1 bis 3 und später noch 4 würden sich die Reisendenkilometer wohl vervielfachen!
Statt einer RB wäre eine S-Bahn KG-SW-HAS als Pendellinie denkbar, u. a. mit zusätzlichen Halten: Schulzentrum-West + Conn/Niederwerrn (P&R). Im Kontext mit Steigerwaldbahn entstünde zusätzliches Potential!