An diesem Vormittag erlebt Martina Menth eine schöne Überraschung. Diana Dirschbacher, der sie soeben die Haare geschnitten hat, reicht ihr ein weißes Tütchen. Darin: ein Büschel Haare, den sie während ihrer Erkrankung gesammelt hat. Die Friseurin ist darüber wenig verwundert, obwohl in ihrem Salon mehr als reichlich Haarabfälle anfallen. Sie strahlt und bedankt sich für die aus ihrer Sicht wertvolle Gabe.
Denn Menth ist Partnerin der Hilfsaktion "Hair Help the Oceans", der sich einige Salons in der Region Main-Rhön angeschlossen haben. Diese hat sich dem Schutz der Meere und Gewässer verschrieben. Was das alles mit Haaren zu tun hat? Die Inhaberin des Haarstudios Scherenschnitt in der Gerolzhöfer Brunnengasse klärt auf: Haare besäßen auch nach dem Schneiden die Eigenschaft, Fett aufzusagen und zu speichern. Und das nicht zu wenig: Ein Kilogramm Haar kann bis zu acht Kilogramm Öl aus dem Wasser filtern.
Haare filtern Öle, Treibstoffe und Sonnenmilch aus Gewässern
Die abgeschnittenen Haare, so Martina Menth, eignen sich als Filter bei Verschmutzungen in Meeren, Seen oder Flüssen, verursacht etwa durch Öle oder Sonnenmilch. Die Haarreste werden von der Organisation in Nylonstrümpfen gefüllt und zu Rollen zusammengebunden oder manchmal auch zu Haarmatten verarbeitet, die danach in verunreinigte Gewässer ausgelegt werden, um gefährliche Bestandteile aufzusaugen. Nach Angaben von "Hair Help the Ocean" wird diese Methode weltweit vor Küsten und an Flüssen nahe Industriegebieten verwendet. Bei einem Frachterunglück vor Mauritius 2019 seien solche Haarfilter ebenfalls zum Einsatz gekommen, schreibt die Organisation.
"Das ist eine wirklich gute Idee. Deshalb unterstützte ich diese Initiative", sagt die Friseurin, die aus Dingolshausen stammt und seit 30 Jahren in diesem Beruf arbeitet. Ein wenig, gesteht Menth, könne sie mit den Haarresten-Spenden auch ihr schlechtes Gewissen beruhigen. Sie gehe nämlich sehr gerne in den Sommerurlaub und auf Kreuzfahrt.
Wobei sie, das gibt die Friseurin im Gespräch unumwunden zu, anfangs skeptisch war. Zunächst hatte sie in einem Sozialen Netzwerk darüber gelesen. So recht mochte sie es noch nicht glauben. Erst als die Kreishandwerksmeisterin Margit Rosentritt, die zugleich Obermeisterin der Friseurinnung Main-Rhön ist, im Vorjahr zu einer Infoveranstaltung eingeladen hatte, war sie überzeugt.
Im Gegensatz zu Perücken, für deren Verarbeitung nur ausgewählte, vor allem nicht gefärbte Haare, verwendet werden dürfen, sind für solche Gewässer-Haarfilter im Prinzip alle Haarabfälle aus einem Friseursalon geeignet. "Ob blonde, braune, graue oder gefärbte Haare, das ist vollkommen egal. Das alles geht", sagt Martina Menth.
Seitdem sie sich im Juli 2022 entschieden hat, die Initiative zu unterstützen, landen die Haarreste nicht mehr in der Restmülltonne – wie es bei Friseursalons üblich ist. Neuerdings sammeln Martina Menth und ihre Mitarbeiterinnen die Haare in einem großen 60-Liter-Sack. Wenn er voll ist, schreibt sie eine E-Mail an die Organisation, die diesen dann abholt.
