
Im Jahr 2021 war die Welt bei der kleinen Traditionsfirma Ress-Kutschen noch in Ordnung. Trotz oder gerade wegen Corona. Die Nachfrage nach den handgemachten Rodelschlitten aus Schwebheim war so groß, dass die Schlittenbauer kaum hinterherkamen. "Schlitten to go", haben die Schwebheimer damals angeboten. Der Direktverkauf mit Kundenkontakt war nicht erlaubt. "Verrückte Zeiten", sagt Michael Ress schmunzelnd. Es waren nicht die einzigen.
Einiges hat er schon erlebt als Wagner, als Schlittenbauer, als Unternehmer. Und immer war da Holz im Spiel. Michael Ress ist damit aufgewachsen. Heute ist er 70 und zieht den Schlussstrich, auch hinter seine Zeit als Chef. In diesem Jahr wird er den Betrieb an Sohn Johannes übergeben.
Der ist gelernter Sattler und Polsterer – und mit ihm läuft ein Teil des Traditionsunternehmens weiter: als Sattler- und Polsterer. Einer Sparte, der die Zukunft gehört, sagt Ress Senior und blickt auf die großen Boote, die in der Werkstatt stehen und gerade ein neues Sonnendach bekommen; dahinter Oldtimer-Cabrios, die aufgehübscht werden, innen wie oben.

Die Vergangenheit steht weiter hinten. In der großen Lagerhalle türmen sich die Rodelschlitten. Echte Handarbeit, von Anfang bis Ende, vom Holz bis zum Metall an den Kufen. Hörnerschlitten, Davoserschlitten, Schlitten für eine, für zwei Personen, mit Gurtsitz, mit Sitz aus Holz, Aufsätze für Kinder und schier endlos viel Rohmaterial, aus dem noch Schlitten werden können. Rund zwei Monate wird der Betrieb mit Sitz in Schwebheim noch Schlitten bauen. Sieben Modelle in drei Längen, wie immer. Dann ist Schluss.
Immer mehr Winter mit immer weniger Schnee: das Ende kam schleichend
Das Ende, sagt Ress, kam schleichend und hat sich schon länger abgezeichnet. Der Schwebheimer Schlittenbau ist quasi Opfer des Klimawandels: Immer mehr Winter mit immer weniger Schnee – der Verkauf brach nach 2012 immer mehr ein. In dieser Saison hat Ress gerade mal so viel Schlitten an den Mann oder die Frau gebracht wie Lehnen, die Besitzer eines Schlittens für ihre Kinder nachkaufen. Von August bis Januar wurden 8000 Rodelschlitten ausgeliefert, hauptsächlich an große Handelsketten. 2011 waren es in dem Zeitraum noch um die 60.000.

Aufträge gibt es schon, doch wirtschaftlich ist das Ganze nicht. Und so werden die rund 6000 Stück in diesem Jahr die letzten Ress-Rodelschlitten auf dem Markt sein. Im März gehen die Bestellungen los. "Ich bin froh, wenn sich alles verkauft", sagt Michael Ress und blickt auf die Wand aus Kartons. Das Geschäft mit den Schlitten ist ein undankbares. Wetterabhängig, klar. Und umso härter umkämpft. Bei Händlern geht es um Preisunterschiede von wenigen Cent. Die Konkurrenz aus Polen und Tschechien "macht uns die Preise kaputt", sagt Ress. Bitterkeit schwingt da nicht mit. In diesem Geschäft muss jeder kämpfen.
Der Betrieb geht in die neunte Generation, das macht Michael Ress stolz
"Kaum schneit es, glüht bei uns das Telefon", erzählt Ress. Schneit es nicht, "ist alles zu viel", bleibe die Ware liegen, die sich manche Händler auch auf Abruf sichern. Mit den Jahren sei es immer schwieriger geworden. Michael Ress hat darauf schon länger reagiert. Personal abgebaut. Aktuell sind noch sechs Leute bei der Ress-Kutschen GmbH beschäftigt, in der Sattlerei und Polsterei von Sohn Johannes wird es im Dreier-Team weitergehen.

Dass er einen Nachfolger hat, dass es weitergeht, das macht Michael Ress "stolz und zufrieden". Der Betrieb geht damit in die neunte Generation über. 1693 wird die Wagnerei Ress erstmals im Zusammenhang mit Gut Wadenbrunn bei Kolitzheim erwähnt. Den Beruf hat Ress noch von seinem Vater gelernt, heute gibt es ihn längst nicht mehr. Wagner bauten Ackerwägen, Leiterwägen, Handwägen – und im Winter eben Schlitten.
Als der Rodelschlitten Ress in Serie ging und Bollerwägen noch ein Renner waren
Ress' Vater Michael hat den Betrieb groß gemacht und die Schlittenproduktion erstmals in Serie gebracht. 1948, als er vom Krieg zurückkam. Fast 60 Mitarbeiter hatte der Betrieb damals, mehr als jemals sonst in der Firmengeschichte. Der große Renner damals: Bollerwägen. Die Zeit der Ackerwägen war dagegen vorbei.

Immer wieder hat sich das Unternehmen gewandelt. Später sollten es neben Schlitten vor allem Kutschen sein, die Ress überall hin verkaufte. Auch an die Kölner Karnevalisten. Was erklärt, dass er lange beim Kölner Rosenmontagszug mitlief. Heute ist das Geschäft mit den Kutschen "tot", sagt Ress nüchtern. Ein teures Hobby, das nur noch wenige Freunde hat. Als Michael Ress den Betrieb 1974 übernahm, war das noch anders. Die neue Firma siedelte nach Schwebheim über, wo die Hallen einer Großbäckerei frei geworden waren. 3000 Quadratmeter Fläche. In Zukunft soll der größte Teil vermietet werden. Die Schlosserei ist es schon.
Wagenräder für den Sultan von Oman, Kutschen für den Kölner Karneval
Zurück bleiben ein bisschen Wehmut, aber auch viele schöne Erinnerungen. An die gemeinsamen Betriebsausflüge, bei denen es mit den Schlitten aus eigener Produktion die Hänge hinab ging, mal in Davos, mal in Oberhof; oder an den Besuch beim Sultan von Oman. Für den hatte Wagner Michael Ress 120 große Wagenräder aus Holz für neue Salutkanonen gefertigt und vor Ort selbst montiert.
Zurück bleiben Bilder, Prospekte und Erinnerungen, von stolzen Kutschen und Bergen von Schlitten. "Wir haben schon tolle Zeiten mitgemacht", sagt Michael Ress. Trotzdem sei es Zeit gewesen, die Reißleine zu ziehen. Auch aus gesundheitlichen Gründen. Und weiter geht es ja. Das ist die Hauptsache.
siehe unsere Familienschlitten
Danke Firma Ress