Bislang war das etwa alle drei Monate der Fall. Rund 4,5 Kilogramm Gewicht bringen die gefüllten Säcke auf die Waage. Zwei wurden bereits abgeholt, seitdem sie sich an der Aktion beteiligt. Der Dritte, sagt sie mit freudiger Stimme, ist auch bald voll.
Die Reaktionen ihrer Kundinnen und Kunden auf diese außergewöhnliche Partnerschaft sind fast ausnahmslos positiv. Sehr häufig wird sie auf die an den Spiegeln angebrachten, blauen Aufkleber mit der Botschaft in weißen Lettern "Du rettest mit deinen Haaren das Meer" angesprochen. "Wer mich fragt, dem erkläre ich gerne alles", so Menth.
Diana Dirschbacher, die eingangs erwähnte Kundin aus Tretzendorf, die an diesem Tag eine zusätzliche Haarspende mitgebracht hat, findet es eine richtig gute Sache; auch aus diesem Grund hat sie ihre krankheitsbedingt ausgefallenen Haare nicht weggeworfen, sondern gesammelt und nun mitgebracht.
Elmar Hahn aus Michelau ist diese spezielle Reinigungsmethode mit Haaren bislang nicht bekannt gewesen, unterstützt die Aktion aber gerne. Und auch Menths Tochter steht voll und ganz hinter dem Engagement ihrer Mutter. "Eigentlich ist es ja ohne großen Aufwand verbunden", meint Melina Menth, die ab und an im Geschäft mithilft und ab August dann als Assistentin anfängt. Nur in einem Fall hat die Salon-Inhaberin einen etwas kritischen Kommentar erhalten. Ob sie damit Geld verdiene und eine neue Einnahmequelle erschlossen hätte, wurde sie gefragt.
Martina Menth hofft auf viele Nachahmer in Gerolzhofen
Das sei nicht der Fall, hat sie damals geantwortet und betont das auch jetzt noch einmal. Im Gegenteil: Im Monat zahlt sie rund 25 Euro, um sich als Partnersalon an der Aktion beteiligen zu können. "Das ist es mir wert und umgerechnet auf einen Öffnungstag gerade mal ein Euro. Ich werde gut betreut, und es ist eine gute Sache", sagt sie. Der Beitrag würde zum Beispiel für Logistik, Lagerhallen, Abholen, Administration und Verteilung der Haare verwendet.
Etwas verwundert ist die Inhaberin des Haarstudios Scherenschnitt, dass bislang nur sehr wenige andere Salons in der Region sich daran beteiligen. In Gerolzhofen ist sie ihren Angaben zufolge aktuell der einzige Partnerbetrieb. Wobei sie mit der Hilfsaktion – das ist ihr ganz besonders wichtig zu erwähnen – keinesfalls Kundinnen und Kunden von anderen Friseursalons wegnehmen möchte. In diesem Zusammenhang betont sie, dass ihr Haarstudio momentan keine neue Kundschaft annehme, höchstens in Ausnahmefällen.
Viel entscheidender ist für Martina Menth ein anderer Aspekt. "Ich möchte mehr sensibilisieren für dieses Thema. Vielleicht kennt es der eine oder andere noch gar nicht. Es wäre auf alle Fälle schön, wenn sich noch mehr an dieser Initiative beteiligen."
Am Ende hat man dann, wenn man pro Salon ca. 18 kg Haar im Jahr rechnet (anhand der Zahlen von GEO) bei 1400 teilnehmenden Salons ca. 25,2 Tonnen Haare beisammen mit denen man mehr oder weniger effektiv Wasser reinigen kann.
Mit den 420 Tsd. Euro würden sich aber professionelle Produkte einkaufen lassen mit denen sich Wasser wesentlich effektiver reinigen lässt als mit Haaren - ganz abgesehen von den ganzen Transportwegen die hier anfallen.
Eine reine Monatsspende an eine entsprechende Umweltorganisation in Höhe von 25,- € wäre also wesentlich effektiver als zusätzlich Haare zu spenden.